Ausstellung: Flamboyance, Gemälde von Máté Orr – Ungarisches Kulturinstitut Stuttgart – 2020

Flamboyance – phantastische Welten 

– Die erste Ausstellung im neuen ungarischen Kulturinstitut in Stuttgart zeigt Gemälde von Máté Orr – 

Klaus J. Loderer

Ein markantes großformatiges Gemälde ist gerade der Blickfänger im Eingangsbereich der neuen Räume des neuen Ungarischen Kulturinstuts in Stuttgart. »Waschen Sie zuerst Ihre Birnen« lautet der Titel. Tatsächlich weist ein leuchtend roter Speer, der unseren Blick diagonal in die rechte untere Ecke lenkt, auf zwei grüne Birnen hin. Überaus realistisch sind sie gemalt. Man mag sie fast von dem roten Tischchen wegnehmen und anbeißen. Auch der Glaskrug ist realistisch gemalt. Ganz im Gegensatz zu dem kleinen roten Tischchen mit den Rehbeinen. Es ist unter bewusstem Verzicht auf jegliche Zentralperspektive in isometrischer Projektion dargestellt. Allerdings sieht man nur die äußere Kontur des Symbols Tischchen. Auf die Darstellung der Kanten hat der Maler verzichtet. Der Fußboden mit quadratischen Fliesen ist in der Darstellung noch weiter von den superrealistischen Birnen entfernt. Wir sehen ihn gewissermaßen hochgeklappt. Das Zentrum des Bilds nimmt allerdings ein wieder ganz realistisch gemalter nackter Reiter ein. Den Saurier, auf dem er reitet, sehen wir wiederum nur als Fläche. Dass der Reiter statt eines Männerkopfes einen ganz flächig gemalten Hahnenkopf besitzt, treibt das Spiel der Malweisen noch weiter.

»Waschen Sie zuerst Ihre Birnen«, Gemälde von Máté Orr 2016
Fotos: Klaus J. Loderer
Dass realistisch gemalte Motive mit Elementen, die wie aus farbigen Papieren ausgeschnitten wirken, kontrastieren, gehört zu den Dingen, mit denen Máté Orr die Betrachter verwirrt. Eigentlich unvereinbare Stilrichtungen vereinigt er in seinen Bildern. Noch verwirrender wird die Sache, wenn man die Perspektiven genauer anschaut. Die realistischen Objekte sind natürlich in perspektivischer Verkürzung. Andere Motive zeigt er in Isometrie. Man hat fast den Eindruck, es ist eine Umkehrperspektive. Der Vergleich mit einem mittelalterlichen Tafelbild scheint bei manchen Bildern gar nicht so unpassend. Und sofern Máté Orr überhaupt einen Fußboden zeigt und die Bildmotive nicht einfach in einer undefinierbaren Fläche schweben lässt, dann stellt er ihn einfach von oben dar – ohne jegliche Verkürzung malt er Fliesenfußböden als drastisch geometrisches Muster. In gewisser Weise paart Máte Orr die altmeisterliche Malerei mit konkreter Kunst, Kubismus, Comic und Op-Art.

Und auch Symbolismus und Surrealismus ist nicht zu vergessen. Denn die Bildmotive sind nicht einfach Abbildungen der Welt. Der Fuchs in »Fuchs mit Samtohren« mag ja einfach als Tier durchgehen, auch wenn ein Fuchs normalerweise nicht auf einem Sofa sitzt. Oft sind Tiere und Menschen bei Máté Orr aber Mischwesen wie der eingangs beschriebene Reiter mit Hahnenkopf. Auf einem Bild sieht man Hasen mit Leopardenfell. Im Bild »Flamingo und Frosch« sitzen ein Mann und eine Frau an einem Tisch. Die Frau trägt über dem blauen Kleid eine absurde Halskrause, aus der ein Flamingokopf mit langem Hals herauskommt. Der Mann hat einen Froschkopf. Er hält mit einer Hand ein Hühnerei, aus dem ein Wesen zu schlüpfen scheint, dessen Beine an einen Flamingo  erinnern. Das mag bei einem Vogel ja noch passen. Doch auf dem Bild liegt noch ein zweites Ei – und daraus schlüpft ein Frosch.

Gemälde von Máté Orr im Ungarischen Kulturinstitut in Stuttgart
Das Motto der Ausstellung, Flamboyance, ist der Titel eines Bildes mit drei Flamingos mit verschlungenen Hälsen, einer ganz realistisch gemalt, zwei in starker Vereinfachung. Unter ihnen liegt auf einem Fliesenfußboden ein zusammengekrümmter nackter Mann. Manche Motive kehren immer wieder, Männer im Anzug mit dem Kopf eines Rehbocks, der rote Samtvorhang, der Saurier, der Kohlkopf. Nicht von ungefähr sind Assoziationen mit Werken eines Giorgio de Chirico oder Max Ernst oder gar mit den fantastischen Wesen eines Hieronymus Bosch angebracht. Die gedeckten Tische verweisen auf niederländische Stillleben des sog. Goldenen Zeitalters. Und immer wieder baut Máté Orr Zitate aus der Kunstgeschichte ein.

Eine Endzeitstimmung beschwört das Bild »Das Ende der Welt«: ein stilisierter Saurierkopf kommt aus einem realistisch gemalten Rückenakt hervor. Im Hintergrund sehen wir die Silhouette einer brennenden Stadt. Auch Kritik an besonderen Gepflogenheiten findet sich. Im Bild »Ortolan« ist ein Mann mit von einer Serviette bedecktem Kopf kurz davor mit seiner Gabel einen Vogel, einen Ortolan, eine tatsächlich in manchen Ländern als Delikatesse verspeiste Ammerart, aufzuspießen. Die Vogelwelt mit Gockel, Flamingo, Gans, Reiher etc. umgibt ihn dabei mahnend.

»Abendessen für eine Person«, Gemälde von Máte Orr 2019
Ganz und gar in eine aberwitzige Situation führt uns Máté Orr mit dem Bild »Abendessen für eine Person« – dessen englische Titelfassung »Dinner for one« der deutsche Betrachter natürlich sofort mit dem berühmten englischen Sketchs  verbindet. In diesem Fall ist es ein junger Mann, der alleine an einem Tisch sitzt und Pilze zerlegt. Er sitzt auf einem detailliert gemalten roten Stuhl. Das Tischtusch hebt ein links stehender nackter Mann mit Pfauenkopf hoch. Unter dem Tischtuch wird eine Ecke des Tischs sichtbar – im Gegensatz zu den Falten des Tischtuchs ganz und gar flächig stilisiert. Doch fließt das Fliesenmuster des Fußbodens nach oben und geht in einen Saurier über, der auf dem Tisch steht. Der junge Mann nimmt diesen gar nicht wahr. Saurier und Pfau scheinen aber in einen unhörbaren Dialog zu treten.

Máté Orr wurde 1985 in Veszprém geboren. Früh begann er mit künstlerischer Beschäftigung. 2006 wurde ihm in der Sparte Buchillustration des Pannoncolor-Preises der zweite Platz zuerkannt. In dieser Zeit war er auch schon an Ausstellungen in Budapest beteiligt. In Budapest studierte er ab 2008 an der Akademie der bildenden Künste, zuerst in der Abteilung für Grafik bei Alajos Eszik und Tibor Somorjai Kiss, dann Malerei bei Gábor Nagy, Ákos Wechter und János Kósa. Immer wieder wurde er eingeladen seine Arbeiten bei internationalen Kunstmessen zu zeigen, so 2012 bei der Art Peking und 2013 bei der Art Monaco. Erste Einzelausstellungen waren 2011 im Nemzeti Táncszínház in Budapest und in der Ari-Kupsus-Galerie in Budapest, die ihn von da an regelmäßig ausstellte. Die Fairhurst Gallery im englischen Norwich präsentierte ihn 2017. 2019 und 2020 zeigte die Galerie Várfok seine Arbeiten an ihrem Stand bei der Art Karlsruhe.

Bei der Ausstellungseröffnung am 6. Februar im Ungarischen Kulturinstitut in Stuttgart begrüßte Dezsö Szabó die Gäste. Die Direktorin der Galerie Várfok in Budapest Krisztina Kovács führte in das Werk ein. Die Ausstellung ist bis zum 27. März 2020 zu sehen.

Ausstellung
Flamboyance
Gemälde von Máté Orr
Ungarisches Kulturinstitut
Christopher. 7
Stuttgart
6. Februar – 27. März 2020

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