Buchbesprechung: Markus Kristan würdigt den Wiener Architekten Hubert Gessner

Hubert Gassner und das „rote Wien“ 

– Markus Kristan würdigt den Architekten des Roten Wien: „Hubert Gessner, Architekt zwischen Kaiserreich und Sozialdemokratie 1871-1943“ – 

von Klaus J. Loderer

In rotes Leinen ist dieses Buch gebunden. Die Farbe ist symptomatisch, galt und gilt Hubert Gessner doch als der „rote Architekt“ Österreichs oder genauer gesagt als Architekt des „roten Wien“. So plante er einige wichtige Bauten der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, für die er 1909-1912 auch das Parteihaus errichtete. Zu seinen bekannten Bauten in Wien zählen das Arbeiterheim Favoriten, das Eisenbahnerheim und die Druck- & Verlagsanstalt Vorwärts.

Der Architekturhistoriker Markus Kristan hat den längst vergessenen Architekten Hubert Gessner aus der Versenkung geholt. Er entdeckte bei dessen Tochter den Nachlass, der dann von der Albertina erworben wurde. 1992 gab es erstmals eine Ausstellung im Looshaus am Michaelerplatz in Wien und von 1994 bis 1997 erforschte Kristan das Werk des Architekten im Rahmen seiner Dissertation. In der Form eines ausführlich kommentierten Werkverzeichnisses ist dann das vorliegende Buch als umfangreiche Monographie entstanden, das nicht nur ein interessantes Nachschlagewerk ist sondern auch eine Lücke in der Darstellung der Architektur der Zeit nach der Jahrhundertwende in Wien ist. Bei Gessner ist schön der Übergang vom Sezessionsstil zu schlichteten Formen zu erkennen.

Ein Jugendstilkonzertsaal

Man erkennt in den frühen Entwürfen deutlich, dass Gessner ein Schüler Otto Wagners ist. Zu Gessners Bauten im Sezessionsstil gehört das Arbeiterheim Favoriten in der Laxenburger Straße, dessen Fassade erhalten ist. Das Gebäude war auch sein erster großer Auftrag. Im hinteren Teil des Gebäudes befand sich ein großer Fest- und Konzertsaal mit Empore. Es folgen Aufträge in Brünn und Troppau. Einen weiteren Konzertsaal plant er für die Mährische Landesirrenanstalt Kremsier. 1907 ist Gessner wohlhabend genug, dass er sich eine eigene Villa in der Nähe des Türkenschanzparks bauen kann.

Ein auffälliges Gebäude an der rechten Wienzeile ist die Nummer 97. Eine schlichte Fassade doch mit einem bemerkenswerten Dachaufbau, die sich sowohl von den umstehenden historistischen Bauten wie von den Sezessionsstilbauten abheben. Kristan bewertet das Gebäude zurecht als eine der „Inkunabeln der Wiener Architektur des frühen 20. Jahrhunderts“. Das Gebäude war ab 1910 das Verlags- und Druckereigebäude der Arbeiterzeitung „Vorwärts“. Nicht weit entfernt steht an der rechten Wienzeile die Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen mit einer ungewöhnlichen Fassade, die fast aufgestockt wirkt. Die unteren vier Bürogeschosse hat Gessner völlig anders gestaltet als die beiden Wohnungsgeschosse darüber. Wodurch er auf die Lösung kam, beide Bereiche durch einen umlaufenden Balkon zu trennen.

Nach dem Ersten Weltkrieg ändern sich die Stilformen bei Gessner. Er plant einige der großen Wiener Gemeindebauten, die zur Linderung der Wohnungsnot von der Stadt in Auftrag gegeben wurden. Bis heute markante und eindrucksvolle Beispiele sind der Metzleinstaler-Hof, der Reumann-Hof, der Lassalle-Hof, der Heizmann-Hof, der Karl-Seitz-Hof.

1938 erfolgt mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich ein abruptes Ende seiner beruflichen Karriere durch die Aberkennung des Titels eines Zivilarchitekten, was ein Berufsverbot bedeutet. Er stirbt 1943 in Wien.

Es gibt übrigens noch eine sehr schöne Querverbindung zu einem der großen „Stars“ der Kunstszene Wiens, nämlich zu Adolf Loos. Mit diesem ging der 1871 in Wallachisch-Klobouk in Mähren geborene Gessner an der k. k. höheren Gewerbeschule in Brünn zusammen in eine Klasse.


Markus Kristan

Hubert Gessner
Architekt zwischen Kaiserreich und Sozialdemokratie 1871-1943

Hrsg. von Gabriela Gantenbein
Deutsche Erstausgabe
Passagen Verlag
Wien
2011
ISBN 978-3-85165-975-7
407 S., zahlr. Ill.

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