Premierenkritik: Tschaikowskys Märchenoper „Die Pantöffelchen“ (Черевички – Tscherewitschki) – Theater für Niedersachsen Hildesheim – 2018

Wenn der Schmied sich den Teufel mit einem Judowurf gefügig macht 

– „Die Pantöffelchen“, komisch-fantastische Oper von Peter I. Tschaikowsky am Theater für Niedersachsen in Hildesheim – 

von Klaus J. Loderer

Eine bezaubernde Produktion ist dem Theater Hildesheim mit der Opernrarität „Die Pantöffelchen“ (Черевички – Tscherewitschki) gelungen. Endlich mal etwas anderes von Tschaikowsky als immer nur „Pique Dame“ und „Eugen Onegin“. Seit mehr als dreißig Jahren wurde diese Oper Tschaikowskys in Deutschland nicht mehr aufgeführt. Und zur Adventszeit passt die Geschichte auch noch gut, schließlich spielt die Oper an Weihnachten. Die spröde Dorfschönheit Oxana wünscht sich Pantöffelchen wie jene der Zarin. Da Dorfschmied Wakula über beide Ohren in sie verliebt ist, macht er sich tatsächlich auf, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Der Teufel bietet ihm Hilfe gegen sein Seelenheil an, der starke Schmied überlistet ihn aber und macht ihn sich so gefügig. Er erhält in St. Petersburg am Zarenhof auch tatsächlich die gewünschten Pantöffelchen. Mit der Zarin ist natürlich Katharina die Große gemeint. In der Oper kommt aber nur ein Prinz vor.  Um dieses Manko zu beheben, schreitet in Hildesheim doch eine Zarin über die Bühne – der Gag ist allerdings, dass diese aussieht wie Oxana. Am Ende bekommt Wakula dann seine Oxana, die inzwischen erkannt hat, dass sie Wakula liebt. Die Geschichte basiert auf der Erzählung „Die Nacht vor Weihnachten“ von Nikolai Wassiljewitsch Gogol. Jakow Polonsky hat daraus ein Opernlibretto gemacht. 1876 legte er eine erste Fassung als „Schmied Wakula“ vor, die er später stark überarbeitete. Im Januar 1887 war die Uraufführung von „Die Pantöffelchen“ am Bolschoi-Theater in Moskau. Tschaikowsky gab dabei übrigens sein Dirigenten-Debüt. Schon im späten 19. Jahrhundert wurde die Oper ins Deutsche übersetzt. Es ist diese Fassung, die man in Hildesheim einsetzt.

„Die Pantöffelchen“: Wolfgang Schwaninger (Wakula), Katja Bördner (Oxana), 
im Hintergrund Peter Kubik (Teufel)
Foto: Falk von Traubenberg  

Im zweiten Strang der Handlung geht es darum, dass der Teufel wie alle möglichen anderen Männer ein Verehrer von Wakulas Mutter, der schönen Hexe Solocha, ist. In einer Szene tauchen sie nacheinander bei Solocha auf, die sie jeweils in einen Sack steckt, damit der dann an die Tür pochende ihn nicht erwischt. Schließlich trägt Wakula die Säcke davon. Den Sack mit dem Teufel trägt Wakula zum Fluss, um sich dort voller Verzweiflung zu ertränken.


Für den Teufel läuft es in der Oper nicht ganz so, wie er sich das am Anfang vorgestellt hat, denn eigentlich kam er ins Dorf, um sich an Wakula zu rächen. Der hat nämlich in der Kirche eine Karikatur des Teufels gemalt, die diesem gar nicht gefällt, weil er vor den anderen Teufeln blamiert ist. Die Rache ist dann etwas kompliziert gedacht. Er möchte Oxanas Vater daran hindern, ins Wirtshaus zu gehen, damit Wakula seine angebetete Oxana nicht besuchen kann. Und dazu muss der Teufel den Vollmond verdunkeln. In Hildesheim nähert er sich dem aufgeblasenen Vollmondluftballon schlichtweg mit einer Nadel und puff, schon platzt der Mond und es ist dunkel. Zum Lachen bringt Regisseurin Anna Katharina Bernreitner das Publikum nicht nur an dieser Stelle, schließlich ist die Oper nicht nur fantastisch sondern auch noch komisch. Den Teufel macht sich Wakula in Hildesheim mit einem Judowurf gefügig.


„Die Pantöffelchen“ am Theater für Niedersachsen
Foto: Falk von Traubenberg
Hannah Oellinger und Manfred Rainer haben eine reizende Ausstattung entworfen, die gut zum Charakter der Oper passt. Kleine weiße Hausmodelle stehen auf der Bühne. Der Teufel kommt also zu Anfang bedrohlich groß über das kleine Dorf. Für die Innenszenen, etwa bei Oxana, werden Giebelwände aufgeklappt, die Zimmer andeuten. Die Lage des Hauses von Solocha links und jenes von Oxana rechts ist genau den Regieanweisungen entnommen. Und zwischendrin fahren das Gasthaus und die Kirche über die Bühne – das ist dann Regiefreieheit. Am Ende wischt Wakula ganz brav seine Teufelskarikatur vom Turm ab. Für die Kostüme spielen Hannah Oellinger und Manfred Rainer mit russischen Elementen. Oxana hat ein wattiertes Gewand. Einige Herren sind mit wilden Tierköpfen als Pelzmützen ausgestattet. Der Teufel ist so eine Art niedlicher Yeti mit Bockshörnchen. Köstlich ist die Hexe Solocha gekleidet. Auffällig rosa ist ihr Hosenanzug, auf dem Kopf hat sie einen Korb und um ihren Nacken schmiegt sich eine Katze, genauer gesagt das Skelett einer Katze. Mit der plaudert sie manchmal auch zärtlich und streichelt ihr Köpfchen. Grotesk überzeichnet ist die Szene am Hof der Zarin. Weiße Hauben, kurzbehoste Trikots und Halskrausen deuten die höfische Gesellschaft an, die sich zwischen zu Palmen umgebauten Heizpilzen tummelt. Natascha Flindt lässt den Chor mit ihrer Choreographie einen zeremoniösen Hofball mit einem völlig verfremdeten Menuett tanzen und schreiten.

Neele Kramer (Solocha), Peter Kubik (Teufel)
Foto: Falk von Traubenberg
Es sind diese liebevollen Überzeichnungen, die die Aufführung auszeichnen. Regisseurin Anna Katharina Bernreitner, die mit der 2011 von ihr gegründete Künstlergruppe „Oper rund um“ Stücke an ungewöhnlichen Schauplätzen aufführt, trifft genau den Nerv des Publikums. Mit witzigen Details gelingt ihr eine moderne Interpretation. Als am Ende die Prunkpantöffelchen auch noch blinken, ist das Premierenpublikum restlos begeistert. So entfaltet sich ein Beifallssturm für alle Beteiligten.

Florian Ziemen geht als Dirigent feinfühlig an die Partitur heran. Als breites sinfonisches Werk ist die Ouverture angelegt. Schon hier kann sich das Orchester des Theaters für Niedersachsen entfalten. Geschmeidigkeit, Verlockung und Erotik legt Mezzosopran Neele Kramer als Hexe Solocha in Gesang und Spiel. Sie betört nicht nur den Teufel. Bariton Peter Kubik ist als solcher weniger dämonisch sondern eher ein süßes Teufelchen, stimmlich mit Witz, spielerisch und leicht. Katja Bördner singt  die Rolle der spröden Oxana mit schönem Sopran. Einen leicht tollpatschigen Schmied Wakula mimt Tenor Wolfgang Schwaninger. Auch die kleineren Herrenrollen sind gut besetzt: Uwe Tobias Hieronimi als Tschub, Julian Rohde als Schulmeister, Levente György als Dorfschulze und Jesper Mikkelsen als Zeremonienmeister ams Zarenhof. Dort hat Levente György als Durchlaucht noch einen großen Auftritt, den er mit sattem Bassbariton sing. Achim Falkenhausen hat Opernchor und Extrachor des TfN gut geprobt. Der Damenchor säuselt als Wassernixen verführerisch. Mit großer Spielfreude und Tanzlust absolviert der Chor einige schöne Szenen auf der Bühne.

Besuchte Vorstellung: Premiere 9. Dezember 2018
Theater Hildesheim

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