„Die alte Welt des Bauens und die Zukunft des Bestands?“, Vortrag von Uta Hassler
Gebäude weiternutzen ist nachhaltig – historischer Pub in England Foto: Klaus J. Loderer |
Bleibt etwas übrig?
– „Die alte Welt des Bauens und die Zukunft des Bestands?“, Vortrag von Prof. Dr. Uta Hassler in der Reihe „Ifag um sieben“ in Stuttgart –
von Klaus J. Loderer
„Was bleibt übrig, wenn wir so weiter machen?“ Diese Frage über den historischen Baubestand stellte die Bauforscherin Prof Dr. Uta Hassler am Ende ihres Vortrags im Rahmen der Reihe „Ifag um sieben“, die im Sommersemester 2019 mit dem Motto „Alte Mauern neues Leben“ überschrieben war. Ihre Antwort bei dieser Veranstaltung des Instituts für Architekturgeschichte der Universität Stuttgart war nüchtern: „Dann ist in absehbarer Zeit kaum mehr etwas vorhanden!“ Dann bleiben vielleicht noch ein paar durch ihre Bekanntheit für die touristische Vermarktung wichtige Bauten. Aber die Masse des historischen Baubestands wird bei der Fortsetzung der bisherigen Abrisspolitik weitgehend verschwinden. Sie macht schon jetzt nur noch zehn Prozent des gesamten Baubestands aus. Es ging Hassler nicht nur um die denkmalgeschützten Bauten sondern um die eher anonymen Bestandsbauten, die aus der bauhistorischen Betrachtung fallen. Hassler machte auch deutlich, dass auch die jetzigen Neubauten in absehbarer Zeit verschwunden sein werden, denn der Nutzungszeitraum verkürze sich, da die Haltbarkeit der Gebäude sich auf 40 Jahre reduziert habe. Uta Hassler findet das gar nicht so sehr aus sentimentalen Gründen bedauerlich, sondern deswegen, weil die vorhandene Bausubstanz, der Baubestand, schlichtweg länger nutzbar wäre. Allerdings ist Nachhaltigkeit gerade im Bauwesen eben kein Thema. Und dekontaminierter Bauschutt wird zunehmend zum Problem. Neubauten belasten Umwelt viermal mehr als Renovierung. Gerade in diesem Bereich wären Tugenden im Sinne der Nachhaltigkeit wünschenswert.
Hassler griff im Vortrag zurück auf ihre Forschungen zur Bestandserhaltung, mit denen sie 1995 in Dortmund begonnen hat. „Wir glaubten, dass die Reste der alten Welt zu retten seien.“ Das sei der optimistische Ansatz gewesen. Doch wie ist das Bewusstsein über den Baubestand? Die Moderne nutzt historische Bauten als Kontrast zu Neubauten, nicht zum Verstehen des Vorhandenen. Damit werden Rekonstruktionen und an den Bestand angepasstes Bauen gleich von vornherein diskreditiert.
Mit einem historischen Rückgriff machte Hassler den Wandel im Bewusstsein deutlich. Das Weitertragen des Überkommenen war in der Moderne nicht gewollt. Es ging nun um die gute Form und nicht mehr um die Funktion des Vorhandenen. Die Moderne träumte von der reinen Form. Die alte Architektur wurde reduziert auf Dekor, das abgelehnt wurde. In der Folge wurden die Steinhäuser mit Polemik belegt. In einer moralischen Begründung wurden Stahl und Glas als positiv gewertet, Stein und Dekorationen als negativ verteufelt. In einer programmatischen Abkehr wurde Dauerhaftigkeit durch Kurzlebigkeit ersetzt. Diese Betrachtung der Moderne stieß einigen Bauhaus-Fans im Publikum natürlich auf. Hassler nutzte Le Corbusiers Entwurf für Paris als Beispiel, wie die Utopie der Moderne die alte Welt ersetzen wollte. Ein entsprechendes Beispiel zeigte sie aus Zürich, wo es auch Ideen gab, die gesamte Altstadt um das Großmünster abzureißen. Doch war der Abriss ganzer Städte letztlich zu teuer. Man behalf sich oftmals mit einer Überformung. Man entfernte die Fassadendekorationen und gab den Bauten ein nüchternes Äußeres.
Im Vortrag zeigte sich, dass auch in der von ihr untersuchten Schweiz der Baubestand bedroht ist und sehr stark zurückgegangen ist. Lediglich im Kanton Appenzell seien fast die Hälfte der Bauten mehr als hundert Jahre alt. In den anderen Kantonen unterliege der Baubestand einem starken Erneuerungs- und Ersetzungsdruck. Damit habe die Schweiz ohne die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, die in Deutschland immer als Begründung für den Verlust der historischen Städte herhalten müssen, einen Großteil ihrer historischen Bestandsbauten eingebüßt. Mit drastischen Bildern machte sie den drohenden Verlust des Baubestands deutlich.
Hassler stellte ernüchtert fest, dass sich die Architekten um Probleme der Nachhaltigkeit und die nun drohende Dynamik einer immer schnelleren Ersetzung der Bauten mit steigenden Problemen der Entsorgung des Bauschutts gar nicht kümmern wollen. Lieber führe man Ersatzdebatten. Hassler ließ übrigens auch an der Art der Renovierung kein gutes Haar. Es habe sich etwa gezeigt, dass Wärmedämmung nur bei den oft schlecht gebauten Häusern der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg größere Einsparungen der Heizkosten bewirke. Die immer komplizierter werdenden und überzogenen Bauvorschriften verhindern oft eine nachhaltige Nutzung des Baubestands. Hier seien ein Umdenken und Sonderregelungen für historischen Bestand dringend nötig, sonst sei eben in absehbarer Zeit kaum mehr etwas vorhanden.
8. Juli 2019
Kollegiengebäude K 1, Universität Stuttgart
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