Opernkritik: Giuseppe Verdis „Ein Maskenball“ (Un ballo in maschera) – Staatstheater Darmstadt – 2019

Amelia ist wirklich untreu 

– Giuseppe Verdis Oper „Ein Maskenball“ am Staatstheater Darmstadt – 

von Klaus J. Loderer 

Es könnte eine Kirche in Neuengland sein, dieses Stahlgerüst, das mit seinen Giebeln und Erkern ein Gebäude gerade so andeutet. Sich langsam drehend, sehen wir dieses eindrückliche Bauwerk des Bühnenbildners Andrea Cazzi nach und nach von allen Seiten. Vor dem dunklen Bühnenhintergrund blitzt es manchmal grell auf. Ein dramatischer Moment in dieser Aufführung von Giuseppe Verdis Oper „Ein Maskenball“ am Staatstheater Darmstadt ist der Auftritt der Seherin Ulrica, die uns hier in einem Käfig gefangen vorgeführt wird. Sie wird in der Szene gepeinigt wie ein wildes Tier. Kammersängerin Elisabeth Hornung (seit vielen Jahren eine wichtige Stütze des Darmstädter Opernensembles) verleiht dieser Rolle mit düsterer Tiefe Charakter. Wir sehen hier nicht die nette Seherin mit ihren Fans. Angstvoll strecken die Frauen ihr Fackeln und Gesangbücher entgegen. Regisseur Valentin Schwarz beschwört eine Stimmung, die an Nathaniel Hawthornes Roman „Der scharlachrote Buchstabe“ (The scarlet letter) oder an Arthur Millers Theaterstück „Hexenjagd“ (The Crucible) gemahnt. Entsprechend erinnern auch die schlichten Kostüme der Frauen mit weißen Krägen an die Kleidung der Puritaner (Andrea Cazzi schuf auch die Kostüme).

„Ein Maskenball“ am Staatstheater Darmstadt mit Andreas Donner (Verschwörer), Cathrin Lange (Oscar), Sergio Vitale (Renato), Johannes Seokhoon Moon (Graf Horn), Mickael Spadaccini (Gustavo) und dem Herrenchor
Foto: Stephan Ernst
Allerdings hat man sich in Darmstadt gar nicht für die Uraufführungsfassung von „Ein Maskenball“ mit der nach Nordamerika verlegten Handlung entschieden, wie man bei dieser Beschreibung vielleicht meinen könnte. Denn schon die der Oper vorangestellte Szene, unterlegt mit einem Stück aus der „Symponia funèbre“ von Joseph Martin Kraus, der Trauermusik für Gustav III., in der eine Touristengruppe die Totenmaske des schwedischen Königs bestaunt und zur nicht hörbaren Erzählung der Führerin zum Mord im Tonfall des Entsetztens kollektiv aufstöhnt, verlegt die Geschichte nach Schweden – zuerst in die Gegenwart, dann einige Jahrhunderte zurück. Zur Ouvertüre liegt der tote König aufgebahrt, umgeben von seinem Hofstaat und umflattert vom Pagen Oscar (Alexandra Hutton), der mit seinem schwarzen Umhang wie ein androgyner Todesengel wirkt. Oder erlaubt sich der König nur einen Spaß? Denn kurz darauf springt er putzmunter auf und mischt den Hofstaat auf. Was ernst ist und was Spaß legt die Inszenierung nicht so eindeutig fest. Sie changiert da immer etwas. Ebenso spielt sie mit dem Spiel im Spiel. Der Matrose Cristiano (David Pichlmaier) der zweiten Szene ist eben auch nur ein verkleidetes Mitglied des Hofstaats, gar des Gerichts, das da gerade einen Hexenprozess veranstaltet. Die Verschwörer im zweiten Akt werden im Hintergrund von Oscar angeleitet. Diese Verschachtelheit mag für das Publikum dann doch etwas schwer nachvollziehbar sein.

Einen deutlichen Eingriff in die Oper macht die Regie bei der Figur der Amelia, die hier schwanger ist und zwar von Gustavo, wie man im Programmheft lesen kann. Ob das wirklich ein nachvollziehbarer Beitrag zur Interpretationsgeschichte dieser Oper ist, sei einmal dahingestellt. Ihr blutigbeschmiertes Unterkleid soll im ersten Bild des dritten Akts ebenso wie die leere Wiege wohl andeuten, dass es eine Fehlgeburt gab. Wohlgemerkt kommt es in der Oper erst in der Szene am Galgenberg zu einem gegenseitigen Liebesgeständis zwischen Gustavo und Amelia. Die hier gewählte Zuspitzung ist gar nicht notwendig, denn die Handlung der Oper ist in diesem Punkt auch heute noch nachvollziehbar. Ein Mann rettet das Date des besten Freunds und stellt dann fest, dass es sich um die eigene Frau handelt. Wenn es einen nachvollziehbaren Eifersuchtsgrund in einer Verdi-Oper gibt, dann diesen. Und das besondere der Handlung ist ja, dass Amelia eben keine Ehebrecherin ist.

Leider schaffen es Katrin Kapplusch als Amelia und David Lee als Gustavo nicht, dem wunderbaren Duett die notwendige Innigkeit zu verleihen. Sie stehen betreten herum. Katrin Kapplusch ist zudem dermaßen sichtbar verkrampft, dass ihre Stimme nicht nur sehr scharf klingt sondern auch noch alle hohen Töne danebengehen. Gerade einmal im Duett in der Schlussszene gelingt es ihr, die Verkrampfung zu lösen und frei zu singen. Und wer hat bitte David Lee gesagt, er soll im Liebesduett im zweiten Akt die erste Strophe so singen, als würde er Amelia hassen? Er schreit sie ja schlimmer an als ihr betrogener Ehemann im folgenden Akt. Immerhin kann er in der zweiten Strophe eine gewisse Zärtlichkeit aufbauen. Überhaupt sind bei ihm die unterschiedlichen Stimmungslagen des Königs wenig nachvollziehbar, die Stimme ist eher gleichbleibend. Der Versuch in der Sterbeszene einmal leise zu singen, ging denn auch prompt schief. Da malt Sergio Vitale als Renato die unterschiedlichen Stimmungslagen vom treuen Freund bis zum betrogenen Ehemann mit erfreulicher Leidenschaft.

In der nächsten Szene wandelt sich dann das Bühnenbild. Das Kirchlein verschwindet mit Amelia nach hinten, von unten fährt eine Waffenkammer herauf, in der die beiden Verschwörer Horn und Ribbing warten schon und schließlich formen sich die Bühnenpodeste zu einer breiten Freitreppe. Mit Marko Spehar und Johannes Seokhoon Moon sind diese beiden Rollen gut besetzt. Zusammen mit Sergio Vitale ergibt sich eine spannende Dreierkonstellation.

Fanden die bisherigen Verwandlungen bei offenem Vorhang statt, ist nun eine Lichtpause eingebaut für den letzten Umbau, der wieder in die Gegenwart führt. Um das Denkmal Gustavs III. findet ein Volksfest statt – und es kommt Farbe ins Bühnenbild. Geschickt ist diese Hintergrundhandlung mit Mitteln wie Freeze und wechselnder Beleuchtung verschränkt mit der Ermordung des Königs, dem Renato ein Messer in den Rücken rammt. Auch hier ist eine überzeugende Szene gelungen. Allerdings stirbt der König nicht. Seine Statue verschwindet (genauer gesagt wird sie zum Gelächter des Publikums in die Höhe gezogen). Laut Interview im Programmheft soll dies bedeuten, dass Gustavs Leben umsonst war.

Glücklicherweise führt Generalmusikdirektor Daniel Cohen das Staatsorchester Darmstadt in erfrischender Weise. So hat die Musik eine gute und spannende Basis. Opernchor und Extrachor liefern eine ausgezeichnete Leistung. Die Statisten passen sich gut in die Situation ein. Und auch die Werkstätten lieferten mit dem Bühnenbild eine tolle Leistung.

Besuchte Vorstellung: 9. März 2019
Premiere: 8. Dezember 2018
Staatstheater Darmstadt, Großes Haus

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