Buchbesprechung: Eine vergessene Operettenbühne in Wien, das Harmonie-Theater im Alsergrund
„Kais. kön. priv. Harmonie-Theater“ – Operettentheater, Varieté, Schauspielhaus
– Ein Heft des Bezirksmuseums Alsergrund erinnert an ein vergessenes Theater in der Wasagasse in Wien –
von Klaus J. Loderer
Das Alseum, das Heimatmuseum des Alsergrunds, also des IX. Wiener Stadtbezirks, ist vor allem berühmt durch seine Sammlungen zu den Schriftstellern Heimito von Doderer und Erich Fried. Die berühmte Strudelhofstiege ist ja nur wenig entfernt. Neben einer schönen Sammlung alter Handwerkerschilder, die früher an den Häusern auf die Gewerbe aufmerksam machten, findet man im Museum auch eine kleine Abteilung zu den Theatern des IX. Bezirks. Das wichtigste Theater ist bis heute die Volksoper. Es gab aber noch eine Reihe kleinerer Theater, zu denen man Plakate, Programmzettel und Fotos sehen kann. So gibt es etwa Material zum Harmonie-Theater in der Wasagasse, das später Danzers Orpheum und schließlich Neue Wiener Bühne hieß. Ein neueres Foto zeigt das Gebäude heute. Längst ist es kein Theater mehr.
Blick durch die Harmoniegasse zum ehemaligen Harmonietheater Foto: kjl |
Meine Neugier war geweckt und so machte ich mich am nächsten Tag darauf, die Gegend zu erkunden. Ich spazierte die Liechensteinstraße stadtauswärts und bog in die Harmoniegasse ein. Zumindest noch der Straßenname erinnert an das Theater. Ein Hotel nennt sich dort The Harmonie. Doch am Ende der Straße ragt es auf, das ehemalige Harmonietheater in der Wasagasse. Höher als die umstehenden Mietshäuser ist es, die Fassade repräsentativ mit Karyathiden geschmückt. Und oben thront eine Figurengruppe: zwei Frauen mit Lyra und Lorbeerkranz. Man erkennt im Erdgeschoss noch die Bögen der einstigen Zu- und Ausgänge. Doch bis auf diese Details ist das Gebäude heute ein normales Wohnhaus. Der beim Bau des Gebäudes noch unbekannte Architekt wurde später sehr prominent. Es handelt sich um Otto Wagner.
Als Heft 194 in der Reihe „Beiträge zu Geschichte und Gegenwart des IX. Bezirks“ hat das Bezirksmuseum Alsergrund ein Heft über das Theater herausgegeben, in dem verschiedene Texte und Materialien vereinigt wurden. So findet man freundlicherweise auf Seite 23 den Ausschnitt einer Flurkarte von 1875, in der das Theater als solches vermerkt ist. Es liegt ja durchaus etwas versteckt unterhalb des Parks des Gartenpalais’ Dietrichstein zwischen der Liechtensteinstraße und der Währinger Straße.
Als Reprint ist ein Text zum vierzigjährigen Jubiläum des 1866 eröffneten Theaters abgedruckt. Wir erfahren gleich, dass die Geschichte des Schauspiel und Operette spielenden Harmonietheaters durchaus große Namen aufweisen kann. Der Volksstückeautor Ludwig Anzengruber spielte unter dem Pseudonym Gruber, zweiter Kapellmeister war der später bekannte Operettenkomponist Karl Millöcker. Robert Löwe, der gerade kurz vor der Eröffnung sein eigentliches Orpheum in der Lothringerstraße durch einen Brand verloren hatte, machte aus dem Harmonietheater eine Varietébühne und ließ es gleich umbauen. 1872 übernahm Eduard Danzer das Theater, an den über viele Jahrzehnte der Name Danzer’s Orpheum erinnerte. Mit dieser Epoche befasst sich auch ein historischer Text von Eduard Danzer, dem Sohn des Theaterdirektors. Und als Illustrationen sind zwei Zeitungsnotizen zu seinem Tod abgedruckt. Man muss sich das Parkett des Theaters in dieser Zeit mit Tischen und Bewirtung vorstellen.
Direktor Gabor Steiner ließ das Theater noch einmal umbauen und bot ab 1900 verstärkt Operetten und große Revuen an, etwa „Venus auf Erden“ von Paul Lincke. Auf den Fotos von „Die Ringstraßenprinzessin“ ist extra vermerkt: „Riesen-Ausstattung“. Man findet auch die kuriose Gattungsbezeichnung „hysterisch-plastisches Möbeldrama“. Als Neue Wiener Bühne wurde das Theater ab 1908 wieder eine Sprechbühne. Es scheint erst jetzt im Parkett eine Theaterbestuhlung eingebaut worden zu sein. E. M. Kronfeld geht in seinem Text auch noch auf die letzte Zeit ein. Er schließt: „Der Rest ist Autobenzin. Es wird in die Versenkung eingefüllt werden, aus der die Theatergeister emporgestiegen sind.“ 1928 wurde das Theater geschlossen. Es scheint wohl eine Autogarage eingezogen zu sein.
Weit in die Geschichte zurück geht eine im Mittelalter spielende Erzählung von Auguste Groner, die an Magdalenenkloster am Alserbach erinnert. Illustriert ist das Heft mit Plakaten, Programmzetteln, Zeitungsausschnitten, alten Fotos. So kann man sich ein gewisses Bild davon machen, was dort gespielt wurde und wie das Theater einmal ausgesehen hat. Es scheint mit seiner Neorokokoausstattung ein durchaus ansehnlicher Zuschauerraum gewesen zu sein.
Beiträge zu Geschichte und Gegenwart des IX. Bezirks
Mitteilungsblatt des Bezirksmuseums Alsergrund
50. Jahrgang, 194, März 2009
[Red. Willi Urbanek]
Heimatmuseum Alsergrund
Wien
AU ISSN 0017-9809
31 S., zahlr. Ill.
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