Opernkritik: Nationaltheater Zagreb mit Rossinis „La donna del lago“ in Wiesbaden – 2019

Jagdszenen im Pariser Bordell 

– Gastspiel des Nationaltheaters Zagreb mit Rossinis Oper „La donna del lago“ (Die Dame vom See) bei den Maifestspielen Wiesbaden – 

von Klaus J. Loderer 

Parnassus-Produktionen stehen für opulente Opernaufführung mit tollen Bühnenbildern, schönen Kostümen und herausragenden Solisten. Das bestätigte sich mit Rossinis Oper „La donna del lago“ wieder. Im Rahmen der Internationalen Maifestspiele war diese Produktion, die in Lausanne Premiere hatte, nun bei einem gefeierten Gastspiel des Nationaltheaters Zagreb im Staatstheater Wiesbaden zu sehen. Regisseur Max Emanuel Cencic und Bühnen- und Kostümgestalter Bruno de Lavenère entführen die Opernbesucher in eine mondän-schlüpfrige Welt zwischen Bourgeoisie und Bordell.

„La donna del lago“ von Gioachino Rossini in der Regie von Max Emanuel Cencic mit Bühne und Kostümen von Bruno de Lavenère
Foto: Opéra de Lausanne, Alan Humerose
Mit einer Rahmenhandlung umgibt Cencic die eigentliche Geschichte, die er dadurch in die erotische Fantasie- oder Traumwelt einer überspannten und frustrierten Frau entrückt. Eine Frau in rotem Abendkleid liest ein Buch, das Versepos „The Lady of the Lake“ von Sir Walter Scott. Inspiriert durch ein Gemälde an der Wand träumt sie sich in die Geschichte des „Fräuleins vom See“ hinein, die Geschichte von Elena, der Tochter von Douglas, die zwischen drei Männern steht. Ihr Vater hat den Kämpfer der Aufständischen, Rodrigo, ausgesucht. Sie liebt aber Malcolm. Und dann gibt es noch den Jäger Uberto, der sich auch in das mysteriöse Fräulein vom See verliebt hat und ihr einen Ring schenkt, mit dem sie sich in Gefahr an den König wenden kann. Uberto ist natürlich genau dieser König Giacomo, nämlich der schottische König Jakob V. (übrigens der Vater von Maria Stuart), der in der Oper am Ende sehr gnädig ist, während er in Wirklichkeit als rachsüchtig und rücksichtslos galt. Die Frau, die sich schon bald in Elena verwandelt, gerät aber nicht in das Schottland des 16. Jahrhunderts, in dem die 1810 geschriebene Geschichte von Scott und die 1819 uraufgeführte Oper Rossinis (übrigens die erste Adaption einer Scott-Geschichte für die Opernbühne noch vor der berühmteren Lucia di Lammermoor) spielt. Und sie gerät auch nicht an den Loch Katrine und schon gar nicht in eine Grotte. Bühnenbildner Bruno de Lavenère, von dem auch die ausgewiesen schönen Kostüme stammen, hat vielmehr einen mehrgeschossigen Salon gebaut, in dem eine Wendeltreppe zu einer von Säulen getragenen Galerie führt. Hier tummelt sich eine elegante Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der von ihr geliebte Malcolm ist hier der Diener. Wie delikat. Der ist mit Max Emanuel Cencic gesanglich einer der Glücksfälle der Aufführung. Eigentlich ist Malcolm eine Hosenrolle für Mezzosopran – hier nun aber von einem Countertenor gesungen. Cencic überzeugt mit Koloraturen ebenso wie mit ergreifendem Ausdruck. Als Gegenspieler in Tenorlage angesiedelt sind Uberto und Rodrigo – eine ungewöhnliche und anspruchsvolle Konstellation. Hier muss der Konkurrenzkampf knistern. Daniel Behle überzeugt als Uberto mit hellem lyrischem Klang. In der anderen Tenorpartie ist der in Córdoba beborene Antonio Garés zu hören, kraftvoll und sicher in der Höhe. Bass-Bariton Neven Palecek meistert den Douglas gut. Niang Wang singt als Ersatz für die ursprünglich angekündigte Lena Belkina die Rolle der Elena passabel aber mit wenig Ausstrahlung. In Nebenrollen sind noch die Mezzosopranistin Sonja Runje als Albina, der Tenor Ivo Gamulin als Serano und der Tenor Niksa Radovanovic als Bertram zu hören und zu sehen. George Petrou liefert mit dem Orchester des Kroatischen Nationaltheaters Zagreb eine solide Basis. Der Chor wurde von Luka Vuksiv einstudiert.

„La donna del lago“ von Gioachino Rossini in der Regie von Max Emanuel Cencic mit Bühne und Kostümen von Bruno de Lavenère
Foto: Opéra de Lausanne, Alan Humerose
Natur gibt es übrigens doch zu sehen. Da die Geschichte in der Geschichte ein Traum ist, muss der Raum auch nicht realistisch sein. So wirkt er zwar mit seinem Detailreichtum, es bricht aber auch immer wieder die Natur in ihn hinein, wenn sich der Hintergrund mittels der Videos von Étienne Guiol in einen Wald verwandelt. Immer aberwitziger und surrealer wird die Szenerie im Laufe der Oper. Man scheint in einem Pariser Bordell gelandet zu sein zu einer Art Jagd-Fetischparty. Da räkeln sich wenig gewandete Weiblichkeiten in Strapsen in den Fauteuils. Da trägt man Geweihe von allerhand Tieren auf dem Kopf und phantasievolle Masken. Da wird verführt, geflirtet, gesoffen und am Spieltisch gezockt. Aus Elena ist inzwischen die Chef-Kurtisane des Etablissements geworden. Damit ist Nian Wang nun doch etwas überfordert. Schließlich prügelt man sich schließlich sogar um sie. Uberto wird im spannenden Boxkampf k.o. geschlagen.

Militär erobert über die Galerie die Bühne – sollen das die Preußen Anno 1870 sein? – und Uberto hält als König Giacomo – oder gar Kaiser Wilhelm I. – mit aberwitzigem Adlerschwingenkopfputz Hof und richtet über die Besiegten.

Friede und Freude? Ja. Aber nur in der Geschichte. Am Ende verwandelt sich die Bühne wieder zurück in die Anfangsszene. Sehnsüchtig starrt die Frau mit dem Buch in der Hand zum Gemälde. Sie erwacht aus ihrem Traum von Leidenschaft und Liebe. Ihr Ehemann kommt zum Tee. Im Traum hatte sie ihn mit dem verhassten und getöteten Rodrigo gleichgesetzt. Ihre Leidenschaft für Literatur und Kunst teilt ihr Mann offensichtlich nicht. Während sie ein Happyend herbeisingt, holt sie der nüchterne Alltag mit einem ungeliebten Ehemann ein, der ihr aber immerhin einen herrschaftlichen Lebensstil ermöglicht. Sie kann sich ja immer noch mit dem Diener trösten.

Besuchte Vorstellung: 24. Mai 2019
Staatstheater Wiesbaden, großes Haus
(Gastspielt des Nationaltheaters Zagreb mit einer Produktion der Opéra de Lausanne)

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