Operettenkritik: Paul Abrahams „Roxy und ihr Wunderteam“ – Komische Oper Berlin – 2019

Tobias Bonn (Gjurka Karoly) 
und Christoph Marty (Roxy)
Foto: Iko Freese / drama-berlin.de 

Planet Fußball 

– Geschwister Pfister in Stefan Hubers spritziger Inszenierung von Paul Abrahams Vaudeville-Operette „Roxy und ihr Wunderteam“ an der Komischen Oper Berlin – 

von Klaus J. Loderer

Beifall für das Bühnenbild. Der brodelt auf, wenn sich bei „Roxy und ihr Wunderteam“ der Vorhang zum überraschenden zweiten Bild öffnet. Ein Riesenlederfußball als Planet Saturn, um den auf dem Ring der Orient-Express dampft, bringt das Publikum zum Staunen. Dieser Planet Fußball ist die zentrale effektvolle Idee des Bühnenbildners Stephan Prattes. Dass dieser Planet ein Innenleben hat, ist später zu sehen. Der Ball ist nämlich eigentlich eine Halbkugel, ist hinten gekappt. Dreht man den Ball, ist auf der Rückseite für die Szenen am ungarischen Plattensee ein Landhaus zu sehen, dessen Garten so kitschig-schön ist, dass ein Riesenschmetterling nicht fehlen darf, der von oben herbeiflattert. Eine Operette benötigt eben eine gehörige Portion Kitsch. Und sie braucht einen guten Schuss Ironie. Beides mixt Regisseur Stefan Huber zu einem prickelnden Cocktail. Wenn Donaunixen Cocktails mixen, liefert der Text die passende Inspiration. Es ist Kai Tietje mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin, der diesem Cocktail die richtige Würze gibt und das ganze Ensemble durch die Operette trägt.

Nach Dortmund und Augsburg hat nun die Komische Oper Berlin sich der Fußball-Operette „Roxy“ angenommen. Blieb das Theater Dortmund in der Entstehungszeit, holte das Staatstheater Augsburg die Geschichte kurzerhand in die Gegenwart und nach Augsburg und versah die Fußballer auch noch mit Namen, die unverkennbar an Gegenwartsfußballer erinnerten. „Roxy“ begann in den Dreißigerjahren schnell zum Erfolgsstück zu werden. Die erste Fassung, die Wasserballoperette „3:1 a szerelem javara“ (3:1 für die Liebe), kam 1936 in Budapest mit mehr als hundert Aufführungen heraus. 1937 wurde daraus für Wien die Fußballoperette „Roxy und ihr Wunderteam“. Diese lief so gut, dass sie nach der 75. Vorstellung an die Volksoper überwechseln sollte. Das verhinderten die politischen Umstände. Immerhin kam kurz vor dem sog. Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich noch die filmische Adaption „Die entführte Braut“ als österreichisch-ungarische Produktion heraus. Nach Deutschland und Österreich drohte nun auch Ungarn gefährlich zu werden für Juden. Er floh nach Paris, wo „Roxy“ als „Billie et son équipe“ auf die Bühne kam, und dann in die USA. Durch diese Umstände kam „Roxy“ in Deutschland erst im Zuge des neuerlichen Paul-Abraham-Revivals sehr verspätet auf die Bühne.

Christoph Marty (Roxy), Jörn-Felix Alt (Jann Hatschek), Tobias Bonn (Gyurka Karoly) und das Ensemble
Foto: Iko Freese / drama-berlin.de 
„Tor, Tor, Tor“ singen die Fußballer am Anfang, wenn sie in London in die Hotelsuite ihres Verbandspräsidenten einfallen. Der Originaltext ist „Sport, Sport, Sport“, doch Regisseur Stefan Huber hat den Text geändert, um einen prägnanten Anfang zu erhalten. Denn der Song schließt so treffend an die Rundfunkübertragung des Fußballreporters an, die uns indirekt an dem Länderspiel teilhaben lässt, das die ungarische Mannschaft gerade gewinnt. Wie zunehmend entsetzter wird der Gesichtsausdruck dieses rasenden Reporters Mathias Schlung, als sich die Niederlage seiner englischen Mannschaft abzeichnet. Aber noch besser ist Matthias Schlung später zu erleben. Als österreichisches Zollbeamterl liefert er uns ein Kabinettstückerl der Kleinkariertheit am Grenzerl. Er überrascht geradezu aberwitzig parodistisch in sechs völlig verschiedenen Rollen. 36 Rollen hat das Stück. Noch so ein Allroundtalent ist Andreja Schneider u.a. als gestrenge Mädchenpensionatsdirektorin.

Mit Fräulein Schneider sind wir beim Kern des Ensembles, den Geschwistern Pfister, dieser das Operettenfach aufmischenden Kunstfamilie. Der als Ursli Pfister bekannte Christoph Marti ist wie immer ein quirliger Hansdampf, der die Handlung mitreißt, mit rauchig-lasziver Stimme die Songs noch zweideutiger macht und fetzige Tänze auf die Bühne legt – und in diesem Fall die weibliche Hauptrolle Roxy. Dass diese Roxy sich im Verlauf der Handlung in einen Fußballspieler verkleidet, um Onkel und Bräutigam und damit der drohenden Verehelichung entwischen zu können, macht die Sache zusätzlich pikant: ein Mann, der eine Frau spielt, die versucht einen Mann als verkleidete Frau zu spielen. Sie verliebt sich in den Mannschaftskapitän Gjurka Karoly, gespielt von ihrem Pfister-Bruder Tobias Bonn, der als einziger der Mannschaft aber nicht scharf auf diese Roxy ist und wegen der Trainingsdisziplin auch gar nicht möchte, dass sie mit der Mannschaft an den Plattensee kommt. Es sei noch vermerkt, dass Tobias Bonn betörend schön von Wundern singt.

Verfolgt werden sie von ihrem Onkel Sam Cheswick und ihrem Bräutigam Bobby Wilkins. Uwe Schönböck spielt diesen kauzigen Schotten mit Bravour und trockenem Humor. Johannes Dunz muss vor allem herzergreifend heulen.

Im Gut des Fußballverbandspräsidenten Baron Szatmary kommt es dann zu weiteren Verwicklungen, denn der Verwalter hat das Herrenhaus ohne Wissen des Herrn an ein Mädchenpensionat vermietet. So prallen denn elf Schülerinnen auf elf Fußballspieler – die auch alle Namen haben. Tormann Jani Hatschek (Jörn-Felxi Alt) angelt sich dann gleich Ilka Pirnitzer (Gabriela Ryffel). Nur Roxy kommt trotz eines romantischen Intermezzos nicht so richtig mit Gjurka voran. Zumal sie bei der großen Party vorgibt, in den Baron verliebt zu sein. Dessen Rolle wurde in Berlin aufgewertet. Er hat nämlich eine reine Sprechrolle. Christoph Späth erhält einen Teil des Lach-Songs, der in der Operette eigentlich nichts zu suchen hat, da Abraham ihn erst für den Film komponiert hat.

Im Mädchenpensionat in Budapest schleichen sich die Fußballer als Handwerker ein. Der Baron hat inzwischen mit der Pensionatsdirektorin angebandelt. Zum Fußballspiel dürfen die Mädchen nicht. Zusammen mit Roxy haben sie Hausarrest. Den ersten Teil mit kläglicher Leistung der ungarischen Mannschaft hören sie im Radio. Wir hören vom ungarischen Reporter vom 1:0 für Endland. Dann beschließen die Mädels auszubüchsen.

Verwandlung der Bühne in ein Stadion. Der Riesenfußball offenbart nun sein Innenleben: die Chorsolisten der Komischen Oper Berlin sitzen darin aufgestapelt wie auf Stadiontribünen und wedeln eifrig mit ungarischen Flaggen (und singen natürlich auch). Als Hintergrundbild sieht man das Berliner Olympiastadion. Die Mädchen feuern ihre Jungs so stark an, dass die ungarische Mannschaft mit 3:1 siegt. Happy End. Der Baron darf den Pokal behalten. Roxy bekommt ihren Gjurka, Gjurka steigt bei Onkel Sam ins Geschäft ein etc. Tor, Tor, Tor äh nein, bravo, bravo, bravo jubelt das Publikum und beklatscht in vielen Vorhängen das auch wirklich hinreißend spielende Ensemble.

Besuchte Vorstellung: 15. Juni 2019
(Premiere 31. Mai 2019)
Komische Oper Berlin



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