Opernkritik: Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ – Anhaltisches Theater Dessau – 2019

Freischütz ohne Freikugeln 

– Saskia Kuhlmann nimmt Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ am Anhaltischen Theater Dessau das Geisterhafte – 

von Klaus J. Loderer

Musikalisch nimmt diese Aufführung sofort gefangen. Natürlich ist die Freischütz-Ouvertüre ein Reißer. Doch das liegt auch am Spiel der gut geprobten Anhaltischen Philharmonie Dessau. Auch die berüchtigten Hörner sind hier gut intoniert – ebenso bei den großen Einsätzen im Vorspiel zum zweiten Akt und im berühmten Jägerchor. Generalmusikdirektor Markus L. Frank dirigiert exakt. Mit leichter Hand lässt er die volksliedhaften Melodien tänzeln. Mit großer Geste darf das Orchester die romantische Dramatik ebenso wie die jubelnde Festlichkeit im Finale der Ouvertüre auskosten.

„Der Freischütz“, Anhaltisches Theater Dessau: Ray M. Wade, Jr. (Max), KS Ulf Paulsen (Kaspar)
Foto: Claudia Heysel
Dass man mit Ray M. Wade Jr. einen wunderbaren Max einsetzt, trägt ebenfalls zum Gelingen der Aufführung bei. Dieser Tenor singt betörend schön. Leicht und lyrisch fließen seine Töne in „Durch die Wälder, durch die Auen“. Diesem Menschen unterstellt man nichts Böses. Die fließende Melodik fehlt bei Kammersängerin Iordanka Derilova leider. Sie neigt dazu, die Versenden laut zu betonen, die überleitenden Töne aber zu unterschlagen. Ihre Agathe bleibt steif und unpersönlich. Da nutzen auch die rührenden Aufheiterungsbemühungen Ännchens nichts. Ines Lex macht das burschikos und trifft den mädchenhaften und manchmal neckischen Ton. Bei Kammersänger Ulf Paulsen ist der Jägerbursche Kaspar weniger böse als einer, der mit seinen Mitmenschen spielt. Das singt er baritonal perfide.

„Der Freischütz“, Anhaltisches Theater Dessau: KS Iordanka Derilova (Agathe)
Foto: Claudia Heysel
Mit Kostadin Argirov und Cezary Rotkiewicz sind Fürst Ottokar und Erbförster Kuno gut besetzt. David Ameln liefert als Schützenkönig Kilian einen erfrischenden Auftritt. Und dann ist noch Don Lee zu nennen, der mit sattem und voluminösem Bass einen eindrucksvollen Eremiten singt. Und auch Opernchor und Extrachor des Anhaltischen Theaters Dessau können sich hören lassen und wurden von Sebastian Kennerknecht gut vorbereitet.

Der deutsche Wald

Den Mythos vom deutschen Wald macht Bühnenbildner Dietrich von Grebmer zur Grundidee seines Bühnenbilds. Der Wald bildet als naturalistisch gemaltes Riesenbild den Hintergrund für eine Szene im zweiten Akt. Er scheint im ersten Akt als unergründlicher Hintergrund auf. Mit Bretterboden bildet der Wald mit zwei sich nach hinten verengenden Bretterwänden das einengende Milieu der Handlung. Holztische und Bänke bilden das Ambiente für das Schützenfest am Beginn der Oper. Die irgendwie das 19. Jahrhundert adaptierenden bunten Kostüme Katja Schröpfers lassen Volkstümlichkeit anklingen. Regisseurin Saskia Kuhlmann spinnt darin die Handlung auf. Und schafft damit schöne Bilder, die eindrücklich aussehen, ohne kitschig zu sein. Geschickt lässt sie den Chor von hinten hereinstürmen, überhaupt weiß sie mit den Menschengruppen umzugehen. Um störende Geräusche zu vermeiden, hantiert der Chor in Zeitlupe mit den Bierkrügen. Später drehen Tanzpaare hinten ihre Runden. So bleibt der Bereich vorn frei für die Konzentration auf Max, der frustriert ob der schlechten Schießergebnisse am Tisch hockt. Der erste Teil wird gut erzählt. 


„Der Freischütz“, Anhaltisches Theater Dessau: Ray M. Wade, Jr. (Max), KS Ulf Paulsen (Kaspar)
Foto: Claudia Heysel
Ein interessanter Einfall ist, dass Kaspar, ein lässiger Freak mit Gothic-Anklängen, hinten einen Adler versteckt. Er präsentiert ihn wenig später Max als angeblich von ihm geschossenen Adler, wenn dieser mit Kaspars Büchse in den Himmel schießt. So bekommt diese Szene eine andere Gewichtung und auch die Sache mit der angeblich geladenen Freikugel wird zur Fiktion. Freikugeln gibt es in dieser Inszenierung nicht. Überhaupt vermeidet Saskia Kuhlmann alles Irrationale oder gar Geisterhafte dieser Oper. Entsprechend ist die Erzählung über den Ahnherrn gestrichen. Dass man die Dialoge so gekürzt hat, dass einige wichtige Informationen des Handlungsverlaufs untergehen, ist nicht so geschickt, allerdings fehlen eben genau die Stellen, die sich auf Geister oder merkwürdige Zufälle oder religiöse Dinge beziehen. Die Regisseurin möchte die Oper auf Agathe und Max und ihre psychischen Probleme fokussieren. Diese verdeutlicht sie mit einem eindrücklichen Bild: Am Schluss der Szene tut sich ein Graben zwischen Max und Agathe auf. Das Bühnenbild spaltet sich auf. Rauch quillt aus diesem Höllenschlund. Es ist die Andeutung der Wolfsschlucht, die man dann aber ungewöhnlicherweise erst nach der Pause zu sehen bekommt.

Die Wolfsschluchtszene beginnt vielversprechend. Durch einen Gazevorhang, auf den ein Schaf projeziert ist, ahnt man die nun zersplitterte Bretterwand über waberndem Nebel. Der verschwindet dann leider und so sieht man den nüchternen Fußboden. Samiel, dargestellt von Constanze Wilhelm, erscheint als Frau im langen roten Samtkleid mit Rippenkorsage und Straß bis zum Steißbein, Teufelin wie Tod und erotischer Traum gleichermaßen. Diese Femme fatale ist also Kaspars Geheimnis. Mit dieser können es die biederen Bauernmaiden natürlich nicht aufnehmen. Max und Kaspar unterhalten sich noch gemütlich und damit hat es sich mit dem Bühnengeschehen. Es wird dunkel auf der Bühne und das Wolfsschluchtspektakelt verlagert sich zur Videokunst auf dem Gazevorhang. Angela Zumpe präsentiert uns filmische Schwarzweiß-Impressionen aus dem Wald, darunter immerhin eine Hetzjagd. Man hofft noch auf einen besonderen Clou. Aber es flammt nur kurz im Hintergrund ein Feuer auf. Das war’s. Kein Beifall. Das Publikum bleibt still. Die Wolfsschlucht sei überall, erläutert Saskia Kuhlmann im Programmheft. Das sind dann eben nur bedrohliche Bilder des Unbewussten. Klar, wenn es keine Geister gibt, wird die Szene sinnlos. Und wenn es keine Freikugeln gibt, muss man sie auch nicht gießen.

„Der Freischütz“, Anhaltisches Theater Dessau: Cornelia Marschall (Ännchen), Herren des Opernchors
Foto: Claudia Heysel
Im weiteren Verlauf entdeckt die Regisseurin plötzlich die komische Komponente der Oper oder päppelt Szenen mit Komik auf, etwa während der Jungfernkranzszene das Hoch- und Runterziehen des riesigen Kranzes, der in der Höhe schwebt. Das wirkt genauso aufgesetzt wie die wie aufgescheuchte Hühner vor dem mit gezückten Flinten hereinplatzenden Jägerchor fliehenden Ehrenjungfern. Dabei ergibt sich mit den Bretterwänden, dem Wald im Hintergrund, dem riesigen Kranz, dem großen Tisch für die Jäger und dem kleinen Tisch für die Honoratioren ein stimmiges Bild.

Unter dem Riesenjungfernkranz

Don Lee, Opernchor
Foto: Claudia Heysel
Die letzte Szene würde ich als hilflos bezeichnen. Max schießt plötzlich wieder gut. Das liegt in dieser Inszenierung nicht an Freikugeln, sondern ist hier psychologisch begründet (ob das Publikum das verstanden hat?). Dass beim Probeschuss alle Personen in Deckung gehen, mag Maxens Herumgefuchtel mit dem Gewehr geschuldet sein. Aber worauf soll er eigentlich schießen. Und warum ruft Agathe, dass er nicht schießen soll? Denn die weiße Taube, wird gar nicht erwähnt. Und warum wird sie nicht getroffen, wo doch auch die geweihten Rosen, die sie eigentlich trägt, hier gar nicht vorkommen? Und was passiert mit Kaspar? Der spaziert Frau Samiel hinterher, als würde er zum Tête-a-tête gehen. Nur ist dann kein Leichnam da, wenn der Fürst befiehlt ihn in die Wolfsschlucht zu werfen. Der Eremit (hier ein Blinder ohne religiösen Bezug) singt zuerst von seitlich, bleibt also außerhalb des Bühnenbilds, und wird dann von einem Jungen, dessen Bezug zur Handlung unklar bleibt, hinausgeführt. Später taucht der Eremit dann in neuer Rolle als Bauer auf der Bühne auf. Das bleibt reichlich unklar. Ebenso staunt man, dass Max und Agathe nun doch gleich ein Paar sein dürfen. Händchenhaltend stellen sie sich währnd des Schlusschors in die Mitte der Bühne. Das Programmheft bietet dazu Auskunft: „Max und Agathe werden ihren Weg gehen“, erzählt Saskia Kuhlmann.

Besuchte Vorstellung: 20. Januar 2019
(Premiere 26. Oktober 2018)
Anhaltisches Theater Dessau



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Filmbesprechung: „Frühling in Paris“ (Seize Printemps) von Suzanne Lindon

Vor 111 Jahren eröffnet: das „Alte Schauspielhaus“ in Stuttgart war Sprechbühne und Operettentheater