Premierenkritik: Keith Warners „Elektra“ von Richard Strauss – Badisches Staatstheater Karlsruhe – 2019

Blutrausch im Museum 

– Keith Warners „Elektra“ von Richard Strauss am Badisches Staatstheater Karlsruhe – 

von Klaus J. Loderer

Als tiefenpsychologische Metapher gestaltet der britische Regisseur Keith Warner die Oper „Elektra“, die Anja Kühnhold am Badischen Staatstheater Karlsruhe einstudiert hat, und verlegt die Geschichte  in ein Museum. Bühnenbildner Boris Kudlička hat dafür einen riesigen modernen Ausstellungsraum entworfen mit zahlreichen Vitrinen und einer Treppe zu einer oberen Galerie. Besucher schauen sich eine Ausstellung über Mykene an. Oben erkennt man die angebliche Goldmaske Agamemnons. Eine Familie gerät in Streit. Schließlich werden alle Besucher von den Aufsehern hinausgebeten. Während die Museumswärter von einem knutschenden Liebespaar abgelenkt sind, schleicht sich eine schwarz gekleidete Frau wieder herein. Im dunklen Museum aktiviert sie die Videoprojektion, die ein Eigenleben zu entwickeln scheint (Video Bartek Macias). Säulen schimmern auf. Die Antike wird lebendig und die von Kostümbildner Kaspar Glarner antikisierend ausgestatteten Mägde zelebrieren ein Opferritual. Agamemnon scheint die Besucherin besonders zu faszieren. Schließlich tut sich das zweiflügelige Goldportal auf und gibt den Blick frei in ein blutverschmiertes Badezimmer. Doch aktiviert die antike Tragödie bei der Besucherin die Erinnerung an die eigene Familientragödie. Als Elektra ruft sie Agamemnon an, der mit ihrem ermordeten Vater verschwimm.t Immer mehr erkennt sie die Parallelen der mythologischen Handlung zu ihrer eigenen Geschichte. 

„Elektra“ am Staatstheater Karlsruhe: Renatus Meszar (Orest) & Rachel Nicholls (Elektra)
Foto: (c) Falk von Traubenberg 
Nun offenbart sich die Raffinesse des Bühnenbilds. Immer wieder tun sich neue Räume auf, je weiter Elektra in ihr Unbewusstes hineinfindet. Von links schiebt sich das kindliche Schlafzimmer von Elektras Schwester Chrysothemis herein. Oben sehen wir die Eingangshalle eines amerikanischen Hauses mit aufgebahrtem Sarg, trauernder Witwe und drei Kindern. In einer Vitrine wird eine Figur lebendig, in der Elektra ihre Mutter Klytämnestra sieht. Diese stellt sich als Alkoholikerin heraus, deren Whiskeyflasche Elektra schließlich im Spühlbecken der Einbauküche entsorgt. Es ist nicht wirklich ein Familienidyll, das in den Räumen des langsam sichtbar werdenden Einfamilienhauses sichtbar wird. Immer wieder werden Elektras Erinnerungen mit der Antike verwoben. Exponate der Ausstellungen werden zu wichtigen Requisiten, wie das zweischneidige Beil, das Elektra aus der Vitrine holt, um damit Rache zu üben für die Ermordung ihres Vaters. Ein Mann bricht in das Haus ein. Er stellt sich als ihr Bruder Orest heraus. Mit derselben Uniform gekleidet, könnte er fast der Vater sein. Dass Elektra nun in erotischer Leidenschaft entbrennt, ist also vieldeutig. Orest vollzieht schließlich die Rache, die hier zum blutigen Amoklauf wird. Klytämnestra zieht er eine Plastiktüte über den Kopf und hackt ihr mit einem Fleischerbeil den Kopf ab. Befremdlich erstaunt den Rezensenten, dass das Publikum bei dieser Szene lacht. Als Aegysth bei seiner Stieftochter Chrysothemis erotische Beglückung sucht, findet er statt ihr Orest im rosa Bettchen, der ihn durch das Haus jagt und schließlich metzelt. Das ist eine spannende Inszenierung und eine geglückte Lösung, die Handlung von „Elektra“ in die Gegenwart zu holen. Der Kunstgriff der Verwebung von Antike und Gegenwart überzeugt.

„Elektra“ am Staatstheater Karlsruhe: 
Kammersängerin Barbara Dobrzanska, 
Jennifer Feinstein, Luise von Garnier, 
Christina Niessen, Uliana Alexyuk
Foto: (c) Falk von Traubenberg 
Drei Gäste hat das Staatstheater für die drei wichtigsten Frauenrollen dieser Oper engagiert. Rachel Nicholls singt und spielt eine intensive Elektra. Sie ist in der Lage die psychologische Idee der Inszenierung beeindruckend darzustellen. Mit großem Aplomb und vollem Stimmeinsatz lässt die Sopranistin Sarah Cambidge als Chrysotemis fast vergessen, dass es noch andere Sängerinnen auf der Bühne gibt. Bester Sänger des Abends ist Ensemblemitglied Renatus Meszar mit hervorragender Stimmführung. Mit seinem wunderschön geführtem Legato gleitet der Bariton problemlos durch die schwierige Partie und ist stimmlich wie darstellerisch eine Idealbesetzung des Orest. Anna Danik bleibt als Klytämnestra hingegen etwas blass und schöpft die darstellerischen Möglichkeiten dieser Rolle nicht aus. Anders hingegen Matthias Wohlbrecht, der als Aegisth die Tenorpartie stimmlich und darstellerisch zu einem Erlebnis macht. Ganz hervorragend das Ensemble der Mägde, das in Luxusbesetzung aus dem eigenen Ensemble glänzt, darunter Ariane Lucas als erste Magd und Kammersängerin Barbara Dobrzanska als vierte Magd. Sehr ausdrucksstark Uliana Alexyuk als fünfte Magd, beeindruckend Christina Niessen als Aufseherin. Ebenfalls hervorragend besetzt James Edgar Knight als junger Diener und Yang Xu als Pfleger des Orest. Ursula Hamm-Keller und Maike Etzold überzeugen als Vertraute und Schleppträgerin der Klytämnestra.

Generalmusikdirektor Justin Brown lässt die Badische Staatskapelle hervorragend differenziert ertönen und schafft es sowohl die üppigen Fortepassagen alsauch die leisen Momente der Oper herauszuarbeiten. Indem Brown Dauerforte vermeidet, schafft er ein effektvolles Wechselspiel zwischen aufbrausender Leidenschaft und inniger Ergriffenheit. Insgesamt darf man eine hervorragende Ensemble-Leistung und einen großen Opernabend erleben. Großer Jubel am Ende für alle Sänger, Dirigent, Orchester und das Produktionsteam.

Besuchte Vorstellung: Premiere am 26. Januar 2019
(Koproduktion mit dem Nationaltheater Prag und der San Francisco Opera)
Staatstheater Karlsruhe, Großes Haus




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