Buchbesprechung: „Synagogues in Hungary 1782–1918“ von Rudolf Klein
Von salomonischen Tempeln und maurischen Bögen
– Rudolf Kleins architekturtypologische Studie „Synagogues in Hungary 1782–1918“ untersucht den Synagogenbau im Königreich Ungarn und spürt der Frage nach einer jüdischen Architektur nach –
von Klaus J. Loderer
Zur baulichen Typologie der ungarischen Gemeinden und Städte gehört bei den Sakralbauten neben den Kirchen der unterschiedlichen Konfessionen üblicherweise eine oder sogar mehrere Synagogen. Dass diese oft unbeachtet und in schlechtem Zustand sind, ist eine andere Frage. Nur noch wenige Synagogen sind in Ungarn als solche in Benutzung. Manche Synagogen stehen zwar noch, werden aber heute anders genutzt. Die Mehrzahl der vor allem kleinen Synagogen steht nicht mehr. Schon der von László Gerö 1989 herausgegebenen Band Magyarországi zsinagógák ließ die große Zahl an Synagogen erkennen. Für Rumänien kam 1997 der Band Synagogues of Romania von Aristide Streja und Lucian Schwarz heraus. Wie viele Synagogen es im Königreich Ungarn aber tatsächlich gab, das wird erst jetzt mit dem neuen Band des Architekturhistorikers Rudolf Klein so richtig deutlich. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Architektur der Synagogen und jüdischen Friedhöfe in Mitteleuropa. Mehrere Einzelstudien erschienen, etwa über die Synagoge in der Tabakgasse (Dohány utca) in Budapest und die Synagoge seiner Heimatstadt Maria Theresiopel (Subotica, ung. Szabadka). Und schließlich folgte 2011 eine umfangreiche Dokumentation des Synagogenbaus vom späten 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg im Königreich Ungarn, die nun auch in englischer Sprache erschienen ist.
Mit mehr als 700 Seiten ist dieses großformatige Buch im wörtlichen Sinne schwergewichtig. Die Materialsammlung ist beachtlich. Alleine schon die siebzig Seiten umfassende Bilddokumentation mit mehr als tausend kleinformatigen Fotos verschlägt die Sprache. Schon eine Karte im Band von Gerö zeigte die unglaubliche Anzahl an Synagogen. Aber diese nun mit Bild wieder sichtbar zu machen, vermittelt noch einmal einen ganz anderen Eindruck.
Der Hauptteil des Buchs ist mit großformatigen neuen Farbfotos und historischen Fotos illustriert. Die Farbfotos sind schon alleine wegen der starken Farbigkeit der Innenausmalungen interessant, die historischen wegen der Originaleinrichtungen.
In den einleitenden Kapiteln gibt Klein nicht nur einen Überblick zur Entwicklung der Synagoge von den Anfängen über Antike und Mittelalter bis ins frühe 20. Jahrhundert, sondern er versucht auch die Charakterisierung einer jüdischen Architektur. Ein zentrales Thema ist für Klein das jüdische Verhältnis zum Turmbau zu Babel.
Eine spezielle Übersicht zeigt die Entwicklung der Synagogenarchitektur und der verwandten Stilrichtungen in Ungarn ab dem späten 18. Jahrhundert. Ältere Synagogen sind in Ungarn nicht erhalten. Allerdings spürt Klein den Synagogen in mittelalterlichen Städten Ungarns im Kapitel zur Lage der Synagogen in den Städten nach. An mehreren Beispielen untersucht Klein das Verhältnis von Synagoge und öffentlichem Raum und die Präsenz in der Stadt. Diese war oft eingeschränkt, da die Synagogen in Hinterhöfen oder im Blockinneren errichtet wurde. Städtebaulich besonders wirksam wurde die Synagoge in Kecskemét durch die Neuordnung der Innenstadt nach dem Erdbeben von 1911.
Klein hat für den Hauptteil des Buchs eine Typologie der Synagogen erarbeitet, so kann man die Bauten gut vergleichen. Er unterscheidet die Typen nicht nach den Stilen sondern nach den Vorbildern: Bauernhaus, Bürgerhaus, Palast, Fabrikhalle, protestantische, katholische oder byzantinische Kirche. Zu letzterem Typus rechnet Klein die großen Kuppelbauten wie in Szeged. Der Vergleich mit Kirchenbauten mag erstaunen. Er überzeugt aber. Die große Synagoge in der Tabakgasse in Budapest sieht Klein als Trendsetter für einen Typus, der mit einer Doppelturmfassade an katholische Kirchen erinnert. Zum Vergleich der Zwiebeltürme der Budapester Synagoge führt er nicht von ungefähr die Frauenkirche in München an. Es entstand in der Folge in Ungarn eine ganze Reihe von Synagogen mit markanten Türmen an der Fassade. Unter Synagogen, die sich an den salomonischen Tempel anlehnen, versteht Kleine solche, die als freistehende kubische Bauten die Wirkung eines Schreins haben.
In einer Detailstudie untersucht Klein die Synagogenlandschaft in der Budapester Elisabethstadt mit der großen Synagoge, der Synagoge in der Rumbachgasse (Rombach utca) und der Orthodoxen Synagoge. In einer weiteren Detailstudie stellt er als Beispiel aus der Provinz die Synagoge von Subotica vor.
Der Autor ist seit 2005 Professor für moderne Architekturgeschichte an der Miklós-Ybl-Fakukltät für Architektur und Bauingenieurswesen der Szent-István-Universität in Budapest. Er wurde 1955 im damaligen Jugoslawien geboren. Von 1986 bis 1991 war er Professor an der Universität Neusatz (Novi Sad). Anschließend hatte er Gastprofessuren in Jerusalem und war von 1996 bis 2006 Professor für Architekturgeschichte in Tel Aviv.
Rudolf Klein
Synagogues in Hungary 1782–1918
Genealogy, Typology and Architectural Significance
TERC Verlag Budapest 2017
ISBN 978-615-5445-08-8
703 S., zahlr. Ill.
Text engl.
[Originaltitel: Zsinagógák Magyarországon 1782–1918: fejlődéstörténet, tipológia és építészeti jelentőség. TERC, Budapest 2011]
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