Ausstellung „Das rote Wien“ im MUSA Wien – 2019

 Wien erhält ein neues Gesicht 

– Ausstellung über das Rote Wien des Wien Museums im MUSA – 

von Klaus J. Loderer

In vielen Stadtvierteln Wien fallen die großen Wohngebäude auf, an denen Inschriften an die Bauherrschaft der Stadt Wien erinnern. „Erbaut von der Gemeinde Wien in den Jahren 1924 – 1925 aus den Mitteln der Wohnbausteuer“ – ist eine typische Inschrift. Oft tragen diese großen Gebäude wohlklingende Namen: Reumannhof, Lindenhof, Pernerstorferhof, Lasallehof etc. Der größte und berühmteste Gemeindebau ist der 1927 bis 1930 errichtete Karl-Marx-Hof.

Franz Barwig: Jüngling, 1924/1927
Foto: Klaus J. Loderer
Nach dem Ersten Weltkrieg errang die Sozialdemokratische Arbeiterpartei bei den ersten freien Wahlen zum Wiener Gemeinderat im Mai 1919 die absolute Mehrheit. Zur Politik gehörte ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm, um die große Wohnungsnot abzumildern. Die Einführung des Mieterschutzes hatte zwar 1917 für ein Ende der Wohnungsspekulation gesorgt, gleichzeitig war der Bau von Wohnungen durch das Einfrieren der Mieten auf Vorkriegsniveau für Bauherren aber völlig uninteressant geworden.
Systematisch ließ nun die Stadt Wien Wohnungen errichten. So entstanden zwischen 1919 und 1934 mehr als 60000 neue Wohnungen. Finanziert wurde dieses Bauprogramm u.a. mit der 1923 eingeführten Wohnbausteuer, einer der vielen vom Finanzpolitiker Hugo Breitner eingeführten Luxussteuern. Man vermied bewusst die Finanzierung durch Kredite, um von Kreditgebern unabhängig zu sein. Die Wohnbausteuer war so stark progressiv angelegt, dass fast 45 Prozent des gesamten Steuereinkommens von den Eigentümern von 0,5 Prozent aller steuerpflichtigen Immobilen aufgebracht wurden. Bei Kleinwohnungen betrug die Steuer zwei Prozent der Miete, bei großen Wohnungen 36 Prozent. Es ging aber nicht nur darum für Arbeiterfamilien erschwinglichen Wohnraum zu schaffen. Sondern überhaupt ihre Lebensbedingungen zu verbessern, die Hygiene zu verbessern, die Kindersterblichkeit durch medizinische Versorgung zu bekämpfen und Bildungsmöglichkeiten anzubieten. Eine Demokratisierung aller Lebensbereiche sollte erreicht werden.

Anton Hanak: Der letzte Mensch, 1924Foto: Klaus J. Loderer
Eine schöne und anschauliche Ausstellung des Wien Museums erinnert in der Ausstellungsgalerie MUSA beim Wiener Rathaus zum hundertjährigen Jubiläum an das sog. rote Wien. Die von Thomas Hamann entwickelte Ausstellungsarchitekt ist leicht angelehnt an eine Ausstellung der Zeit, mit der damals die neuen Projekte publik gemacht wurden. Ein Band mit den Themenüberschriften, das gleichzeitig als Blende für die Lichtschienen dient, zieht sich um den Raum herum. Darüber sind großformatige historische Schwarzweißfotos angebracht. Unter der Blende und damit auf der Höhe der Betrachter finden sich kleinere Bildformate, Texte, Objekte und Bildschirme mit historischem Filmmaterial. Weiter unten zieht sich eine Bank um den Raum herum mit kleinen Vitrinen für Ausstellungsobjekte und historische Bücher, in denen man übrigens herumblättern darf. Im Raum sind Großobjekte oder Modelle aufgestellt. So sieht man etwa den Nachbau eines von der später durch die sog. Frankfurter Küche berühmt gewordenen Architektin Margarete Lihotzky entwickelten Spülsteins mit Waschgelegenheit und Badewanne. Und man findet Porträts der Persönlichkeiten, die mit dem „Roten Wien“ verbunden sind, etwa des Wiener Bürgermeisters Jakob Reumann. Dieser war eigentlich ein Unterstützer der Siedlerbewegung. Diese ging dem großen Wohnungsbauprogramm voraus. Aus der illegalen Besetzung von Grundstücken und der Errichtung oft provisorischer Kleinhäuser entstand eine genossenschaftlich organisierte Siedlerbewegung. Viele Politiker hielten diese Siedlungen allerdings für kleinbürgerlich. Trotzdem entstanden im Laufe der Zwanzigerjahre etwa 8000 Siedlerhäuser.

WahlplakateFoto: Klaus J. Loderer
Das sog. rote Wien war aber auch nicht ganz unumstritten. Besonders in den politisch ganz anders aufgestellten österreichischen Bundesländern wurde die Wiener Politik heftig kritisiert. Zwei Wahlplakate der Zeit zeigten die unterschiedlichen Perspektiven. Auf einem Plakat der christlichsozialen Partei erkennt man die Stadtsilhouette von Wien und im Vordergrund einen Bolschewisten mit einer Bombe in der Hand: der Kommunismus bedroht die schöne „Kaiserstadt“. Daneben ist ein Plakat angebracht, auf dem ein fetter österreichischer Bauer mit grimmiger Visage in lieblicher Landschaft Mehlsäcke rafft, während rechts eine magere Frau in einer düsteren Stadt dramatisch die Arme ausstreckend um Lebensmittel bettelt.

Ausstellung
Das rote Wien 1919-1934
MUSA
Felderstraße 6-8, Wien
30. April 2019 – 19. Januar 2020


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