Opernkritik: Jacques Offenbachs „Barkouf oder ein Hund an der Macht“ – Oper Köln 2019
„Liberté, Égalité, Leckerli“
– Deutsche Erstaufführung einer Operrarität zum Offenbachjahr: Oper Köln zeigt Jacques Offenbachs „Barkouf oder ein Hund an der Macht“ (Barkouf ou un chien au pouvoir) –
von Klaus J. Loderer
Ein Hund als Regierungschef, das ist schon eine freche Idee. Das ist sie noch heute und das war sie erst recht im Jahr 1860, als an der Pariser Opéra Comique die Uraufführung der Oper „Barkouf“ anstand. Das Libretto stammte immerhin vom renommierten Autor Eugène Scribe, die Musik von Jacques Offenbach, damals noch ein relativer Neuling aber durch den Erfolg von „Orpheus in der Unterwelt“ im Jahr zuvor schon bekannt. Man ist nicht erstaunt, dass die Zensurbehörde das Stück gleich mal verbot und erst nach Umarbeitungen zuließ. Denn für das Zweite Kaiserreich war eine so despektierliche Behandlung staatlicher Behörden und Entscheidungsträger bis hin zu einer Revolte nicht gerade ein erwünschtes Thema. Abgesehen davon ist das Stück dadurch auch immer noch aktuell. Den Xaïloum, der aus purer Lust an Action schnell mal einen Aufstand anzettelt und gegen Kriecherei zur Beförderung der Karriere giftet, kann man leicht in die Gegenwart übertragen. Wie es die Produktion von „Barkouf“, die als Koproduktion der Opéra national du Rhin Strasbourg mit der Oper Köln nun im Staatenhaus in Köln zu sehen ist, denn auch tut.
Susanne Elmark (Maïma), Patrick Kabongo (Saëb), Chor der Oper Köln
© Paul Leclaire
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Man staunt über Offenbachs Musik. Man darf bei „Barkouf“ kein lustiges musikalische Geplänkel mit einer Aneinanderreihung von Ohrwürmern wie in „Orpheus in der Unterwelt“ erwarten. Dieses Werk ist als große Oper auskomponiert und mit einer breiten und vielschichtigen Orchesterbasis angelegt. Da kann Dirigent Stefan Soltesz mit dem Gürzenich-Orchester in lyrischen Passagen und in romantischen Stimmungsbildern schwelgen. „Barkouf“ zeigt Offenbachs Fähigkeit zu großer Oper eben schon weit vor „Hoffmanns Erzählungen“. An der Opéra Comique bot sich mit dem entsprechenden Apparat die Möglichkeit dazu. Natürlich gibt es die frechen Couplets. Doch bilden sie nicht die Hauptsache. Mit vier unterschiedlich charakterisierten Tenören erfordert die Oper eine ungewöhnliche Besetzung. Auch die anspruchsvolle Koloratursopranrolle ist nicht zu verachten.
Scribe und Offenbach legten eine Handlung in Indien, in Lahore fest. Im Eingangsbild sorgten sie mit der Marktszene für die entsprechende exotische Stimmung, ohne volkskundlich genau zu sein. Der Text wechselt etwa munter zwischen Allah und Brahma. Aber letztlich könnte das Stück überall spielen. Auch der Titel des Oberdespoten als Großmogul ist beliebig. Schon der Titel des Unterdespoten wechselte immer wieder zwischen Gouverneur, Vizekönig, Kaimakan (den kennt der Opernfreund aus „Die Italienierin in Algier“). Leute wie der Großwesir Bababeck könnten in jedem System die immer gleiche Rolle spielen mit Unterdrückung des Volks und dem Kuschen nach oben. Regisseurin Mariame Clément verschärft die Situation noch, indem sie die Rahmenbedingungen des ersten Akts in eine jener kommunstischen Diktaturen verlegt mit einem Stalinverschnitt an der Spitze und einem zur einheitlichen Masse reduzierten Volk. Julia Hansen hat sich für die Kostüme als Grundfarbe dieses Völkchens Orange ausgedacht. Orange Luftballons, orange Kostüme sollen auf den Besuch des Großmoguls einstimmen. Dessen Auftritt nutzt Mariame Clément zu einer grotesken Szene, in der die Arie des Großmoguls von der Freude über die behorstehende Metzelei in einer aufständischen Stand konterkariert wird von dessen Showauftritt. Die Szene wechselt abrupt vom kommustischen Parteitagssaal zum Varieté Grand Mogul mit lasziven Showboys und -girls. Vom Diktator zur Diktatorkarikatur ist manchmal ein kurzer Weg – wie Mel Brooks in „Springtime for Hitler“ gezeigt hat. Dem isländischen Bass Bjarni Thor Kristinsson gelingt es in beiden Facetten zu überzeugen.
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Grand Mogul Show: Killian Touboul, Chin-A Hwang, Bjarni Thor Kristinsson (Großmogul), Amanda Cruz Portuondo, Roberto Junior
© Paul Leclaire
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Zur Strafe, dass die Einwohner von Lahore regelmäßig die Gouverneure aus dem Fenster werfen, ernennt der Großmogul nun kurzerhand einen Hund zum Vizekönig. Der Hund ist allerdings der vermisste Hund von Maïma, die vom Großwesir als Übersetzerin angestellt wird, der damit größeren Einfluss auf die Politik nehmen will, da er selbst das Amt übernommen hätte. Zur weiteren Verwicklung möchte der Großwesir Bababeck (Matthias Klink in buffonesker Ungeschicklichkeit) seine Tochter Périzsade (Kathrin Zukowski) an Saëb verheiraten, der der Exlover von Maïma ist. Natürlich übersetzt Maïma das Hundegebell in ihrem Sinn und senkt so die Steuern, begnadigt den zum Tode verurteilten Revoluzzer Xaïloum (der der Freund ihrer Freundin Balkis ist), wodurch Barkouf vom Volk verehrt wird. Susanne Elmark verhilft mit ihrem strahlenden Sopran den Koloraturarien der Maïma zu besonderer Geltung. Patrick Kabongo singt den Offizier Saëb mit lyrisch-schönem Tenor. Orangenhändlerin Balkis gestaltet Judith Thielsen mit warmem Mezzosopran. Tenor Sunnyboy Dladla gibt Xaïloum jugendlichen Elan. Die vierte Tenorpartie verkörpert Martin Koch als Eunuch Kaliboul.
In einer Nebenhandlung geht es um Bababecks Tochter Périzade. Um zu verdeutlichen, warum sie nicht verkäuflich äh nicht zu verheiraten ist, erhielt sie in der Inszenierung kurzerhand einen die verbreiteten Damenbärtchen doch ziemlich übersteigenden schwarzen Schnauzbart. Die Verheiratung seiner Tochter Périzade an Saëb gelingt Bababeck mit einer Erpressung. Er droht mit einem Verfahren gegen Saëbs Vater. Damit wird eine Eigenschaft Bababecks deutlich, nämlich seine Tätigkeit als Spitzel, die die Basis bildet für das Bühnenbild des zweiten und dritten Akts. Die Umbaupause zum zweiten Akt füllt ein Archivar mit einer netten Slapstickszene. Daniel Calladine kämpft nicht nur mit einem quietschenden Schuh sondern auch mit immer weiter bis in aberwitzige Höhen anwachsenden Aktenstapeln, die er von links nach rechts trägt. Bis sich schließlich ein riesiges Archiv auftut, in dem die Geheimdienstdossiers gesammelt sind. Als Inspiration dienten Bühnenbildnerin Julia Hansen Fotos der indische Fotografin Dayanita Singh mit vor Akten überquellenden Archivräumen. Für Köln erhielt dieser Raum natürlich noch einen zweiten Bezug durch das Absinken des Stadtarchivs im Untergrund einer U-Bahnbaustelle.
Die für Straßburg neu geschriebenen gesprochenen Dialoge wurden für Köln ins Deutsche übersetzt und noch einmal angepasst. Dabei wurden auch lokale Bezüge eingebaut, wie der Seitenhieb auf die zum Weltkulturerbe ernannte Opernbaustelle oder die mit den Tataren vor den Toren stehenden Düsseldorfer.
Der Hund kam bei der Uraufführung 1860 in Paris übrigens nicht vor. Da deutete man wohl nur in die Kulissen. Zur Verdeutlichung sieht man in Köln im Archiv eine Hundehütte mit Gärtchen. Im dritten Akt ist das Hundehaus zu beträchtlicher Größe gewachsen und mit dem Schriftzug „Liberté, Égalité, Leckerli“ geschmückt. In Anbetracht der dem Volk gefälligen Politik plant Bababeck mit die Ermordung von Barkouf. Dazu tarnen sich die Verschwörer mit Masken, die aktuelle Politiker einer eher nationalgeprägten Richtung wie Trump, Johnson, Erdogan etc. zeigen. Dass Xaïloum die Verschwörer zwar belauscht aber nicht versteht, führt zu einem grotesk-komischen Terzett, in dem Offenbach in Rossini-Manier eine nicht vorhandene Aussage endlos streckt.
In Köln gibt es dann doch einen Hund zu sehen. Ein Pudelchen führt in Hermelinmäntelchen und Krönchen das Volk an, wenn es die Stadt vor den Tataren und Düsseldorfern rettet. Ehrenvoll fällt Barkouf in der Schlacht und wird vom Volk betrauert. Der Großmogul ernennt Saëb zum neuen Gouverneur. Da Maïma dessen Scheidung von Périzade erzwungen hat, ist Bababeck nun abserviert. Als Kaiser Napoléon III. und Kaiserin Eugénie sieht man Saëb und Maïma die Huldigungen des Volks annehmen, das symbolträchtig in das Hundehaus geführt und so befriedet wird.
Musik und Produktion benötigen etwas, bis sie so richtig in Gang kommen. Nach der Pause ist der dritter Akt aber ein musikalisches wie inszenatorischen Feuerwerk, das einen spritzig-komischen Abschluss bildet. Bei der deutschen Erstaufführung von „Barkouf“ handelt es sich zweifelsohne um den interessantesten Beitrag zum Offenbachjahr aus Anlass des 200. Geburtstages von Jacques Offenbach. Dass die Produktion mit der Auszeichnung „Opera! Award 2019" in der Kategorie beste Wiederentdeckung belohnt wurde, ist verdient.
Dem interessanten Programmheft mit Beiträgen zur Entstehung des Stücks, Wiederentdeckung, Rekonstruktion und der Idee der Produktion ist auch ein Heftchen mit einem Aufsatz des Dramaturgen Georg Kehren über Offenbach und Köln beigelegt.
Besuchte Vorstellung: 1. November 2019
(Koproduktion mit der Opéra national du Rhin Strasbourg, Premiere in Straßburg 7. Dezember 2018, Premiere in Köln 12. Oktober 2019)
Staatenhaus Köln

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