Opernkritik: Puccinis „La Bohème“ – Staatstheater am Gärtnerplatz München– 2019
Liebe und Tod im Graffiti-Wohnzimmer
– Bernd Mottl findet für Giacomo Puccinis „La Bohème“ im Staatstheater am Gärtnerplatz in München eine aktuelle Lösung –
von Klaus J. Loderer
Sind es Hausbesetzer, die in diesen riesigen Altbauzimmern wohnen. Hat der Maler die Wände bemalt statt der Leinwand? Zumindest sind die Wände dieses großen Raumes, in den wir in steiler perspektivischer Verkürzung hineinschauen, über und über bekritzelt mit kryptischen Zeichen. Das sieht eindrucksvoll aus. Immer mal wieder malt Marcello im Laufe des Stücks an der Wand herum. Eine moderne Wohngemeinschaft erleben wir in Bernd Mottls Inszenierung mit Bohèmiens der Gegenwart: vier Künstler unter hohen Altbaudecken. Es mögen nicht alle Details logisch sein in dieser Inszenierung – aber die Produktion zieht einen mit schönen Bildern in ihren Bann.
Dichter Rodolfo und Maler Marcello frieren heftig – wobei man sich fragt, warum sie nicht einfach die in der Ecke stehenden Fensterflügel einhängen. Rodolfo verbrennt aber lieber sein Manuskript. Nun gut, er wird es wohl auf seinem Tablett gespeichert haben, mit dem er später Mimi fotografiert. Diese wirkt mit ihrem Rucksack hier noch unbehauster als sonst und sie bekommt in der Besetzung mit Suzanne Taffot sogar noch den Aspekt einer illegal hier lebenden Migrantin. Suzanne Taffot schafft es, dass einen das Schicksal dieser Figur von Anfang an rührt. Mit ihrer weichen Stimme drückt sie die Zartheit von Mimi eindrücklich aus. Lucian Krasznec ist als Rodolfo der strahlende Tenor, den diese Rolle erfordert. So erlebt man ein harmonisches Duett am Ende des ersten Akts. Daniel Gutmann (Schaunard) gibt die Geschichte von der Ermordung des Papageis mit viel Witz.
Das anfänglich intime Bühnenbild Friedrich Eggerts hat es in sich. Für den Wechsel zum zweiten Akt schieben sich die Seitenwände auseinander, der hintere Teil des Zimmers verschwindet im Hintergrund. Wir sehen Snow-Party im Café Momus – die Kellner hat Kostümbildner Alfred Mayerhofer mit orangen Fellmützen angetan. Bei Musettas Arie (Ilia Staple mit Leidenschaft und frecher Anzüglichkeit) machen sie artig als Hündchen Männchen. Diese ist hier eine Domina mit Lackstiefeln, die ihren Maso-Verehrer Alcindoro (Holger Ohlmann) mit Hundemaske hereinführt. Rodolfo kann gerade noch seine Hose zumachen, als er mit Mimi auftaucht. Man hat sich also schnell vergnügt. Der Knaller ist aber auch nicht Parpignol als Weihnachtsbaum (Stefan Thomas) oder die Blaskapelle, die am Ende des zweiten Akts über die Bühne marschiert. Es ist deren Tambourmajor, der einen Striptease hinlegt.
La Bohème: Ensemble, Chor und Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Statisterie
© Marie-Laure Briane
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Ein Industriehinterhof mit einem Club ist das Ambiente für den dritten Akt. Die Nachtschwärmer kommen heraus. Die Straßenkehrer kommen zur Arbeit. So treffen hier die unterschiedlichsten Personen zusammen. Diese Modernisierung überzeugt durchaus. Auch diese Fassaden hat Marcello schon bemalt. Matthias Hausmann glänzt als Maler mit seinem charaktervollen Bariton, der einfühlsam gegenüber Mimi und eifersüchtig gegenüber Musetta ist. Als Sergant und Zöllner hört man Thomas Hohenberger und Martin Hausberg (der im ersten Akt einen witzigen Benoît spielt).
Im vierten Akt kommt man, nachdem Mimi krank auftaucht, endlich auf die Idee die Fensterflügel einzuhängen. Auch für diese zarten Momente trifft Suzanne Taffot den richtigen Ton. Nachdem sich Ilia Staple vorher als eindrückliche Zicke präsentiert hat, kann sie hier auch ihre zarte und einfühlsame Seite zeigen. Christoph Seidl verabschiedet sich als Colline mit warmem Bassbariton von seinem Mantel.
Dass am Ende in der Reihe vor mir die Mädchen einer Schulklasse ob des traurigen Endes schluchzen, hängt sicher auch mit dem guten Dirigat von Oleg Ptashnikov zusammen, der mit dem gut geprobten Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz die zahlreichen Stimmungslagen dieser Oper voll ausschöpft von warmer Leidenschaft über Eifersuchtsstreitereien bis zum traurigen Ende. Man erlebt einen von Pietro Numico gut einstudierten Chor. Und auch der Auftritt des Kinderchors (Einstudierung Verena Sarré) erfreut musikalisch.
Besuchte Vorstellung: 9. Oktober 2019
(Premiere am 28. März 2019)
Gärtnerplatztheater München
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