Opernpremiere: Puccinis „Tosca“ am Staatstheater am Gärtnerplatz München – 2019

 Gefangen im Kreuzlabyrinth 

– Das Staatstheater am Gärtnerplatz in München zeigt Giacomo Puccinis Oper „Tosca“ als mystisch-düsteren Krimi – 

von Klaus J. Loderer 

Mit wenigen Symbolen arbeitet Stefano Poda in Puccinis „Tosca“: im ersten Akt ist es ein riesiges liegendes Kreuz, das mit seinen Stützen nicht von ungefähr an die Raumvisionen Piranesis gemahnt, ein langer Tisch im zweiten Akt und ein (Engels-)Flügel im dritten Akt. Regisseur Stefano Poda hat auch Bühne, Kostüme und Licht entworfen und eine sehr kompakte szenisch-räumliche Komposition gefunden, die uns konzentriert eine perfide Intrige vorführt (Mitarbeit Paolo Giani Cei). Noch düsterer als sonst ist dieses Gefüge. Ohne konkrete Bezüge auf Örtlichkeiten in Rom und Kostüme der Zeit um 1800 führt uns Poda die Geschichte in brutaler Realität vor. Erfährt man im Libretto ziemlich genau die Tageszeiten Vormittag, Abend und Morgengrauen rafft Poda die Handlung noch mehr zusammen auf wenige Stunden in der Nacht. Im Dunkeln kann sich die Geschichte auf wenige sichtbare Details konzentrieren. Wir ahnen mehr als wir sehen. Im ersten Akt gibt es keine Barockkirche mit Kapellen. Nur das riesige Kreuz gemahnt uns an ein kirchliches Ambiente. Der Mesner (Levente Páll) ist hier einfach ein missgünstiger Mensch, der pünktlich zum Angelusläuten seine Liegestützen macht. Angelotti (Timos Sirlantzis als guter Bassbariton) versteckt sich unter einer Klappe im Bühnenfußboden, durch die er schließlich mit Cavaradossi die Flucht ergreift. Wenn Tosca mit einem Strauß weißer Lilien auftaucht, gibt es keine Marienfigur, an der sie diese niederlegen kann, vielmehr scheint sie in ihrem weißen Mantel mit Schleppe selbst als Zitat einer Madonna. Sie verlässt auch nicht vor dem Finale des ersten Akts die Kirche, um Cavaradossi zu suchen, sondern wird zum Teil einer Prozession, die zuerst nur andeutungsweise schemenhaft im Halbdunkel des Hintergrunds auftaucht. Ein Heer von Bischöfen mit Mitren und hohen Kreuzen schiebt sich nach vorn. Wähnt man im Halbdunkel noch prunkvolle Bischofsgewänder zu sehen, entpuppen sich diese als raffinierte gestaltete schwarze Gewänder, die das Finale mit einem geradezu surrealen Effekt schließen lassen.

Oksana Sekerina (Floria Tosca), Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz 
Foto © Christian POGO Zach
Die ganze Aufführung begleitet eine raffinierte Lichtführung. In der Art eines Caravaggio-Gemäldes sind die Personen in scharfes Licht getaucht, während der Raum im Halbdunkel verschwimmt. Manchmal leuchten nur Toscas goldene Locken im dunklen Raum. Es ist der lange rote Mantel Toscas, der im zweiten Akt das einzige farbige Element darstellt. Scarpias noch durch Statisten ergänzte Schergen sind in bodenlange schwarze Mäntel mit Gürteln gehüllt, düster, brutal, anonym (Juan Carlos Falcón als Spoletta und Holger Ohlmann als Sciarrone). Ein langer Tisch ist das einzige Möbel in dem nun freien riesigen Innenraum mit schwarzen Wänden. Nur im Hintergrund öffnet sich eine Tür. Effektvoll wirbeln die auf dem Tisch liegenden Blätter auf. Wenn der Boden hinauffährt, tut sich darunter die Welt der Folterknechte auf: wir können hier direkt zusehen, wie Cavaradossi gemartert wird. Der amerikanische Bariton Noel Bouley singt diesen Fiesling Scarpia fast zu schön. Wenn Tosca ihr „Vissi d’arte“ anstimmt, hat er sie schon bedrängt. Die russische Sopranistin Oksana Sekerina singt diese berühmte Arie als Äußerung der größten Verzweiflung. Sie überzeugt mit den plötzlichen Stimmungswechseln dieser leidenschaftlichen Tosca, sei es im zarten Flirt mit ihrem Liebhaber, sei es in Ausbrüchen wilder Eifersucht oder messerscharfen Erwiderungen gegenüber Scarpia. Ihren Peiniger erschießt sie schließlich und erledigt ihn endgültig mit dem Messer – das ist Krimi pur.

Noel Bouley (Baron Scarpia) und Oksana Sekerina (Floria Tosca)
Foto © Christian POGO Zach
Dass der Tenor Artem Golubev sportlich drahtig ist, haben wir schon im zweiten Akt erlebt, als er in einer regelrechten Stuntszene über den Tisch fliegt. Im dritten Akt wird dieser Cavaradossi vom Gefängniswärter (Martin Hausberg) wie ein Stier über die Bühne gejagt, als er versucht mit auf dem Rücken gefesselten Händen das Blatt Papier zu erhaschen, für das er gerade seinen Ring hergegeben hat. Das ist noch perfider als sonst. Umso beachtlicher von Artem Golubev nach solchen körperlichen Anstrenungen auch noch zu singen. Das mag der Grund sein, dass die Höhe manchmal etwas eng klingt. Die „Vittoria-Rufe“ fallen etwas knapp aus. Allerdings zeigt er eine klangschöne Basis mit feiner Modulation.

Oksana Sekerina (Floria Tosca) und Artem Golubev (Mario Cavaradossi)
Foto © Christian POGO Zach
Auch der dritte Akt endet mit einem effektvollen Knaller. Cavaradossi wird zu seiner Erschießung in den Bühnenuntergrund gebracht. Erst seine Leiche sehen wir wieder. Das Erschießungskommando formiert sich hier erst später. Wenn Tosca im Nebel des Hintergrunds verschwindet, stellen sich Scarpias Schergen im Vordergrund auf und ballern nach hinten. Die Spannung steigt. Wurde Tosca getroffen? Überraschenderweise bewegt sich die Rückwand und stürzt knallend und Nebelwolken aufwirbelnd uns entgegen. Dann taucht sie wieder auf. Wie ein Engel schwebt Tosca im weißen Mantel wieder herein. Welch überraschender Schluss.

Ich will den Hirtenknaben nicht vergessen: mit Nestor Erofeev tatsächlich mit einem glockenhellen Knabensopran besetzt und auf der Bühne im weißen Kostüm deutlich vom dunklen Ambiente abstechend. Die musikalische Gesamtleitung hat Chefdirigent Anthony Bramall, der mit dem Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz als Grundlage der Aufführung einen effektvoll-veristischen Gesamtklang erarbeitet und die Stimmungslagen der Szenen gut ausführt. Den Chor studierte Pietro Numico gut ein.

Nach Donizettis „Maria Stuarda“ und Puccinis „La Bohème“ hat das Gärtnerplatztheater mit dieser Übernahme der „Tosca“, die Stefano Poda schon 2012 für das Stadttheater Klagenfurt erarbeitete und abgewandelt 2014 an der Oper Wuppertal herausbrachte, nun ein weiteres schönes Puzzlestückchen im bisher an diesem Theater ungewohnten ernsthaften Repertoire gewonnen.

Besuchte Vorstellung: Premiere am 14. November 2019
(Übernahme einer Produktion des Stadttheaters Klagenfurt von 2012)
Gärtnerplatztheater München





Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Filmbesprechung: „Frühling in Paris“ (Seize Printemps) von Suzanne Lindon

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt