Premierenkritik: „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss – Staatstheater Augsburg – 2019

Jacques Le Roux (Bacchus),
Sally Du Randt (Ariadne)

Foto: Jan-Pieter Fuhr

Ein Bild weint schwarze Tränen 

– Sally du Randt und Jacques le Roux als Traumpaar in „Ariadne auf Naxos“ am Staatstheater Augsburg – Regisseur Dirk Schmeding geht die Oper tiefenpsychologisch und doch mit viel Ironie an – Domonkos Héja leitet die gut aufgestellten Augsburger Philharmoniker – 

von Klaus J. Loderer

In einer überzeugenden Inszenierung hat Dirk Schmeding Richard Strauss’ Oper „Ariadne auf Naxos“ am Staatstheater Augsburg in die Gegenwart gebracht. Dazu bilden eine weiß-schwarze Farbsymbolik in der Bühne von Martina Segna und den Kostüme von Valentin Köhler die Basis. Das fängt im Vorspiel in kühler Atmosphäre an und wird im zweiten Teil, der eigentlichen Oper, zum surrealen Ambiente. Sally du Randt und Jacques le Roux bilden ein stimmliches Traumpaar. Damit möchte ich die anderen Sänger nicht zurücksetzen. Denn man darf dem Staatstheater Augsburg gratulieren, dass es diese Aufführung aus dem Ensemble besetzen konnte und nur zwei Gäste einladen musste. Es geht doch nichts über ein gutes Ensemble.

In einem Lagerraum mit den Raketen für ein bevorstehendes Feuerwerk werden Kisten angeliefert. Ein Diener – László Papp als Lakai und Perückenmacher – überwacht den Vorgang. Es ist das Material für die bevorstehende Opernaufführung im Haus eines reichen Mäzens. Der sitzt in Form der gut agierenden Statisterie mit seiner Familie im Hintergrund schon am Tisch beim Essen. Dass der Sohn des Hauses nur Augen für sein Computerspiel hat, ja das passt auch. Die Erwachsenen scheinen ihre Aufmerksamkeit auch nur dann vom Essen abzuwenden, wenn eine Buffoparade mit riesigen Händen, Riesenkopf, Riesenfüßen und Riesenbauch als Freakshow vorbeitänzelt. Man sieht das, wenn das Rolladentor zur hinteren Raumhälfte gerade offen ist.

Ein Mann im grauen Anzug läuft einem Mann im dunklen Anzug hinterher. Es ist der Musiklehrer, der vom Haushofmeister – wienerisch arrogant gibt sich Erik Völker – abgefertigt wird. So langsam schält sich heraus, was es mit den Kisten und Schachteln auf sich hat. In ihnen sind nicht etwa die Kulissen für die Oper, nein es ist das Personal. In den Holzkisten sind die Preziosen, die Kunstwerke verpackt – also die Opernsänger, die Primadonna und der Tenor, weiß gekleidet wie zu antiken Statuen versteinert und professionell angeliefert vom Musiklehrer. Eine vorzügliche Maskenabteilung hat Alejandro Marco-Burmester einen schmierig-verlotterten Typ verwandelt. Als Barition ist er wie immer stimmsicher.

In den schlichteren Schachteln sind die Sachen, die der Haushofmeister kurzfristig beschafft hat, um die Oper weiter auszustaffieren: einer Schachtel entsteigt die Zerbinetta, ihre vier Liebhaber sind gar zusammengeschnürt in Folie verpackt. Mit gutem Zusammenspiel als Komödiantentruppe agieren Thorsten Hofmann als Brighella, der nebenbau im ersten Teil auch noch die nicht einfache Tenorpartie des Tanzmeisters singt, Wiard Witholt mit schönem Bariton als Harlekin, Roman Poboinyi mit hellem Tenor als Scaramuccio und der begabte Bassist Stanislav Sergeev als Truffaldin.

All diese Figuren werden nach und nach ausgepackt, werden lebendig und versuchen sich zusammen zu arrangieren. Das führt erst einmal zu heftigem Konkurrenzkampf. In diesem Fall ist aber die Komponistin – da die Produktion spielt in der Gegenwart spielt, kann es eben auch eine Komponistin sein statt des eigentlich vorgesehenen Komponisten – jene, die am Ende in einem völligen hysterischen Anfall ausrastet und versehentlich durch das Zünden eines der bereitstehenden Feuerwerkskörpers mit einem Knall das Vorspiel beendet. Natalya Boeva verdeutlicht als Komponistin die schwankenden Stimmungslagen sehr gut. Man nimmt ihr die Verzweiflung ab. Leider fehlt ihr in der Premiere die Kondition, um diese Qualität durchzuhalten.  

Für die Komponistin wäre der Abend jetzt eigentlich zu Ende. Regisseur Dirk Schmeding hat die Rolle aber  insofern aufgewertet, als die Komponistin nun im zweiten Teil die Aufführung ihrer Oper überwacht. Schnell gibt sie der Ariadne noch Regieanweisungen oder freut sich über eine schöne Melodie. Mit ihrem Notenblätterchaos versucht sie die Musik zu leiten. Dafür ist aber natürlich Generalmusikdirektor Domonkos Héja zuständig, der die gut geprobten Augsburger Philharmoniker hervorragend leitet. Filigran ist der Gesamtklang. Die zahlreichen solistischen Details werden hervorragend gemeistert. Die musikalische Schlussapotheose erfreut mit mächtigem Schönklang.

Jihyun Cecilia Lee (Echo), Natalya Boeva (Komponist), Kate Allen (Dryade), Lea-ann Dunbar (Najade)

Foto: Jan-Pieter Fuhr
Nach der Pause gleicher Raum. Nicht ganz: hinten und vorn sind vertauscht. Der Esstisch steht jetzt vorne links. Schwarz glänzende Skulpturen sind locker verteilt – sie werden später Feuer speien. Ein schwarzer Sarg steht aufrecht im Zentrum – ein Arragement wie aus einem Alptraum, das Bühnenbildnerin Martina Segna da entworfen hat. Eine tiefenpsychologische wüste Insel eben mit einem Sarg als Höhle. Menschenleer. Wo ist eigentlich der Mäzen geblieben? Schaut er sich die Oper überhaupt an? Nein, tatsächlich nicht. Erst am Ende trudelt man wieder ein. Menschenleer. Das hat man in Augsburg sehr wörtlich genommen. Denn außer Ariadne gibt es hier eben wirklich keinen Menschen. Um das zu verdeutlichen sind die drei Sängerinnen zu phantastischen Wesen mutiert: als Krake, als Insekt, als Vogel hat Kostümbildner Valentin Köhler sie ausgestattet. Lea-ann Dunbar (Najade), Jihyun Cecilia Lee (Echo) und Kate Allen (Dryade) liefern ein harmonisches Zusammenspiel der Stimmen.

Erst allmählich traut sich die nun schwarz gekleidete Ariadne aus ihrem Sarg hervor, der ihr immer wieder als Fluchtort dient. Schwarz ist ihr Sarg. Vom Tod träumt sie. Damit korrespondiert ein monchromes schwarzes Bild an der Wand, das schwarze Tränen weint. Immer wieder scheint dieser Vorgang für Irritation zu sorgen. Sally du Randt ist nicht nur eine elegante Erscheinung, sind überzeugt auch mit ihrem schönen Sopran.

Torsten Hofmann (Brighella), Stanislav Sergeev (Truffaldin), Olena Sloia (Zerbinetta), Roman Poboninyi (Scaramuccio)
Foto: Jan-Pieter Fuhr
Einmal flüchtet sich sogar Zerbinetta, die von Olena Sloia mit glockenklaren Koloraturen versehen wird, zu Ariadne in den Sarg, wo sie gar nicht erwünscht ist, um sich vor ihren zudringlichen Liebhabern zu retten. Denn diese Zerbinetta versucht zwar ihre Männer zu lenken, doch entgleitet ihr schnell die Leitung des Spiels, wenn ihre Liebhaber mit Riesenextremitäten handgreiflich werden wollen. Diese Zerbinetta ist allerdings auch gar nicht willig, sich in das sonst übliche Stelldichein mit Harlekin einzulassen. Sie fühlt sich von seinen Riesenhänden betatscht und bedrängt. Diese Herren sprengen ja auch fast ihre Unterhosen. Früher hätte man daraus eine Orgie gemacht, in Me-Too-Zeiten wird daraus eine Belästigung. Noch eine aktuelle Idee ist die Bacchus-Kostümierung, der mit Schlauchboot und orangefarbener Schwimmweste ankommt, worin man dann gleich einen Bootsflüchtling erkennen könnte. Da er vor einer Zauberin flieht, passt das ja sogar. Der Kranz von Weinlaub gleicht hier eher einer Dornenkrone. Jacques le Roux singt diesen Bacchus mit einem sensiblen Tenor; er bleibt fast lyrisch in der doch mächtigen und sicheren Stimme. Passend zu ihrem schwarzen Glitzerstoffabendkleid zieht ihm Ariadne dann standesgemäß einen Smoking an. Nur die Schuhe hat sie irgendwie vergessen.

Besuchte Vorstellung: Premiere am 29. September 2019
Staatstheater Augsburg im Martini-Park



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