Konzertkritik: Teodor Currentzis leitet Verdi-Requiem – Elbphilharmonie Hamburg – 2019

Ein Meister der Extreme 

– Teodor Currentzis mit Musicaeterna, Orchester und Chor der Oper Perm, mit dem Verdi-Requiem in der Elbphilharmonie Hamburg – 

von Klaus J. Loderer

Es ist schon bemerkenswert, wie es Teodor Currentzis fertigbringt, Spannung aufzubauen. Die letzten Töne sind verklungen und immer noch steht der Dirigent in höchster Körperspannung da, als wolle er den Klang festhalten. Und das Publikum wartet gebannt. Bleibt still. Hält wie hypnotisiert mit dem Dirigenten den Atem an. Dann entspannt er sich, zeigt an, es ist aus und tosender Beifall setzt ein. Dirigent, Solisten, Chor und Orchester nehmen den verdienten Beifall entgegen, fallen sich in die Arme und fotografieren sich gegenseitig im Saal der Elbphilharmonie.

Teodor Currentzis mit Musicaeterna Orchester und Chor der Oper Perm in der Elbphilharmonie in Hamburg
Foto: Claudia Höhne
Ich kann das alles gut sehen von meinem Sitzplatz hinter dem Orchester. Mimik und Gestik kann ich beobachten, wie Currentzis mitsingt, wie er das Orchester leitet. Akustisch ist dieser Platz nicht unproblematisch. Als Beispiel möchte ich die Sopranistin nennen. Ich hätte sie als schwach beurteilt. Denn sie ist, vor dem Orchester platziert, dahinter fast nicht zu hören. Doch dann wechselt sie den Platz und geht nach hinten vor den Chor. Welch ein Unterschied. Jetzt entfaltet sich ihre Stimme. Zarina Abaeva lässt die Töne fließen. Wie fliegt ihre Stimme jetzt über das Orchester.

Sehr gut höre ich die Tenöre, hinten denen ich sitze – jeden einzeln. Einen besseren Zusammenklang ergeben die Bässe. Trotz dieser gewissen akustischen Unzulänglichkeiten des Sitzplatzes ist das Konzert insgesamt ein beglückendes Erlebnis. Die armenische Mezzosopranistin Varduhi Abrahamyan erfreut mit warmer Stimmlage. Der US-amerikanische Tenor René Barbera besitzt eine strahlende Höhe. Tareq Nazmi steuert mit mächtiger Tiefe den Bass bei.

In Verdis Missa da Requiem mögen vor allem die Fortissimo-Stellen berühmt sein. Es gibt aber auch leise Passagen. Wie leise man diese spielen kann, demonstriert Teodor Currentzis. Hingehaucht sind manche Töne. Noch weiter versucht Currentzis das Pianissimo abzudimmen, wirkt auf die Musiker ein, noch leiser zu spielen. Kaum hörbar schweben die Töne durch den Raum. So habe ich diese Stelle noch nicht gehört. Überhaupt sind es die Feinheiten, die diese Aufführung so bemerkenswert machen. Trotz der Orchester- und Chormassen bleibt die Musik filigran. Natürlich schwelgt Currentzis, der in dieser Saison Residenzkünstler der Elbphilharmonie ist, umgekehrt in manch überaus mächtigem Fortissimo. Der Raum scheint zu platzen. Es ist eine aufregende Aufführung. Es ist eine Aufführung der Extreme. Verschwommenheit duldet Currentzis nicht. Alles ist unglaublich exakt und klar. Dem kommt nun wiederum die Akustik der Elbphilharmonie entgegen.

Der exakt singende und gut einstudierte Chor ist in dunkle Kutten gekleidet. Musicaeterna wurde 2004 von Currentzis gleichzeitig mit dem gleichnamigen Orchester gegründet. Seit 2011 bilden sie die musikalische Basis der Oper in der russischen Stadt Perm.

Besuchte Vorstellung: 1. April 2019
Elbphilharmonie Hamburg, großer Saal


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