Opernkritik: „Je suis Jacques“ zum Offenbach-Jubiläum – Oper Köln – 2019

Die Geister des Offenbachplatzes treffen sich zum Geburstagssouper 

– „Je suis Jacques“, ein köstliches Jubiläums-Offenbach-Pasticcio von Christian von Götz zum 200. Geburtstag von Jacques Offenbach im Opernhaus Köln – 

von Klaus J. Loderer

Die ungewöhnlichen Spielstätten sind seit Jahren ein Markenzeichen der Oper Köln. Nun hat die Oper die unendliche Baustelle des Opernhauses okkupiert, genauer gesagt hat man einen Raum wieder in Besitz genommen, nämlich das Casino, also die Theaterkantine. Unverkennbar ist man in einer Baustelle. Man sieht die rohe Betondecke. Doch sind die marmorierten Lamperien und der türkise Wandanstrich Reste der früheren Einrichtung? Nein, Bühnenbildner Dieter Richter, der immer wieder gerne ungewöhnliche Orte ausstattet, changiert mal wieder so geschickt, dass Bestand und Kulisse nicht so ganz zu unterscheiden sind. Steht die Marmorierung für das Pariser zweite Kaiserreich, also die Offenbachzeit, dann kann man die türkise Wand mit der 4711-Symbolfarbe vielleicht als Symbol von Offenbachs Geburtssstadt Köln deuten. Ein paar Jugendstilpfeiler und eine runde Fünfzigerjahrebar in der Mitte des langgestreckten Raumes, schon haben wir eine fiktive Theaterbar, in der Köbes Jakob auf seine Taschenuhr schaut. Dass Köbes im kölschen Dialekt gleichzeitig einen Kellner meint und eine Koseform für Jakob ist eine nette Doppeldeutigkeit, die Christian von Götz als Erfinder und Regisseur dieser Offenbachiade eingebaut hat. John Heuzenroeder schaut also als Kellner Jakob auf seine Uhr. Das Publikum denkt: jetzt fängt es gleich an. Doch dann. Kellner Jakob klappt die Uhr zu, ruft: „Feierabend“ und komplimentiert den einzigen Gast hinaus. Eine Durchsage erschallt, dass die Baustelle nun geschlossen wird. Und das Publikum sitzt da und wartet, dass es anfängt. Aber dass was anfängt?

Judith Thielsen (Schöne Helena), John Heuzenroeder (Jakob) und Alina Wunderlin (Marktfrau)
Foto: © Paul Leclaire
Kellner Jakob jedenfalls möchte einfach heim und nicht, dass überhaupt etwas anfängt. Aber er wird dann von den Ereignissen überrumpelt. Andreas Grüter taucht den Raum in mystisches Licht. Es kommen unter Theaterdonner und Theaterrauch merkwürdige Gestalten herein. Die Geister des Offenbachplatzes werden lebendig. Wir erkennen schnell, dass es sich um bekannte Figuren aus Offenbachs Werken handelt: die schöne Helena, Blaubart, Orpheus, Lindorf und Olympia. Natürlich sind sie alle divenhaft aufeinander eifersüchtig. Sie triezen und karikieren sich gegenseitig und sie haben alle ihre speziellen Rolleneigenschaften, so verliert Orpheus Insik Choi immer etwas – passend zu seiner Auftrittsarie „Ach ich habe sie verloren“, musikalisches Gluckzitat zwischen diesem Reigen von Offenbach-Melodien. Mit schönem lyrischem Tenor stellt Jeongki Cho als Blaubart den Leporello seiner verflossenen Frauen vor. Mit teuflisch-düsterem Bassbariton hofft Matthias Hoffmann mit österreichischem Dialekt als Geheimrat Lindorf auf die Erlösung durch drei ihn liebende Frauen und schleppt einen stark duftenden korsischen Käse, einen Fromage fort mit sich. Die Tänzerin Verena Hierholzer ist als Puppe Olympia stumm und dreht ihre Pirouetten wie eine Spieluhr in immer neuen grotesken Wendungen.

Alle wurden sie von Offenbach zum Souper seines 200. Geburtstages eingeladen. Doch wo ist der Meister? Sie sind solidarisch eifersüchtig auf einen Gast, der nach ihrer Meinung nicht zum erlauchten Kreis der berühmten Offenbachfiguren passt. Wer ist die Marktfrau, die von Kostümbildnerin Sarah Mittenbühler als rundliche russische Matrioschka eingeführt wird? Mit einer furiosen Arie aus „Mesdames de la halle“ und glasklaren Koloraturen setzt sich die junge Sopranistin Alina Wunderlin als Ciboulette schnell durch. Im weiteren Verlauf wechselt sie in die Rolle von Offenbachs graziler Ehefrau Hermine. Man darf gespannt sein, was man von diesem Mitglied des internationalen Opernstudios der Oper Köln noch hören wird.

Also ein Geburtstagssouper. Dessen Gänge werden dann nach und nach serviert. Es wird der passende Wein kredenzt und es wird gesungen. Vom Käse darf das Publikum auch probieren. Zwei Dutzend Musiknummern aus den unterschiedlichsten Offenbachwerken wurden von Christian von Götz als Pasticcio mit einer neuen Rahmenhandlung zusammengestellt. Dazwischen albert man herum und kommt vom Hundersten ins Tausendste. Viele Stücke passen perfekt zum Essen. „À table, à table“ liefert „Pomme d’Api“, Trinklieder aus „Ritter Eisenfraß“ und „Monsieur et Madame Denis“ und das Trüffelquintett aus „Le fifre enchanté“. Judith Thielsen bietet ein köstliches Kabinettstückchen des Beschwipstseins mit „Je suis un peu grise“ aus „La Périchole“. Ihre Stimme ist so variabel wie ihre Pupillen, die beängstigend schielen können. An anderen Stellen darf sie ihren Mezzosopran mit warmen verlockenden Tönen ausleben.

Schließlich verwandelt sich der Kellner Jakob mit etwas mehr Backenbart und Zwicker doch noch in Jacques Offenbach. Oder doch nicht? Das bleibt offen. Zumindest singt John Heuzenroeder mit hellem Tenor: „Ich bin Monsieur Jacques“. In einer wundersamen Kiste findet er zuerst seine Lieblingskatze, dann entsteigt ihr seine Frau Hermine und schließlich kommt noch der Schatz der vergessenen Werke hervor. Notenbläter flattern von der Decke. Mit einer Szene aus „Les trois baisers du diable“ spitzt sich die Geschichte zu. Dann verschwinden die zauberhalften Opernfiguren wieder. Kellner Jakob sinniert alleine mit „Voyez dans la nuit brune“. Er schaut auf die Uhr. Feierabend. Durchsage, die Baustelle werde in wenigen Minuten geschlossen. Hat Köbes Jakob am Offenbachplatz nur geträumt von jenem großen Jacques, der in Köln einstens als Jakob ein Köbes war?

Judith Thielsen (Schöne Helena), Matthias Hoffmann (Lindorf), John Heuzenroeder (Jakob)
Foto: © Paul Leclaire
Natürlich dürfen die unendliche Opernbaustelle karikierende Pointen nicht fehlen. Da taucht unvermittelt die Tannhäuser-Elisabeth auf und grüßt die teure Halle. Später erklärt der beschwipste Geheimrat Lindorf das Opernhaus gar für eröffnet.

Und wo ist das Orchester? Das sitzt in einer seitlichen Erweiterung des Raums. Es ist nicht das ganze Gürzenich-Orchester anwesend. Nur ein Teil. Ein kleiner Teil. Die Instrumentierung von Ralf Soiron ist für ganz kleines Orchester ausgelegt, ein Salonorchesterarrangement gewissermaßen aus Klavier, Violine, Violoncello, Kontrabass, Klarinette und Schlagwerk. Das schadet der Musik Offenbachs aber nicht. So hält Gerrit Prießnitz, selbst das Klavier spielend, das Orchester transparent und kann solistisch mit den Einzelstimmen umgehen. Heraus kommt eine muntere Orchesterbegleitung, die das Publikum hineinzieht in einen unerschöpflichen Offenbachschen Melodienreigen.

Besuchte Vorstellung: 9. Juli 2019
(Dernière, Uraufführung 22. Juni 2019)
Baustelle des Opernhauses Köln

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