Buchbesprechung: Vision und Tradition, 200 Jahre Nationaltheater in München

Und immer wieder die Königin der Nacht 

 – Jürgen Schläder entwirft in „Vision und Tradition“ eine opulent bebilderte Geschichte der Szenographie des Nationaltheaters in München – 

von Klaus J. Loderer

Eine Geschichte des Bühnenbilds am Nationaltheater in München, heute Sitz der renommierten Bayerischen Staatsoper, bietet die Möglichkeit über zwei Jahrhunderte künstlerische Ideen in einem Haus zu vergleichen. Blättert man das Buch „Vision und Tradition“ durch, das aus Anlass einer Ausstellung des Theatermuseums zum Jubiläum 200 Jahre Nationaltheater erschien, durch, ist man erstaunt, wie viele Inszenierungen von Pfitzners „Palestrina“ es hier gab, einer ansonsten doch überaus selten gespielten Oper, die aber in München ihren festen Platz in der Rezeptionsgeschichte hat. Weniger erstaunt ist man bei den Wagner-Opern. Und noch weniger wundert man sich den breiten Querschnitt, den Mozarts „Zauberflöte“ bietet. Jürgen Schläder setzt diese Produktionen aus verschiedenen Epochen gezielt nebeneinander. So kann man vergleichen. Das erfolgt besonders markant mit der wichtigen Szene des Auftritts der Königin der Nacht. 1793 schuf Joseph Quaglio dafür einen Auftritt in einem eher lieblichen Ambiente. Besonders interessant ist aber der Vergleich der Szene seines Sohnes Simon Quaglio von 1818 mit Schinkels berühmter Szene unter einer Sternenkuppel. Im Gegensatz zu dieser statischen Idee lieferte Quaglio eine überaus dramatische Szene, in der ein blaues Tuch weit aufgebauscht wird, während eine Reihe düsterer Figuren und ein schwarzer Himmel den Hintergrund bilden. Beim Bühnenbild von 1956 von Emil Preetorius merkt man Schinkels Vorbild, ungleich dramatischer war der nicht verwirklichte Entwurf von Helmut Jürgens von 1963. Die entsprechende Szene bei Josef Swoboda 1970 und Jürgen Rose 1978 bekommt man auch gleich mitgeliefert.

Die elf Bühnenbilder Simon Quaglios zur „Zauberflöte“ stehen im Zentrum des Bands und leiten das Kapitel „Repräsentative Bühnenräume“ ein. Sechs Bühnenbilder hat Jürger Schläder für diesen zentralen Bereich des Buchs ausgewählt, die er ausführlich bespricht. Es sind neben Quaglios „Zauberflöte“ von 1818 Michael Echters „Die Meistersinger von Nürnberg“ 1868, Alfred Rollers „Die Frau ohne Schatten“ von 1919, Helmut Jürgens’ „Aida“ 1948 und 1963, Erich Wonders „Fidelio“ von 1978 und Georg Baselitz’ „Parsifal“ von 2018.
Der Band verfolgt eine interessante Dreiteilung. Einleitend stellt Jürgen Schläder das Haus vor, den ersten Bau und den nach dem Brand von 1823 erfolgten Wiederaufbau mit repräsentativem Säulenportikus. Er konzentriert sich dann auf den Übergang zum professionellen Intendanten. Dann folgt eine erste Übersicht zur Bühnenbildkunst, aufgeteilt in zehn zeitlich gefasste Blöcke. Das ist natürlich ein Gang durch die sich wandelnden Stilrichtungen und auch ein Gang durch die Darstellungsmittel, denn nach Zeichnungen und Gemälden mit Bühnenbildentwürfen, folgen zuerst Schwarz-Weiß- und dann Farbfotos. Die Ausstellung schloss sogar mit Videos ab.

Als zweiter Teil kommt in einem feineren, nochmaligen Durchgang durch die Bühnenbildgeschichte die detaillierte Interpretation der schon erwähnten, ausgewählten Bühnenbilder. Auch der dritte Teil folgt diesem Prinzip, indem nun chronologisch markante Bühnenbildner vorgestellt werden. Zeitweilig hatte das Nationaltheater einen Chefbühnenbildner, der das Haus einige Zeit prägte. Das zieht sich aber nicht konsequent durch die Geschichte des Hauses. Helmut Jürgens war eine solche prägende Persönlichkeit. Er versorgte in sechzehn Dienstjahren 120 Inszenierungen mit Bühnenbildern.

Auch in diesem Kapitel macht Jürgen Schläder den Anfang mit dem „ersten Dekorationsmaler“ Simon Quaglio, fügt aber gleich Christian Jank und Heinrich Döll bei. Es konnte durchaus vorkommen, dass alle drei Bühnenbildner an einer Produktion beteiligt waren. Das Buch zeigt schöne Beispiele von deren opulenter Bühnenkunst. 1921 übernahm Leo Pasetti die Leitung des Kostüm- und Requisitenwesens. Seine Bühnenbilder hatten einen markant expressionistischen Gestus. Dieser wird im Buch noch dadurch verstärkt, dass Pasettis gemalte Bühnenbildentwürfe abgebildet sind. Dagegen wirken die Bühnenbilder Ludwig Sieverts, der 1937 Chefbühnenbilder wurde, eher gediegen.

Mit einer starken Stilisierung und oft genau symmetrischem Aufbau gestufter Treppenanlagen arbeitete Helmut Jürgens, der ab 1947 am Nationaltheater tätig war. Jürgen Schläder hebt besonders das Phänomen heraus, das Jürgens Gefängniszellen immer genau in der Mitte der Bühne anordnete. In diesem Zusammenhang führt Schläder auch Emil Preetorius an, der ab 1921 als Gast immer wieder Bühnenbilder für das Nationaltheater lieferte. Jean-Pierre Ponnelle und Jürgen Rose beschließen den schönen und informativen Band.


Jürgen Schläder

Vision und Tradition
200 Jahre Nationaltheater in München
Eine Szenographiegeschichte
[Die Publikation begleitet die Ausstellung „Vision und Tradition, 200 Jahre Nationaltheater in München“, Deutsches Theatermuseum München, 13. Oktober 2018 – 14. April 2019]

Henschel Verlag Dresden
2018
ISBN 978-3-89487-802-3
192 S., zahlr. Ill.

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