Premierenkritik: „Fatinitza“, Operette von Franz von Suppé – Baden bei Wien – 2019
Wenn die Angebetete ein Wladimir ist
– Bühne Baden zeigt Operettenrarität „Fatinitza“ von Franz von Suppé –
von Klaus J. Loderer
Über das russische und noch mehr das türkische Militär durfte im Wien der Kaiserzeit natürlich herzlich gelacht werden. Choreograph und Regisseur Leonard Prinsloo überzeichnet das Militär in seiner Inszeneriung der Operette „Fatinitza“ im Stadttheater Baden dann noch etwas mehr. Je höher der Rang, desto lächerlicher darf man sich machen, was natürlich in einem grotesk überzeichneten General kumuliert. Und da Fatinitza schon eine Hosenrolle ist, hat Ausstatterin Monika Biegler im Show-Finale geschlechtervertauschend die schnurrbärtigen Herren mit Strapsen und die Damen mit Melonen versehen. Bei der Militärthematik erstaunt es nicht, dass Franz von Suppé mit fetzigen Marschmotiven aufwartet, doch auch für lieblich-einschmeichelnde Klänge sorgt. Man hört, dass ihm Offenbach und Donizetti nicht fremd waren. Die musikalischen Stimmungsbilder gestaltet Franz Josef Breznik mit dem Orchester der Bühne Baden. Chor und Ballett der Bühne Baden beleben die Szene als Soldaten, Haremsdamen und Volk.
Beppo Binder, Reinhard Alessandri, Robert Kolar und Chor
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Die Bühne Baden hat sich unter ihrem Intendanten Michael Lakner als Operettenraritätenbühne südlich von Wien etabliert. In dieser Spielzeit ist es gleich ein ganzer Reigen selten gespielter Operetten: „Die Rose von Stambul“, „Drei Walzer“, „Die blaue Mazur“ und einleitend „Fatinitza“. Von deren Komponist Franz von Suppé erfreuten sich vor allem die Ouvertüren zu „Leichte Kavallerie“, „Dichter und Bauer“ und „Die schöne Galathée“ durchgängiger Beliebtheit, ansonsten sind seine Werke leider eher vergessen, auch wenn Galathée gelegentlich einmal auf einer Bühne zum Leben erweckt wird (etwa kürzlich in Dresden – wir berichteten). „Boccaccio“ war vor einiger Zeit immer noch auf den Spielplänen zu finden. Und in großen Abständen taucht gelegentlich „Fatinitza“ auf, zuletzt 2012 in Mainz. Dabei war „Fatinitza“ dereinst eines der Erfolgstücke Suppés. Nach der Uraufführung am Wiener Carltheater 1876 lief es schon bald, in zehn Sprachen übersetzt, rund um den Globus. Und in Wien kann man immerhin im Fatinitzaweg wohnen.
Die Librettisten Richard Genée und der unter dem Pseudonym F. Zell schreibende Camillo Walzel griffen für auf ein Libretto von Eugène Scribe für Aubers Oper „La Circassienne“ zurück, das wiederum auf einer Geschichte aus dem 18. Jahrhundert basierte. Angeblich hatte Johann Strauß das Textbuch abgelehnt, doch das könnte auch nur eine der vielen Mythen um Franz von Suppé sein. Der brachte seit 1860 eine Vielzahl von Operetten auf die Bühnen Wiens und gilt nicht zu unrecht als Schöpfer der Wiener Operette.
Thomas Zisterer und Franz Suhrada
Foto: Christoph H. Breneis
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Um was geht es in „Fatinitza“. Gleich vorweg: Fatinitza gibt es nicht. Allerdings meint der russische General Kantschukoff, dass es sie gibt, denn er liebt sie. Dass er eigentlich ein Phantom liegt, erfährt er übrigens bis zum Schluss nicht. In der Vorgeschichte der Operette hat er sich bei seiner (nicht in der Operette auftauchenden) Schwägerin Katinka in deren Gesellschafterin Fatinitza verliebt. Diese war aber Wladimir, der in Verkleidung Katinka zu verführen trachtete. Wladimir machte aber auch schon der Fürstin Lydia den Hof, was deren Onkel General Knatschukoff dadurch beendete, dass er Wladimir auf die Krim versetzte. Im ersten Akt der Operette, der im Krimkrieg spielt, prallen nun beide Liebeshändel aufeinander. Im ungünstigsten Moment kommt der General auf die Idee, die Truppen zu inspizieren. Reinhard Alessandri mischt in heftiger Überzeichnung als dümmlicher General mit schnarrendem Ton die Soldaten auf, assistiert von Daniel Greabu als sein peitschenknallender Bursche. Dummerweise hat Wladimir genau in dem Moment auch noch Frauenkleider an, weil die Soldaten sich mit einem Theaterspiel die Zeit vertreiben wollen, und sieht also wieder genau aus wie Fatinitza. Ein fescher Leutnant ist Mezzosopranistin Bea Robein ebenso wie eine leidenschaftliche Fatinitza. Und dann kommt auch noch die Generalsnichte Lydia – Regina Riel ganz damenhaft mit schönem Sopran. Dann werden Lydia und Fatinitza von den Türken entführt und landen im Harem von Izzet Pascha. Theaterurgestein Franz Suhrada darf mit seinem speziellen Charme in einem Couplet über Gott und die Welt herziehen (Alternierend spielt René Rumpold den Pascha). Mit einem Trick und unterstützt von den eifersüchtigen Harmensdamen, die keine russischen Frauen im Harem haben wollen, sorgt Wladimir für die Eroberung der Festung durch die russischen Truppen. In Odessa hilft dann schließlich der Journalist Julian von Golz (Thomas Zisterer) zum Happy End. Kantschukow wartet auf die Rückkehr von Fatinitza. Wladimir verspricht ihm als angeblicher Bruder von Fatinitza deren Hand, wenn er Lydia heiraten darf. Diese Hochzeit wird auch schnell durchgeführt. Die eintreffende Fatinitza stellt sich schnell als eine falsche Fatinitza heraus und von der echten erfährt der General in einem gefälschten Brief, dass sie sich aus Verzweiflung das Leben genommen habe.
Regina Riel, Bea Robein, Robert Kolar, Chor und Ballett der Bühne Baden |
Wladimir-Fatinitza ist mal Leutnant, mal Frau. Diese Doppeldeutigkeit ist durch eine Hosenrolle gelöst, wodurch die Sache noch doppeldeutiger wird, also eine Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt. Hoffmannsthal hat dieses Motiv dreißig Jahre später im dritten Akt der Oper „Der Rosenkavalier“ eingesetzt. In „Fatinitza“ gibt es sogar noch weitere Hosenrollen, denn die russischen Kadetten sind Choristinnen. Dieses Geschlechterspiel hat Choreograph und Regisseur Leonard Prinsloo noch weiter ausgereizt, indem die zentrale Haremsdame von einem Tänzer dargestellt und das Finale gewissermaßen zu einem Travestieball wird. Fatinitza II ist denn auch Schauspieler Robert Kolar glatzköpfig in Robe, der übrigens auch den Text aktualisiert und neu pointiert hat und am Anfang als witziger Buffo Sergeant Bieloscurim Pep auf die Szene bringt.
Als Spielfläche stellt Ausstatterin Monika Biegler eine ansteigende Fläche zur Verfügung, deren Streifen sich perspektivisch verkürzen und mit der kreisförmigen Rahmung zu einer Art stilisiertem Sonnenaufbau ergänzen. Rote Kissen deuten im zweiten Akt den Harem an. Es bleibt bei diesen dezenten aber ausreichenden Andeutungen. Den Hintergrund bilden Videoprojektionen von Aron Kitzig, auf die man auch hätte verzichten können.
Besuchte Vorstellung: Premiere am 14. Dezember 2019
Stadttheater Baden
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