Ausstellung „Vision und Tradition“ – Deutsches Theatermuseum München 2018/2019

 Münchner Bühnenbilder 

– Das Deutsche Theatermuseum in München würdigt das Jubiläum 200 Jahre Nationaltheater mit der Ausstellung „Vision und Tradition“ zur Geschichte des Bühnenbilds – 

von Klaus J. Loderer

Es ist schon eine faszinierende Wirkung, die sich im letzten Raum der Ausstellung „Vision und Tradition“ entfaltet. Wie kommt dieser riesige Raum in das Gebäude, fragt man sich überrascht. Unendlich scheint er. Nach rechts und nach links entfaltet er sich, wo eigentlich die Außenmauern des Gebäudes sein müssten. Natürlich ist der Raum nicht unendlich, er wirkt durch die komplett verspiegelten Wände nur so. Wie aus Zeit und Raum enthoben, fühlt man sich darin und lauscht gebannt den Ton- und Filmausschnitten, die auf vier im Raum hängenden Leinwänden projeziert werden. Jedenfalls ist das eine effektvolle Idee, um die Opernkunst im 21. Jahrhundert zu symbolisieren. So schließt eine Ausstellung im Deutschen Theatermuseum in München, die die Bühnenkunst des Nationaltheaters München über zwei Jahrhunderte vorstellt. Mit Szenographie befassen sich hier nicht nur die Ausstellungsobjekte, Szenographie ist die Ausstellung selbst, deren Haupträume jeweils mit einem eigenen Charakter gestaltet sind. Wie eine Kulissenbühne staffeln sich die Ausstellungswände im großen Raum im Obergeschoss. Dahinter erfolgt als Abschluss der Ausstellung der schon beschriebene endlose Raum.

Losgelöst in Zeit und Raum: Ausstellung Vision und Tradition
Foto: Klaus J. Loderer
200 Jahre Nationaltheater München feiert das Deutsche Theatermuseum mit einer Ausstellung zur Geschichte der Szenographie in diesem Theater. Im Erdgeschoss empfängt ein Modell des Zuschauerraums die Besucher. Es ist der Zuschauerraum des Nationaltheaters, in den man von der Bühne aus hineinschauen kann. Doch ist man irritiert. Das Modell zeigt nämlich gar nicht die ausgeführte Fassung des Wiederaufbaus des im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten Theatergebäudes als scheinbar originalgetreue Rekonstruktion des Vorkriegszustands, sondern eine nicht ausgeführte Fassung im Stil der 1950er-Jahre ohne die klassizistischen Stilelemente. An den vier Seiten des Sockels des Modells laufen auf Flachbildschirmen Bildmotive aus der Geschichte des Nationaltheaters. Darunter sind ein Brief mit dem königlichen Baubefehl für ein Theater gleich dem Odéon in Paris, die Ruine nach dem ersten Brand, ein nicht ausgeführtes gigantomanisches Projekt aus dem Dritten Reich, der zerstörte Zuschauerraum nach dem Zweiten Weltkrieg. So erfahren wir in Schlaglichtern von der wechselvollen Geschichte des Theaters.

Ausstellung Vision und Tradition im Deutschen Theatermuseum
Foto: Klaus J. Loderer
Der langgestreckte Erdgeschossraum bietet eine chronologische Übersicht durch zwei Jahrhunderte. Markante Bühnenbilder werden mit historischen Ereignissen, die man als großformatige Bilder als Hintergrund der Ausstellungstafeln findet, in Beziehung gesetzt.

Dann geht es wieder zurück ins 19. Jahrhundert. Man sieht eine Reihe von Bühnenbildern von verschiedenen Mitgliedern der Familie Quaglio. Drei Generationen dieser Familie waren als Theaterarchitekten und Theatermaler für die Kurfürsten und Könige von Bayern tätig. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren gleich vier Söhne von Giuseppe Quaglio in bayerischen Diensten. Der bekannteste ist sicherlich der 1795 geborene Simon Quaglio. Von dessen Sohn Angelo II Quaglio findet man einen bemerkenswerten Entwurf zum Brautgemach in Wagners „Lohengrin“.

Den Quaglio-Bühnenbildern werden jene von Christian Jank und Heinrich Döll gegenübergesellt. Aus heutiger Sicht ungewohnt ist, dass manchmal mehrere Bühnenbildner an einer Produktion beteiligt waren.

Arbeiten von Leo Pasetti in der Ausstellung Vision und Tradition
Foto: Klaus J. Loderer
Der Wechsel ins Zwischengeschoss bringt den Sprung ins 20. Jahrhundert. 1921 erhielt Leo Pasetti die Leitung des Kostüm- und Requisitenwesens am Nationaltheater. Wie expressionistische Gemälde wirkt sein Bühnenentwurf für die Schlussszene von Pfitzners „Palestrina“. 1937 wurde Ludwig Sievert Chefbühnenbildner. Man könnte seine Bühnenbilder als gediegen bezeichnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Helmut Jürgens von Intendant Georg Hartmann zum Chefbühnenbildner berufen. Er sorgte mit stark abstrahierten Räumen für eine moderne Bühnenästhetik der Bayerischen Staatsoper. Er prägte das Haus bis zu seinem Tod 1963. Sorgte bis dahin der Chefbühnenbildners für eine markante Handschrift und ästhetische Prägung des Theaters, hatte später die Pluralität der künstlerischen Ausdrucksweisen Vorrang.

Im Unterschied zu den bisher in der Ausstellung gezeigten Bühnenbildentwürfen, in denen Personen höchstens als Staffage auftauchen oder ganz fehlen, dominieren in den Zeichnungen Jürgen Roses die Menschen. Er fokussiert seine Skizzen auf die spannungsreiche Gruppierung der Menschen, während der Raum nur angedeutet bleibt.
Akribisch bis ins Detail gehen die Zeichnungen Jean-Pierre Ponnelles. In der Ausstellung findet man die Entwürfe für Aribert Reimanns „Troades“ von 1986, Bilder eines menschenleeren klaustrophoben Raums.

Selbst wie ein Bühnenbild: die Ausstellung Vision und Tradition im Deutschen Theatermuseum
Foto: Klaus J. Loderer
Im nächsten Raum, dessen Ausstellungswände wie die Kulissen eines Theaters gestaffelt sind, geht es einerseits chronologisch weiter. Hier findet man Bühnenbilder von Erich Wonder („Fidelio“, 1978) und Baselitz („Parsifal“, 2018). Gleichzeitig macht die Ausstellung aber auch wieder einen Schritt zurück an den Anfang. Point-de-Vue des Raumes ist der dramatisch wehende blaue Mantel beim Auftritt der Königin der Nacht, die dramatische Vergrößerung des 1818 von Simon Quaglio gezeichneten Bühnenbildentwurfs für die „Zauberflöte“. Das Deutsche Theatermuseum zeigt erstmals die durch Leihgaben ergänzte Bildreihe im Original.

So kann man in diesem Raum die Mal- und Bühnenbildstile aus 200 Jahren parallel betrachten und vergleichen. Ebenfalls in theatralischer Vergrößerung ist als Beispiel eines Bühnenbilds des 19. Jahrhundert ein Motiv aus „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Fachwerkhausromantik dem Bühnenbild zu „Die Frau ohne Schatten“ als Beispiel der neuen Ästhetik des 20. Jahrhunderts gegenübergestellt. Bei den Meistersingern handelt es sich um die Bühnenbilder zur Uraufführung von Michael Echter 1868, bei „Die Frau ohne Schatten“ um Alfred Rollers Entwürfe für die Uraufführung 1919.

Für Opernfreunde, die in den letzten Jahren die Arbeit der Bayerischen Staatsoper begleiteten, ist diese Ausstellung ein Muss, findet man doch darin viele markante Produktionen in Fotos und Entwürfen und im letzten Raum sogar in Film und Ton. Historisch interessant ist der Querschnitt über 200 Jahre, den die Ausstellung schlägt. Dieser Gang durch die Szenographie ist in seiner Breite beispielhaft für die Bühnenbildgeschichte Europas.

Zur Ausstellung erschien ein umfangreicher Begleitband aus der Feder von Jürgen Schläder, der zusammen mit Claudia Bark die Ausstellung kuratierte.

Vision und Tradition
200 Jahre Nationaltheater München
Eine Szenographiegeschichte
13. Oktober 2018 – 14. April 2019
Deutsches Theatermuseum München

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