Opernkritik: Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ – Komische Oper Berlin – 2019

Mord im Schlafzimmer 

– Robert Carsen inszeniert Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ an der Komischen Oper Berlin als Krimi – 

von Klaus J. Loderer 

An eine Genesung der Hauptfigur Paul von seiner obsessiven Liebe glaubt Regiesseur Robert Carsen bei seinem Regiedebüt an der Komischen Oper Berlin nicht. Er deutet die Handlung von Korngolds nach dem Roman „Das tote Brügge“ (Bruges-la-morte) entstandene Oper „Die tote Stadt“ leicht um und lässt Paul schließlich unentrinnbar in seinen Obsessionen versinken. Carsen geht die Sache als Psychothriller an. Dass wir während eines kurzen Öffnens des Vorhangs zu Beginn ein Zimmer mit einer Frauenleiche sehen, kann als Vorausblick auf das dritte Bild gesehen werden, doch deutet der mit einem Notizblock das Zimmer inspizierende Frank an, dass auch beim Tod von Pauls Frau Maria etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein mag.

Sara Jakubiak (Marietta) und Aleš Briscein (Paul)
Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
Der größte Teil der Oper entpuppt sich in Paul Schotts Libretto mit der letzten Szene als Traum, der Paul den Weg in eine neue Zukunft öffnet. Carsen dreht die Sache um. Er nimmt Teile der Traumbilder als Handlung, um zu zeigen, wie Paul sich wirklich in seine Liebe zur seiner Frau Maria gleichenden Marietta hineinsteigert. Carsen zeigt uns aber mit einer surrealen Übersteigerung der Szenen, wie sich Traum und Wirklichkeit bei Paul mehr und mehr vermischen. Das gelingt Carsen mit eindrücklichen Bildern. Die Wände des bieder-bürgerlichen Zimmers der ersten Szene lässt Bühnenbildner Michael Levine in den Traumszenen aufbrechen. Die vorher so biederen Möbel haben nun Goldflitter und auf dem Ehebett feiert eine ebenfalls mit Goldflitter bestäubte aberwitzige Gesellschaft eine wilde Party im Stil der Roaring Twenties. Einmal hängt sogar Marietta in der Deckenlampe. Geschickt unterstütz das von Peter van Praet gestaltete Licht die wechselnden Stimmmungsbilder. Einziger Kritikpunkt am Bühnenbild ist die starke Einengung des Bühnenrahmens, die dazu führt, dass nur die mittleren Plätze gut sehen. Wenn in jeder Reihe auf beiden Seiten zehn Plätze eingeschränkte Sicht haben, ist das nicht optimal. Eine perspektivisch angelegte Bühne hat eben doch Vorteile.

Die Prozession dringt in das Schlafzimmer ein

Genial gelingt Carsen die Einbindung der Heiligblut-Prozession in das dritte Bild. Auch die Prozession holt Carsen in das Schlafzimmer. Im wabernden Nebel tragen dunkle Gestalten riesige Madonnenfiguren über die Bühne. Fast ein Dutzend Fatima-Madonnen sind es. Kostümbildnerin Petra Reinhardt wiederholt in Marias blauem Schal den Umhang der Madonna, mit dem Marietta die ganze Oper über lasziv ketzerisch spielt. Als sie aber mit einer anderen von Pauls Reliquien spielt, nämlich mit der Haarsträhne seiner geheiligten Frau Maria, erwürgt Paul sie. Bei Carsen hat Paul das nicht nur geträumt. In seiner Inszenierung bildet sich Paul ein, dass er das nur geträumt habe. Wir sehen aber die Leiche während der letzten Szene auf dem Boden liegen. Auch die Rückkehr Mariettas, weil sie Schirm und Rosenstrauß liegen gelassen hatte, sieht Paul nur im Wahn. Frank nimmt ihn tatsächlich mit – aber er ist der Psychiater, der Paul abholt für die Psychiatrie. Diese Umdeutung ändert zwar das Ende und konterkariert die eben gerade nicht in einer Tragödie endende Musik, doch pointiert sie die Geschichte eindrücklich.

Musikalisch befriedigt die Aufführung nicht. Das liegt vor allem daran, dass der neue Generalmusikdirektor Ainārs Rubiķis im Orchestergraben ein fast durchgänges Fortissimo entfaltet, das man zeitweilig nicht anders als ohrenbetäubend bezeichnen kann. Damit geht jegliche Zartheit dieser Oper verloren. Die feinen Streicherpartien gehen im dominanten Bläserklang unter. Rubiķis setzt auf Härte. Die bewusste Weichheit mancher Passagen,  vermeidet er. So darf sich das berühmte „Glück, das mir verblieb“ nicht so recht in seiner gefühligen Ästhetik entfalten. Ist es die Angst vor einer eventuellen kitschigen Wirkung oder ist es die gegenwärtige Mode eines harten Klangs?

Es liegt nicht an den Musikern. Das Orchester der Komischen Oper Berlin hat das Stück gut geprobt. Der Dirigent möchte es schlicht zu laut. Um überhaupt noch hörbar in Erscheinung zu treten, versuchen die Sänger gegen das Orchester anzukommen und sind dauerhaft zur Forcierung gezwungen. Und vom Text versteht man kein Wort. Innigkeit auszudrücken ist so nicht möglich. Wie soll Sara Jakubiak als Marietta verführerischen Schmelz in ihre Stimme legen? Von angeblich samtweichem Sopran ist hier nichts zu bemerken. Aber sie singt die Rolle solide. Die Kraft der Verführung legt sie aber in ihr Spiel. Schauspielerisch überzeugt sie und stellt die zentrale Rolle dar. Eine Enttäuschung ist Aleš Briscein als Paul. Er scheint überfordert. Sein Tenor wird in der Höhe scharf statt hell und kann die Feinheiten nicht gestalten. Als Darsteller wirkt er ein wenig hilflos. Maria Fiselier gerät als Haushälterin Brigitta an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Einzig Günter Papendell gelingt es als Frank und Pierrot seine Stimme sauber zu entfalten. Mit schönem Bariton singt er vom Sehnen und Wähnen. Ein gutes Gesangsensemble liefern Günter Papendell (Pierrot), Georgina Meville (Juliette), Marta Mika (Lucienne), Adrian Strooper (Victorin) und Ivan Turšić (Graf Albert).

Die Aberwitzigkeit der Traumsequenzen werden von Tänzern unterstützt, die immer wieder in die Handlung eingreifen. Wie einem Zwanziger-Jahre-Club entsprungen scheinen Kai Braithwaite, Michael Fernandez, Hunter Jaques, Davide de Biasi, Danilo Brunetti, Daniel Ojeda, Paul Gerritsen, Lorenzo Soragni und Silvano Marraffa. Rebecca Howell hat für sie eine markant-kantige Choreographie geschaffen. Gut geprobt sind die Chorsolisten und der Kinderchor zu hören.

Besuchte Vorstellung: 28. Juni 2019
(Premiere 30. September 2018)
Komische Oper Berlin

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