Opernkritik: Jaromír Weinbergers „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ (Švanda dudák) – Musiktheater im Revier Gelsenkirchen – 2019

Wie der edle Dieb Babinsky den Dudelsackpfeifer Schwanda aus der Hölle befreit 

– Michiel Dijkema inszeniert Jaromír Weinbergers Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ effektvoll am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen – 

von Klaus J. Loderer

Im dritten Bild ist das Publikum endgültig aus dem Häuschen. Kaum öffnet sich der Vorhang, braust auch schon Beifall auf für diesen phantastischen Teufelsberg. Und es ist auch wirklich ein effektvolles Bild, wie steil aufgetürmt der Teufel inmitten seines knallroten Höllenhofstaats thront. Das Publikum gluckst und kichert ob der Szene, wie der Räuber Babinsky im Höllendoppelkopf den Teufel besiegt und damit den Dudelsackpfeifer Schwanda freibekommt. Nicht mehr zu halten ist das Publikum, wenn die Teufel wie die Schwänchen in Schwanensee über die Bühne trippeln. Und der Applaus am Bildende wäre sicherlich noch viel länger gewesen, hätte Dirigent Giuliano Betta nicht zum nächsten Bild übergeleitet.

Piotr Prochera (Schwanda), Joachim G. Maaß (Teufel), Tobias Glagau (des Teufels Famulus), Jiyuan Qiu (Höllenhauptmann), Opern- und Extrachor, Statisterie
Fotos: Forster
Am Schluss Jubel, Jubel, Jubel. Das begeisterte Publikum bedankt sich mit stürmischem Applaus und Bravi für diese Vorstellung. Es ist ein wirklich großer Abend für das Musiktheater im Revier. Erster Kapellmeister Giuliano Betta bringt mit der gut einstudierten Neuen Philharmonie Westfalen Höchstleistung. Das zeigt sich schon in der Ouverture, einer großen sinfonischen Einleitung. „Schwanda“ ist auch wirklich eine gelungene Produktion. Das ist nicht zuletzt der kurzweiligen Regie des niederländischen Regisseurs und Bühnenbildners Michiel Dijkema zu verdanken. Liebevoll, feinfühlig und zugleich mit viel Ironie erzählt Dijkema dieses Opernmärchen dem Publikum. Das reicht von gespenstisch gruselig wie das Bild bei der Eiskönigin bis zu grotesk übezeichnet wie das Bild in der Hölle. Nebenbei unterstreicht ein schlüssiges Farbkonzept mit eisigblau wie Eisprinzessin und rot wie Hölle die Handlung. Dazu trägt natürlich auch die einfühlsame Lichtgestaltung von Thomas Ratzinger bei. Jula Reindell hat sich für die Kostüme von Schwanda und Dorota von slawischen Trachten inspirieren lassen. Damit siedelt die Produktion die Oper dort an, wo sie spielt.

Piotr Prochera (Schwanda), Uwe Stickert (Babinsky) und Ilia Papandreou (Dorota)
Fotos: Forster
Es ist eine böhmische Volkssage, die Josef Kajetán Tyl 1847 als „Der Dudelsackspieler von Strakonitz“(Strakonický dudák aneb Hody divých žen) publizierte, die Miloš Kareš für das Libretto der Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ – im tschechischen Original „Švanda dudák“ – verarbeitete. 1927 wurde die Oper mit der Musik Jaromír Weinbergers im Nationaltheater Prag uraufgeführt. 1928 war die deutsche Erstaufführung in Breslau – übrigens in einer Übersetzung  von Max Brod. Nicht zuletzt durch die eingängige melodische Musik wurde die Oper international sehr erfolgreich. Doch erlebte Weinbergers Biographie durch seine jüdische Abstammung mit der Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland und die dadurch folgenden Verwerfungen Europas einen tiefen Bruch. Er konnte 1939 in die USA emigrieren und starb dort 1967. Nun hat das Musiktheater im Revier die heutzutage leider nicht so oft Oper gespielte „Schwanda“ in einer schönen Produktion herausgebracht – in deutscher Sprache, dann versteht das Publikum auch, worum es geht.

In der Oper geht es um Schwanda, der mit Dorota abgeschieden lebt. In der Inszenierung des Musiktheaters im Revier symbolisiert durch Tisch und Bänke inmitten einer üppig blühenden Blumenwiese. Der Räuber Babinsky verliebt sich ebenfalls in Dorota und lockt Schwanda mit der Aussicht auf Ruhm und Reichtum für sein Dudelsackspiel in die weite Welt. Man könnte die Oper auch Babinsky nennen, denn der ist der wahre Held der Oper. Er muss Schwanda bei den folgenden beiden Abenteuern immer wieder aus misslichen Situationen retten. Mit Uwe Stickert ist Babinsky grandios besetzt. Es ist nicht nur sein heller und klarer, dabei charaktervoller Tenor, der besticht, es ist auch das hervorragende Spiel dieses Wirbelwinds durch alle Lebenslagen. Man merkt nicht, dass er ganz kurzfristig eingesprungen ist und sich diese umfangreiche Partie in kurzer Zeit erarbeiten musste. Doch auch der polnische Bariton Piotr Prochera ist als Schwanda ein Glücksfall. Die griechische Sopranistin Ilia Papandreou überzeugt in bewusst schlichter und dadurch anrührender Stimmführung als Dorota.

Petra Schmidt (Königin Eisherz), Piotr Prochera (Schwanda), Opern- und Extrachor
Fotos: Forster
Schwanda gerät im zweiten Bild in das Reich einer Königin, die ihr Herz gegen Macht eingetauscht hat. Ein böser Magier – ganz dämonisch der Bassist Michael Heine – beherrscht das Reich, das hier in Eis und Schnee erstarrt ist. Dass mit dem Einzug von Schwandas Musik der erfrorene Hofstaat langsam auftaut und die Welt bunt wird, ist ein schöner Effekt, es brechen sogar Blumen aus den Kostümen heraus. Petra Schmitt gibt die Königin Eisherz zuerst mit kühlem und dann sehr leidenschaftlichem Sopran. Die Königin will Schwanda heiraten, doch taucht gerade jetzt Dorota auf. Schwanda soll nun hingerichtet werden. Doch Babinsky rettet ihn, indem er dem Scharfrichter (Tobias Glagau) das Richtschwert stiehlt. Dorota gegenüber schwört Schwanda, gar nix mit der Königin gehabt zu haben und wird für diese Lüge sogleich von der Hölle verschluckt. Babinsky freut sich, denn dadurch ist Dorota nun frei, doch diese will Schwanda treu bleiben. Also macht sich Babinsky auf, Schwanda aus der Hölle zu befreien.

In der Hölle weigert sich Schwanda für den Teufel zu musizieren, lässt sich aber letztlich doch die Seele abkaufen. Diese Szene ist nun ganz das Reich des grandiosen Bassisten Joachim G. Maaß, der hier einen gelangweilten aber durchtriebenen Teufel gibt. Maaß als Buffo ist eine aberwitzig komische Teufelskarikatur. Mit im schon erwähnten Teufelsballett Tobias Glagau als des Teufels Famulus und Jiyuan Qui als Höllenhauptmann. Babinsky rettet Schwanda wieder und bringt ihn im vierten Bild seiner Dorota zurück. Dorota wieder ihr Lied über die Heimat anstimmt, kommt der Chor in heutiger Alltagskleidung an den Bühnenrand. Im Hintergrund lesen wir „Daheim – Apotheose“. Die folgenden Bilder konkretisieren diese Daheim als Gelsenkirchen – mit schönen und weniger schönen Ecken, aber eben für die Gelsenkirchener die Heimat.

Eine munter aufspielende  Neue Philharmonie Westfalen unter Giuliano Betta, ein von Alexander Eberle gut einstudierter Opern- und Extrachor, hervorragende Solisten und eine beglückende Inszenierung – da geht man befriedigt aus dem Theater heim und trällert noch etwas die eingängigen Melodien, die man fast nicht mehr aus dem Kopf bekommt.

Besuchte Vorstellung: 7. Juli 2019
(Premiere 15. Juni 2019)
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen



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