Ausstellung über die Familie Ephrussi – Jüdisches Museum Wien

„Die letzte schöne, mondäne Frau und sonst nichts“ 

– Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Wien spürt als Zeitreise der Familie Ephrussi nach – 

von Klaus J. Loderer

157 Netsukes stehen im Zentrum einer Ausstellung über die Familie Ephrussi. Diese kleinen Figürchen aus Japan, die zur Befestigung eines Behältnisses am Gürtel des Kimonos dienten, sind in Vitrinen aufgestellt und begleiten die Familiengeschichte. Sie wurden dem Jüdischen Museum Wien von der Familie de Waal leihweise zur Verfügung gestellt nachdem die Familie dem Museum das Archiv der Familie Ephrussi schenkte. Ein Netsuke inspirierte Edmund de Waal zum Titel seines Romans „Der Hase mit den Bernsteinaugen“, in der er der spannenden und wechselvollen Geschichte seiner Familie nachspürt. Diese Familiegeschichte führt in das Wien der Ringstraßenzeit zurück. Die Ausstellung zeichnet nun die Familiengeschichte als Reise durch die Zeit und um die Welt nach.

Franzensring (heute Universitätsring) in Wien mit dem Palais Ephrussi 1903. Holzschnitt von F. W. Bader nach einer Zeichnung von L. E. Petrovits
c Jüdisches Museum Wien
Am Schottentor erhebt sich gegenüber der Universität noch heute markant und eindrucksvoll das Palais Ephrussi. Ignaz Ephrussi beauftragte 1869 den Architekten Theophil Hansen. Äußerlich bildet das Gebäude mit dem benachbarten Palais Lieben eine Einheit. Mit Plänen und Entwurfszeichnungen wird das Palais in der Ausstellung vorgestellt. Ein kleines Tischchen erinnert an die einstmals luxuriöse Möblierung.

Ausstellung im Jüdischen Museum Wien: Ignaz von Ephrussi
Foto: Klaus J. Loderer
Ignaz Ephrussi übernahm das von seinem Vater 1856 in Wien gegründete Handelshaus und heiratete in eine wichtige jüdische Familie ein. Der Großvater seiner Frau Emilie war der Textilunternehmer und Vorsteher der jüdischen Kultusgemeinde Hermann Todesco. Ignaz’ Bruder Leon führte das Stammhaus in Odessa weiter. 1871wurde Ignaz Ephrussi von Kaiser Franz Joseph in den erblichen Adelsstand erhoben.

Einleitend bietet die von Gabriele Kohlbauer-Fritz und Tom Juncker kuratierte Ausstellung einen Stammbaum der Familie, der die Verzweigungen zeigt. Die Gliederung widmet sich zuerst Wien und dann den rund um die Welt lebenden Nachkommen der Familie. Lebensgroß vergrößert gliedern die Porträtfotos der wichtigen Familienmitglieder die Ausstellung.

Ausstellung im Jüdischen Museum Wien: Emmy von Ephrussi geb. Schey von Kormola
Foto: Klaus J. Loderer
Ignaz’ Schwiegertochter Emmy wurde von Elsa Tauber 1918 charakterisiert, die vielleicht „letzte schöne, mondäne Frau und sonst nichts weiter in einer Zeit gewesen zu sein, da Frauen noch glücklich und sorglos sich und anderen zur Freude leben durften.“ Die Ausstellung zeigt sie in alten Fotos als elegante Erscheinung. Emmy Schey von Kormola war die Frau von Ignaz’ Sohn Viktor. Die politischen Änderungen nach dem Ersten Weltkrieg brachten auch für die Familie Ephrussy. Emmys Tochter Elisabeth gehörte zu den ersten Frauen, die studieren konnten. Mit einem Rockefeller-Stipendium konnte sie gar für ein Jahr nach New York. Ihr Bruder Ignaz verließ Ende der 1920er-Jahre in die neue Welt. Schwester Gisela zog 1925 nach Spanien. Für den in Wien verbliebenen Teil der Familie wurde der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich problematisch. Die Gestapo verhaftete 1938 Viktor Ephrussi und seinen jüngsten Sohn Rudolf. Unter Androhung der Internierung unterschrieb Viktor eine Verzichtserklärung auf seinen gesamten Besitz, darunter das Palais am Schottentor und das Bankhaus in der Wasagasse. In das Palais Ephrussi zog der NS-Ideologe und Reichsleiter Alfred Rosenberg. Die Kunstwerke wurden an verschiedene Museen und Kunsthändler verteilt. Man findet in der Ausstellung einen Brief, mit dem dem Museum in Lübeck ein Gemälde angeboten wurde. Dieses Bild restituierte die Stadt Lübeck erst 2004. Die 2000 Bände umfassende Bibliothek kam in die Nationalbibliothek. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren nur noch 410 Bücher auffindbar, die an die Familie zurückgegeben wurden. Die Kinder Viktors machten weitere Ansprüche geltend. 1949 und 1950 wurde ein Teil des geraubten Familienvermögens restituiert. Im Jahr 2000 erstattete die österreichische Bundesmobilienverwaltung vierzehn Objekte zurück.

Übrigens verließ 1871 auch Ignaz’ Bruder Leon Ephrussi Odessa und übersiedelte nach Paris. Als „Könige des Getreides“ wurde die Familie in Paris bekannt und bezog ein Palais an der Rue de Monceau. Die Söhne Ignace und Charles zogen 1891 in ein größeres Palais an der Rue d’Iena.

Ausstellung im Jüdischen Museum Wien: Charles Ephrussi
Foto: Klaus J. Loderer
Ausführlich geht die Ausstellung auf Charles Ephrussi ein, der eines der Vorbilder für Swann in Marcel Prousts Rman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ gewesen sein soll. Charles Ephrussi legte eine bedeutende Kunstsammlung an und forschte in seinen kunsthistorischen Studien über Albrecht Dürer. Doch interessierte sich Charles Ephrussi auch für moderne Kunstrichtungen. So erwarb er mit großzügigen Honoraren Bilder der Impressionisten. Die Ausstellung erzählt die Anekdote von Edouard Manet, der nach dem Erhalt eines Honorars von 10000 Francs für das Stillleben „Spargelbündel“ sich mit dem Bild eines einzelnen Spargels und der Botschaft bedankte: „aus dem Bund hat einer gefehlt.“ Interessant ist das Verhältnis zwischen der Familie Ephrussi und dem Maler Pierre-Auguste Renoir. Dieser porträtierte Charles Ephrussi und seinen Sekretär Jules Laforgue in seinem Gemälde „Frühstück der Ruderer“. Das Bild spielt im Film „Die wunderbare Welt der Amélie“ eine gewisse Rolle. Unter den skurrilen Gestalten des Films ist ein Maler, der jährlich gerade dieses Bild kopiert. Renoir malte auch Charles Tante Thérèse Fould. Allerdings spottete Renoir auch über Ephrussis Vorliebe für die symbolistischen Bilder des Malers Gustave Moreau. Überhaupt warfen ihm Kritiker immer mal wieder Geschmacklosigkeit vor und deutsche Kunsthistoriker verrissen die Aufsätze des Konkurrenten aus Paris. Das mag durchaus Neid auf den jüdischen Bonvivant gewesen sein. Die Ausstellung kommt natürlich um die zum Teil sehr antijüdische Stimmung im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts, die in der berühmten Dreyfuss-Affäre kumulierte, nicht herum, zumal die Kuratoren auch bei von Charles Ephrussi geförderten Künstler wie Edgar Degas antisemitische Züge finden.

Einen weiteren Raum widmet die Ausstellung dem Ehepaar Maurice Ephrussi und Béatrice Rothschild.  Er interessierte sich für Rennpferde, sie wurde berühmt durch angebliche Hundehochzeiten, die sie in ihrer Villa in Saint-Jean-Cap-Ferrat an der Côte d’Azur veranstaltet haben soll.

Der nächste Raum kehrt zur Wiener Linie zurück und stellt das Landgut Kövecses der Familie Schey vor. Durch den Vertrag von Trianon lag dieses Gut nach dem Ersten Weltkrieg in der neugegründeten Tschechoslowakei. Das war für die nun besitzlosen Viktor und Emmy Ephrussi ein Glück. Das Landgut ihrer Eltern wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten auch in Österreich zu ihrem Zufluchtsort. Die einst so mondäne Emmy starb durch die Strapazen. Viktor gelang die Flucht zu seiner Tochter Elisabeth de Waal nach England. Sie war anlässlich ihrer Hochzeit zur Church of England konvertiert. Ihr Sohn Victor de Waal wurde Theologe und war Dekan von Canterbury. Mit Elisabeths Geschwistern zerstreute sich die Familie rund um den Globus.

Ausstellung
Die Ephrussis
Eine Zeitreise

6. November 2019 bis 8. März 2020
Jüdisches Museum Wien
Palais Eskeles
Dorotheergasse 11, Wien, I. Bezirk






Ausstellung im Jüdischen Museum Wien: Charles Ephrussi und seine Dürer-Monographie
Foto: Klaus J. Loderer

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