Roland Schwab inszeniert Wagners „Lohengrin“ in der Felsenreitschule – Landestheater Salzburg – 2019

Flugzeugabsturz in Salzburg 

– Salzburger Landestheater produziert Wagners „Lohengrin“ in einem spektakulären Bühnenbild in der Felsenreitschule –

von Klaus J. Loderer

Es ist sicherlich das spektakuläre Bühnenbild, das vom Salzburger „Lohengrin“ in Erinnerung bleiben wird. Ein Flugzeug-Wrak, ein riesiges Flugzeug in voller Größe liegt im recht dunkel belassenen Theatersaal. Die Flügel sind abgerissen, das Heck ist abgebrochen, große Löcher klaffen im Rumpf. Die gesamte Bühne ist von Wrakteilen bedeckt. Das ist ein Wow-Bühnenbild. Raffiniert ist die effektvolle Beleuchtung. Wie überhaupt den ganzen Abend über eine bemerkenswerte Lichtführung auszeichnet.

Lohengrin – Chor und Extrachor des Salzburger Landestheaters, Philharmonia Chor Wien und Mozarteumorchester Salzburg
© Anna-Maria Löffelberger
Natürlich liegt dieses Flugzeug nicht auf der Bühne des Neorokokosaals des Landestheaters Salzburg. Diese wäre dafür zu klein. Das Landestheater bespielt mit „Lohengrin“ die Felsenreitschule. Dieses neben dem großen Festspielhaus und dem Haus für Mozart dritte Theater im Festspielhauskomplex hat die Besonderheit, dass Bühne und Zuschauerraum räumlich nicht getrennt sind. Von den steil aufsteigenden Sitzplätzen, die an Kirchenbänke erinnern, schaut man auf eine senkrechte Felswand eines ehemaligen Steinbruchs, der 1693 von Johann Bernhard Fischer von Erlach mit drei in den Stein geschnittenen Arkadenreihen als Sommerreitschule gestaltet wurde. Diese Arkadengalerien bilden den dauerhaften Hintergrund der breiten Bühne. Die Bühne ist nicht nur breit, sie ist mit 40 Metern sehr breit. Sie ist so breit, dass man ein ganzes Flugzeug daraufstellen kann. Und genau das hat Bühnenbildner Piero Vinciguerra getan. Es gelingt Regisseur Roland Schwab vorzüglich die große Bühne mit Handlungen zu füllen. Doch trotz all dieser Mini- und Parallelhandlungen gelingt es ihm, die Haupthandlung zu fokusieren und eine stringente Abfolge aufzubauen. Das gelingt natürlich nur durch die Mitarbeit der vielen Menschen auf der Bühne, die engagiert zu diesem großen Bühnenspiel beitragen.

Es ist ein Flugzeugwrak der erfundenen Brabant-Air, das da liegt. Man erkennt das Wappen von Brabant mit dem goldenen Löwen. Der Pilot hat wohl im Schnürlregen beim Anflug den Flughafen Salzburg verfehlt und ist gegen den Mönchsberg geprallt. So direkt hatten sich die Festpielbesucher den Transfer zu den Festspielen wohl nicht vorgestellt. Diese Menschen aus einer Zeit beiger Popelinmäntel (Kostüme Gabriele Rupprecht) sitzen zum Vorspiel betreten auf der Bühne. Eine Frau hat einen hysterischen Anfall. Einige Menschen haben Thermodecken um die Schultern. Der blinde König ist durch eine goldene Thermodecke als solcher ausgezeichnet. Wie durch ein Wunder haben alle überlebt.

Und damit ist man beim Thema der Inszenierung. Rote Leuchtbuchstaben zeigen das Wort „glauben“. Diese Leute glauben nacheinander an alle möglichen Dinge – wobei sie eigentlich eine Gemeinschaft sein sollen, die zum Glauben nicht mehr fähig ist, wie man in einem Text des Regisseurs Roland Schwab im Programmheft lesen kann. Immer wieder recken sie ihre Arme verehrend und sehnend nach oben. Sie glauben an den Schwan, den das Publikum nicht sieht. Sie glauben an diesen Menschen, der plötzlich im Wrak auftaucht. Sie weihen im zweiten Akt das Wrak als heilige Stätte, indem sie wie in einer Wallfahrtskirche Kerzen und ein Kreuz aufstellen. Und sie glauben am Ende an den kleinen Jungen, der weiß gewandet oben auf dem Cockpit sitzt. Doch Regisseur Schwab nimmt diesen Leuten die Hoffnung. Ein Schuss fällt, der den kleinen Gottfried trifft.

Lohengrin (2. Akt) – Jacquelyn Wagner (Elsa), Benjamin Bruns (Lohengrin) und Chor
© Anna-Maria Löffelberger
Was ist eigentlich aus dem Piloten geworden? Oder hat gar der blinde Heinrich das Flugzeug gesteuert? Warum haben alle Passagiere überlebt, obwohl das Flugzeug völlig ausgebrannt ist? Und warum taucht im Flugzeug plötzlich jemand auf? Ist es der Pilot, der irgendwie mutiert ist? Mit eigentlich dunklem Anzug, der oben weiß geworden ist, darunter ein Glitzerhemd, so taucht dieser Lohengrin im Wrak auf – wie ein surreales Wesen in einem Science-Fiction-Film. Dieser Lohengrin von Benjamin Bruns ist das krasse Gegenteil des auftrumpfenden Grafen Friedrich von Telramund, der schon optisch von den bieder-beigen Passagieren absticht: Alexander Krasnov stellt ihn als angeberischen Macho vom Typ Zuhälter dar, der sich zum Zweikampf gleich das Hemd vom Leib reißt, um den muskulösen Oberkörper zu präsentieren. Das nützt ihm aber wenig. Siegessicher stürzt er dem fast bewegungslosen Lohengrin in das Wrak hinterher, wo er – wie auch immer – besiegt wird. Stürmisch ist dieser Lohengrin nur einmal, nämlich wenn er Elsa heftig zu Boden wirft, wenn im zweiten Aufzug Otrud und Telramund sich an sie ranmachen.

Ansonsten bleibt dieses Paar ziemlich steif. Nicht nur schauspielerisch ist Jacquelyn Wagner als Elsa recht blass. Ihre Stimme wird von einem herben Beiklang begleitet und bleibt in der Höhe recht dünn, hat für den riesigen Raum schlichtweg zu wenig Volumen. Das ist zeitweilig auch bei Benjamin Bruns der Fall. Vielleicht schont er sich für die Gralserzählung. Diese gestaltet er dann tatsächlich sehr schön lyrisch, gelangt in eine strahlende Höhe und erfreut mit vorzüglicher Wortverständlichkeit.

Im zweiten Akt haben die Passagiere ihre Abendgarderobe aus dem Flugzeug geholt und sich in Smoking und Paillettenkleidern für die Salzburger Festspiele fein gemacht – sie sind ja schon im Festspielhaus. Die oberen Galerien in der Felswand werden nun mitgenutzt. Der Bass Pavel Kudinov erfreut als König Heinrich. Mit Raimundas Juzuitis hört man einen guten Heerrufer. Die vier Edlen Min-Yong Kang, Alexander Hüttner, Jevheniy Kapitula und Alexander Hüttner bilden ein gutes Quartett. Und auch die Edelknaben (in diesem Fall Damen) von Tamara Ivanis, Hazel McBain, Zsófia Mózer und Mona Akinola bieten einen guten Zusammenklang. Es ist wohl weniger ein Zug in ein Münster als vielmehr der Publikumsaufmarsch zu den Festspielen.

Lohengrin (1. Akt) – Miina-Liisa Värelä (Ortrud), Raimundas Juzuitis (Heerrufer), Pavel Kudinov (König), Alexander Krasnov (Telramund) und Chor
© Anna-Maria Löffelberger
Das andere Paar sehen wir in wilder Leidenschaft. Da knistert es auf der Bühne nur so zwischen Telramund und Ortrud. Alexander Krasnov ist im ersten Akt stimmgewaltig, leider macht sich im zweiten eine heftige Indisposition bemerkbar. Miina-Liisa Värelä gestaltet diese Ortrud geradezu furchteinflößend und stimmlich überaus beachtlich. Eindrucksvoll die Anrufung der alten Götter. Im zweiten Akt gibt sich Ortrud nicht so schnell geschlagen. Mit einem Keyboard begleitet sie im Aktfinale den Zug ins Münster diabolisch grinsend. Zu Beginn des dritten Akts bleibt zum Brautzug der Chor unsichtbar im Hintergrund. Wir sehen Ortrud und Telramund, die die Kerzen herunterreißen und die Wallfahrtsstätte demolieren. Telramund wirft gar das große Kreuz hinunter. Das Wrak präparieren die Mannen des Telramund mit Sprengstoff. Ortrud und Telramund bereiten das Brautbett vor, breiten ein Laken aus, holen Kissen und Decke und eine Stehlampe, die für Lohengrin geradezu ein Objekt der Verehrung ist. Die Hochzeitsnacht platzt dann spektakulär mit viel Pyrotechnik. Telramund hat sich ungeschickterweise zu nah an den Sprengkörpern herumgetrieben und torkelt schon angeschlagen herein. Lohengrin gibt ihm mit der Stehlampe den Rest.

Das Mozarteumorchester Salzburg füllt diesen großen Klangraum. Die lange Nachhallzeit sorgt für einen warmen und vollen Klang. Besonders effektvoll ist das Bläserensemble, das immer wieder auf der Bühne platziert ist und dadurch besondere Dominanz erhält. Für den Dirigenten Leslie Sugananadarajah ist es nicht einfach, das Orchester, den riesigen Chor und die Solisten zusammenzuhalten. Zu breit ist diese Bühne, dass alle Gruppen akustisch zusammenkommen, zumal der Chor zeitweilig sogar noch auf den Galerien ist. So entstehen einige Unschärfen. Aber wohlgemerkt: es ist ein eindrucksvoller Gesamtklang. Chor bedeutet in diesem Fall ein auf 60 Personen stark erweiterter Klangkörper: der Chor des Landestheaters, der Extrachor und noch der Philharmonia-Chor Wien, die von Ines Kaun und Walter zeh einstudiert wurden. Trotzdem ist das für den Chor eine beachtliche und hervorragende Leistung.

Besuchte Vorstellung: 16. November 2019
(Premiere 2. November 2019)
Felsenreitschule Salzburg




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