Opernkritik: Händels Oratorium „Der Messias“ szenisch – Staatstheater am Gärtnerplatz München – 2019
Zum Halleluja regnet es Geldscheine
– Torsten Fischer inszeniert Händels Oratorium „Der Messias“ am Staatstheater am Gärtnerplatz in München –
von Klaus J. Loderer
Geldscheine regnen auf die Bühne, wenn der Chor die berühmteste Passage aus Georg Friedrich Händels „Der Messias“ anstimmt. Ist das der König der Könige, der Herr der Herren, wie es im Text heißt? Regisseur Torsten Fischer illustriert das Oratorium in der szenischen Produktion des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München nicht einfach mit biblischen Motiven. Einerseits abstrahiert er die Geschichte, andererseits versieht er sie mit einem allgemeineren und zeitlosen Inhalt. Entsprechend hätte ein realistisches Bühnenbild nicht gepasst. So schafft Bühnenbildner Herbert Schäfer einen nach hinten ansteigend gestuften Neutralraum. Um die vor allem durch das Ballett verdeutlichte Handlung zu verdeutlichen oder erst einmal zu schaffen, erhalten die Sänger Namen: zwei Politiker, ihre Frauen und ein Fremder. Außerdem ist das Stück ergänzt durch gesprochene Texte aus dem Roman „Marias Testament“ des irischen Schriftstellers Colm Tóibín. Das ergänzt das Libretto des Oratoriums von Charles Jennens logisch. Im Roman erinnert sich Maria an ihren Sohn Jesus.
Ensemble, Chor und Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz
© Marie-Laure Briane
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Schmerzvoll gestaltet Schauspielerin Sandra Cervik diese Mutter Maria, die ihr Kind verloren hat. Allerdings wird man ihres überzogenen Dauerkeifens auch schnell müde. In der beruhigteren Stimmungslage des zweiten Teils schafft Cervik mit eindrücklicher Modulation ihrer Stimme eher ein Mitgefühl für die geplagte Mutter. Überhaupt erreicht die Produktion im zweiten Teil eine starke Intensität. Maria liegt nun auf dem Sterbebett. Das Ballett duckt sich um das Krankenhausbett. Regisseur Fischer und Choreograph Karl Alfred Schreiner konzentrieren in Personenführung und Choreographie die stilistischen Mittel. Spannungsvoll entfaltet und verdichtet sich die Geschichte bis hin zu einer großartigen Geste am Schluss, wenn Fischer die vierte Wand quasi aufhebt und das gesamte Ensemble einladend in den Zuschauerraum winkt. Wir sollen auch dazukommen. So endet eine Produktion versöhnlich und freudig, eine Produktion, die auch bewusst verstörende Stellen einbaut – Folter und Hinrichtung bilden schließlich eine zentrale Stelle des Oratoriums.
Sandra Cervik (Maria, eine Mutter), David Valencia (Sohn)
© Marie-Laure Briane
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Da die Person Christi im Oratorium nicht als Gesangssolist vorkommt, sondern Solisten und Chor die Geschichte erzählen, wurde er in Form eines Tänzers eingefügt, ohne herauszuheben, dass das nun Christus sein soll. Es ist einfach ein „Sohn“. Es geht Regisseur Torsten Fischer aber nicht darum, den echten Christus zu zeigen, sondern eine Person, die ihr Leben einsetzt in einer zerrissenen Welt eine friedliche Gesellschaftsutopie zu schaffen. Es ist der Tänzer David Valenica, der ausdrucksstark diese verehrte, vergötterte, angefeindete, misshandelte und schließlich getötete Persönlichkeit verkörpert und schließlich wie ein geschlachtetes Lamm auf der Bühne liegt – eine Assoziation, die vorzüglich zur abschließenden Textpassage aus der Offenbarung passt.
David Valencia (Sohn), Chor und Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz
© Marie-Laure Briane
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Leider erschließt sich im ersten Teil die Produktion nicht so richtig. Man kann zwar die unterschiedlichen gesellschaftlichen oder religiösen Gruppen erahnen, die Tänzerinnen mit verhüllten Köpfen, Gebetsschals, Kippa, Priesterkragen, Palästinensertücher (Kostüme Vasilis Triantafillopoulos) als dezente Hinweise auf die drei Religionen aus dem vorderen Orient und die entsprechenden Unstimmigkeiten, doch bleibt es unscharf. Die Gesangssolisten haben hier Namen, ohne dass sich eine richtige Geschichte um sie ergibt. Man kann höchstens ahnen, dass es um zwei konkurrierende Politiker (Tenor und Bass) geht. Allerdings erlebt man anrührende Szenen, wie die aufkeimende Liebe junger Leute. Da kümmern sich eine Muslimin und ein Jude liebevoll um das gemeinsame Kind. Und kurz scheinen die Grenzen überwunden: im Hintergrund feiern die Menschen aus unterschiedlichen Lagern zusammen. Dass sich der erste Teil durchaus etwas in die Länge zieht, ist sicher auch der Grund, dass einige Besucher die Vorstellung in der Pause verlassen. Sie haben den grandiosen zweiten Teil verpasst.
Musikalisch spielt natürlich der von Felix Meybier gut einstudierte Chor eine wichtige Rolle. Die Texte des Oratoriums werden auf englisch gesungen, die gesprochenen Texte sind deutsch. Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz kam unter Anthony Bramall zu einer kontrastreichen Wirkung. Ergänzt war es durch Olga Watts am Cembalo und Anke Schwabe an der Truhenorgel. Countertenor Dmitry Egorov fällt durch seinen sensiblen Gesang auf. Jennifer O’Loughliln singt die eine Sopranpartie zwar gut, ist aber manchmal schrill. Mária Celeng erfreut in der anderen Sopranpartie mit sehr schönen Gestaltung. Anna-Katharina Tonauer lässt einen warmem Mezzosopran erklingen. Tenor Alexandros Tsilogiannis bleibt leider blaß. Sehr gut allerdings Bass Timos Sirlantzis.
Besuchte Vorstellung: 18. Oktober 2019
(4. Vorstellung seit der Premiere 10. Oktober 2019)
Gärtnerplatztheater München
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