Ausstellung: Architektur-Triennale Lissabon 2019 (Lisbon Architecture Triennale)

Ein dorischer Tempel als Zelt 

– Eine Ausstellung in Lissabon fragt: „Was ist Ornament?“ (O que é o ornamento? – What is Ornament?) – 

von Klaus J. Loderer

Was Adolf Loos zu Beginn des 20. Jahrhunderts provokativ „Ornament und Verbrechen“ titulierte, brannte sich im Laufe des Jahrhunderts nicht zuletzt unter dem Einfluss des Bauhauses in die Köpfe vieler Architekten als Ornament ist Verbrechen ein. Dem Ornament in der Architektur widmet sich eine Ausstellung in Lissabon, die im Rahmen der Architektur-Triennale 2019 in Lissabon (Trienal de Arquitectura de Lisboa – Lisbon Architecture Triennale) stattfindet. „The Poetics of Reason“ (A Poética da Razão) ist das diesjährige Motto.

Auch die Ausstellung „Was ist Ornament?“ (O que é o ornamento? – What is Ornament?) kommt an Adolf Loos nicht vorbei und zitiert „Das Prinzip der Bekleidung“ von 1898: „Es muß so gearbeitet werden, daß eine verwechslung des bekleideten materials mit der bekleidung ausgeschlossen ist. Das heißt: holz darf mit jeder farbe angestrichen werden, nur mit einer nicht – der holzfarbe.“ Diese Sätze stimmen in der Ausstellung auf die Abteilung „Wände“ ein.

Die Kuratoren Ambra Fabi und Giovanni Piovene legten eine Gliederung mit sechs Themen an: Formteile, Säulen, Wände, Muster, Behältnis und Feuerwerk. Jede Abteilung erhielt ein passendes Zitat etwa von Le Corbusier, Leon Battista Alberti, Adolf Loos, Ettore Sotsas, Robert Venturi und Alison und Peter Smithson.

Geht man die Rampe in den Ausstellungsbereich des Kulturzentrums „Culturgest“ der portugiesischen Sparkassenstiftung (Fundação Caixa Geral de Depósitos) hinab, stößt man zuerst auf eine halbrunde Wand. Richard Venlet zitierte als Ausstellungsgestalter damit die zahlreichen Bögen in der postmodernen Architektur des riesigen Gebäudes. Die weißen Wände der Ausstellungsarchitektur bilden einen Kontrast zu den backsteinverkleideten Wänden und Pfeilern des Gebäudes. Wie eine archäologische Ausgrabung ist die weiße Ausstellungsarchitektur im Grundriss eines Kirchengebäudes mit Seitenschiffen und Kapellen mit dem eigentlichen Gebäude verschränkt.

Architektur-Triennale Lissabon: „La tenda bianca“ des italienischen Architekten und Designers Franco Raggi
Foto: kjl
In der Apsis blickt man links durch eine Öffnung auf einen dorischen Tempel. Doch ist es kein echter Tempel. Es ist ein Zelt auf, dessen Planen vor schwarzem Hintergrund schematische Säulen aufgemalt sind. Dieses weiße Zelt („La tenda bianca“) des italienischen Architekten und Designers Franco Raggi ist eine kleine Version des roten Zelts („La tenda rossa“) von 1975, dessen Entwurf man im dritten Raum findet.

Der zentrale Raum mit Apsis erschließt die Ausstellung und verdeckt sich gleichzeitig. Nur wenige Türen führen in einen schmalen Gang, der in die eigentlichen Ausstellungskabinette führt. Entsprechend der sechs Themen ist die Ausstellung in sechs Räume gegliedert. Gipsteile mit Elementen der klassischen Architektur illustrieren das Thema der Formteile. Als Reminiszenz an die klassischen Säulen ist ein umlaufender Fries mit Aufrissen von 28 Säulen zu sehen (Yellowoffice 2019). Im Zentrum des Raums ist eine Stele des japanischen Künstlers Kensuke Koike (2017) zu sehen, die durch den abgebildeten Marmor auf den ersten Blick wie eine Marmorsäule aussieht, in Wirklichkeit aber ein aufgerolltes Foto ist. Beim Thema Wand geht es um die Struktur derselben.

Immer tiefer hinunter führen die Räume den Besucher. Nach drei Räumen ist ein dunkler Kinoraum eingefügt, in dem der Film „Ornamento e delitto“ von Aldo Rossi, Gianni Braghieri und Franco Raggi zu sehen ist, jenes filmische Manifest das zur 15. Triennale von Mailand 1973 entstanden ist.

Farbenfroh ist der Raum „Muster“ nicht zuletzt durch die geometrische Tapete „Estruso“ von 2A+P/A. Dahinter verbergen sich die Architekten Gianfranco Bombaci und Matteo Costanzo in Rom. Effektvoll ist vor der Tapete eine Art roter Riesenstrampler mit schwarzen Punkten aufgehängt. Es handelt sich um die Kopie eines Kostüm von Lucia Morozzi von Archizoom für den Film „Vestirsi è facile“ aus dem Jahr 1971. Ausgehend von Owen Jones’ „The Grammar of Ornament“ von 1856 haben Sam Jacob und Priya Khanchandani eine Sammlung von Musterblättern zusammengestellt, die als „A Carmen Figuratum“ auch ironische Motive wie „Panic Button in the Russian Style“ von Pablo Bronstein enthält bis hin zur von Kaleidoskopen inspirierten Video-Animation „Lightening Babe Continuum“ von Lulu Li.

Es folgt ein Raum mit Architekturmodellen. Doch geht es um die Informations-Superstruktur, die über die Architektur gelegt ist. Damit sind sowohl Reliefs oder Malereien wie Texttafeln und Bildschirme gemeint. Das ausgewählte Beispiel eines Pavillons an der Maas vom Büro Monadnock zeigt das deutlich: Der rot-weiße Schriftzug „Strand“ bläht das kleine Gebäude zum Großobjekt auf. Beim Haus der Erinnerung (House of Memory) in Mailand des Architekturbüros Baukuh ist die Fassade des kubischen Gebäudes mit großformatigen Bildern versehen.

In einer Installation von Matilde Cassani fließen von der Decke rote Girlanden herab. Die Form erinnert an einen barocken Kronleuchter. Erst wenn man um das Objekt herumgeht, bemerkt man, dass die Farben abgestuft sind. Effektvoll endet damit im Raum „Feuerwerk“ die Ausstellung.


Ausstellung
O que é o ornamento? – What is Ornament?
5. Oktober bis 1. Dezember 2019
Culturgest – Fundação Caixa Geral de Depósitos
Lissabon

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Filmbesprechung: „Frühling in Paris“ (Seize Printemps) von Suzanne Lindon

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt