Opernkritik: Leoš Janáčeks „Jenůfa“ – Deutsche Oper Berlin – 2020

Die Erinnerungen der Küsterin 

– Deutsche Oper Berlin spielt Christof Loys Inszenierung von Leoš Janáčeks „Jenůfa“ wieder – 

von Klaus J. Loderer

Dass die Deutsche Oper Berlin ihre „Jenůfa“ aus dem Jahr 2012 wieder in den Spielplan genommen hat, ist erfreulich. Die ruhige und doch effektvolle Bildgestaltung der Inseznierung von Christof Loy entfaltet auch heute noch ihre Wirkung. Was die Stimmen angeht, interessieren sich die Opernfreunde bei „Jenufa“ vor allem für eine Rolle, nämlich wie die Küsterin im zweiten Akt ist. Nach Emilia Marty hat Evelyn Herlitzius an der Deutschen Oper wieder eine große Janacsek-Partie übernommen. Ihr dramatischer Applomb sorgt für eine eindrückliche Rollengestaltung, die am Ende vom Publikum mit stürmischem Jubel quittiert wird. Wir haben Teil an der schwierigsten Entscheidung im Leben der Küsterin, die versucht durch die Ermordung ihres neugeborenen Enkelkinds ihrer Tochter eine bürgerliche Zukunft zu verschaffen. Das vermittelt uns Evelyn Herlitzius glaubhaft und mit Einfühlsamkeit für die seelische Zerrissenheit der Rolle.

„Jenůfa“ an der Deutschen Oper Berlin: Renate Behle (Alte Buryia), Robert Watson (Laka) und Rachel Harnisch (Jenůfa) Foto: Bettina Stöß
Überhaupt ist schon der Beifall nach den Akten lang anhaltend, im Schlussapplaus feiert das Publikum die Vorstellung mit vielen Bravos. Standing Ovations bleiben zwar solitär, aber immerhin, es gibt sie. Es ist wie oft, das Haus ist zwar nicht voll aber die Anwesenden sind interessiert und fiebern umsomehr mit. Dabei finde ich nicht alle musikalischen Aspekte überzeugend. Das Orchester der Deutschen Oper ist gut geprobt, es spielt klar und technisch überzeugend und mit einer bemerkenswerten Durchsichtigkeit, was die Hörbarkeit der einzelnen Instrumente angeht. Aber das Dirigat bleibt seltsam flach. Schon im Vorspiel fehlen die sonst gehörten Akzente fehlen. Ich hätte erwartet, dass „Jenůfa“ in diesem großen Zuschauerraum knallt. Nicht in dieser Vorstellung. Eher lieblich und weich gestaltet Donald Runnicles die Instrumentierung und nimmt auch den dramatischen Stellen im zweiten Akt die Härte.

„Jenůfa“ an der Deutschen Oper Berlin: Rachel Harnisch (Jenůfa) und Evelyn Herlitzius (Küsterin)Foto: Bettina Stöß
Die Küsterin ist in der Inszenierung von Christof Loy von Anfang an auf der Bühne. Noch vor dem Vorspiel betritt sie einen kahlen weißen Raum, in dem es nur einen Tisch und einen Stuhl gibt, es mag ein Vernehmungszimmer bei der Polizei sein. Mit dem Einsetzen der Musik sehen wir die Oper als Rückblick in der Erinnerung der verhafteten Küsterin. So ist sie auch im ersten Akt fast dauerhaft anwesend, in dem sie eigentlich nur einen kurzen Auftritt hat. In der Inszenierung steht auch die Bürgermeisterfamilie dekorativ und stumm herum, die normalerweise erst im dritten Akt vorkommt. Diese Idee verdeutlicht, wie die Familie Buryja in das gesellschaftliche Gefüge des Dorfs eingebunden ist. Der anfänglich enge Raum weitet sich im Laufe des ersten Akts zum Breitbandbild. Ein golden leuchtenes Feld vor blauem Himmel bildet den Hintergrund für die Rückkehr der Burschen von der Musterung. Bühnenbildner Dirk Becker bietet damit eine farbenfrohe Überraschung im anfänglich rein weißen Bühnenbild. Im ersten und dritten Akt bieten die Kostüme von Judith Weihrauch weitere Farbakzente, im ersten Akt das rote Kleid von Jenůfa, im dritten die Trachten der Mädchen. Zu Beginn des zweiten Akts sehen wir den Ausblick in eine verschneite Landschaft mit einsamen Strommasten. Im dritten Akt erkennen wir nur durch die Tür, dass der Schnee zum Teil geschmolzen ist. Ansonsten ist das Bühnenbild sparsam. Mit dem Auffinden der Kinderleiche und dem Hereindrängen der Menschen verengt sich der Breite Raum wieder zu einem kleinen Zimmer – ein eindrückliches Bild. Überhaupt ist es ein schöner Effekt, wie zu Beginn jeden Akts sich die Bühne aus einem sich verbreiternden Schlitz entwickelt.

Was die anderen Sänger angeht, ist es in dieser Vorstellung Robert Watson als Stiefbruder Laka, auf den die Aufmerksamkeit fällt. Die Interpretation seiner Rolle ist als Entwicklung angelegt, die sich schon im Kostüm deutlich zeigt: aus dem draufgängerischen Tunichtgut wird ein braver Bürger im schwarzen Anzug, eine Entwicklung, die Watson auch in der stimmlichen Gestaltung gut vermittelt. Ist er im ersten Akt von der Leidenschaft für Jenufa getrieben, wird er im zweiten Akt ruhiger und bildet im dritten Akt auch musikalisch einen stabilen Anker.

Auch Jenůfa macht eine Entwicklung mit, vom munteren und ein wenig eitlen Mädchen (wirkungsvoll im knallroten Kleid) zur tragischen Mutterfigur und gebrochenen Frau. In den Schattierungen von Rachel Harnischs Sopran offenbart sich diese Entwicklung nachvollziehbar.

Etwas angeschlagen scheint Ladislav Elgr als Števa. In der Höhe wird seine Stimme unangehm scharf. Ruhig gestaltet Renate Behle die alte Buryja. Mit großer stimmlicher Qualität fällt unter den Nebenrollen Philipp Jekal als Altgesell auf. Immerhin noch aus der Premierenbesetzung ist Nadine Secunde wieder als Rychtářka, die Frau des Bürgermeisters, zu hören – ebenso Stephen Bronk als Bürgermeister und Fionnuala McCarthy als Schäferin. Mit Präzision erfreut der Chor der Deutschen Oper Berlin.

Besuchte Vorstellung: 17. Januar 2020
(11. Vorstellung seit der Premiere am 4. März 2012)
Deutsche Oper Berlin

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