Premierenkritik: Antonio Vivaldis Oper „La verità in cimento“ – Winter in Schwetzingen – 2018

Denver Clan im Barcelona-Pavillon 

– Barocke Opernrariät „La verità in cimento“ von Antonio Vivaldi in der Reihe „Winter in Schwetzingen“ des Theaters Heidelberg – 

von Klaus J. Loderer

Wie spannend Barockoper sein kann, das darf man derzeit im Rokokotheater in Schwetzingen erleben. Dass die Aufführung so spannend ist, liegt an der überaus beglückenden musikalischen Seite unter der Leitung von Davide Perniceni, an den wunderbaren Sängern, einem stimmigen Inszenierungskonzept und natürlich an der schönen Musik von Antonio Vivaldi.

„La verità in cimento“ des Theaters Heidelberg in Schwetzingen: Shahar Lavi (Rustena)David DQ Lee (Melindo)Francesca Lombardi-Mazzulli (Rosane), Philipp Mathmann (Zelim) und Franziska Gottwald (Damira)
Foto: Sebastian Bühler
Wieder hat das Theater Heidelberg für den inzwischen als wichtige Barockreihe etablierten „Winter in Schwetzingen“ eine Opernrarität auf den Spielplan genommen. Nun ist es „La verità in cimento“. Die Oper war die dreizehnte Oper Vivaldis (RV 739) und wurde im Karneval 1720 im Teatro San Angelo aufgeführt. Vivaldi widmete die Oper dem serbischen Grafen Sava Lukic Vladislavic-Raguzinsky, der als Diplomat in Diensten des russischen Zaren Peter der Große stand und von 1716 bis 1722 in Venedig lebte. Dort führte er einen repräsentativen Haushalt und war ein wichtiger Gastgeber für illustre Gäste. Die Oper geriet schnell in Vergessenheit und wurde erst wieder 2015 von der Oper Zürich aufgeführt. Das kleine Theater in Schwetzingen, ein Kleinod aus dem 18. Jahrhundert, ist auch ein passender Rahmen für eine Barockoper.

Es geht in „La verità in cimento“ um den Sultan Mamud, der seine beiden Söhne nach der Geburt vertauschte. So wuchs Melindo, der Sohn der Dienerin Damira, als Sohn der Sultanin Rustena auf, während der Sohn der Sultanin, und eigentliche Erbe, als Sohn der Dienerin aufwuchs. Zu Beginn der Oper möchte der Sultan das Geheimnis aufdecken und Zelim als rechtmäßigen Erben einsetzen. Die Dienerin wehrt sich allerdings dagegen. Rustena ist ganz glücklich, dass ihr Sohn Melindo der Erbe des Reichs ist und versucht zu verhindern, dass das Geheimnis aufgedeckt wird. Dabei schreckt sie auch vor Lügen nicht zurück.

Das mit der Erbschaft zieht heute als Thema vielleicht nicht mehr so sehr, die persönlichen Bindungen zwischen leiblicher und gewohnter Mutter und richtigem und verkehrtem Sohn führt aber zu einer Reihe von psychologischen Konflikten, die nun wiederum sehr spannend sind. Und hier setzt das Regiekonzept an, das die Handlung aus der Geschichte in die Gegenwart und aus dem Orient nach Europa holt. Vielleicht ist dieser Mamud auch einfach ein reicher Unternehmer irgendwo auf der Welt.

Franziska Gottwald (Damira), Statisterie
Foto: Sebastian Bühler
Und es zeigt sich wieder, dass die Machtspiele und Liebeskonflikte der Barockopern sich sehr gut in die Gegenwart holen lassen, wenn man ein stimmiges Konzept bietet. Und das ist in Schwetzingen der Fall. Jan Freese ließ sich für das Bühnenbild wohl vom Barcelona-Pavillon von Mies van der Rohe inspirieren und zeigt uns einen modern-kühlen Bungalow in ganz klassischer Moderne. Der Hauptraum ist geschickt über Eck gestellt und ermöglicht nach rechts eine Erweiterung in den Schlafbereich, nach links in den Essbereich und geradeaus sieht man in den Garten. Und mit zugezogenen Vorhängen kann man dahinter sogar noch umbauen. Für das weitere High-Society-Feeling sorgen die Kostüme von Falk Bauer – ganz Denver-Clan-Eleganz. Eine Denver-Clan-Intrige ist die Geschichte ja irgendwie auch. Dementsprechend entfaltet Regisseurin Yona Kim einen tollen High-Heels-Zickenkrieg zwischen Haushälterin und Unternehmersgeliebter Damira und Unernehmersehefrau Rustena und einen entsprechenden Machtkampf zwischen den Sprösslingen Zelim und Melindo, die auch noch dasselbe Mädchen lieben, nämlich Rosane, die ihrerseits vor allem das Geld liebt und dem künftigen Schwiegervater auch mal einen Geldbüschel mopst. Yona Kim reduziert ihre drei Geschlechtsgenossinnen im Charakter erbarmungslos auf Macht und Geld und dekorative Anwesenheit. Obwohl der Inszenierung noch eine gewisse Erotik gut getan hätte, denn irgendwie geht es doch auch noch um zwei Dreiecksgeschichten, und wozu steht da ein riesiges Bett rum? Eigentlich haben Damira und Rustena am Ende alles erreicht, sie bereiten dann an der festlichen Tafel aber doch noch die Ermordung des Hausherrn vor. Der Sarg steht im Hintergrund schon bereit. Die eine hat eine Pistole, die andere vergiftet seinen Sekt. Man bedauert Mamud schon fast, der als Vater aber auch ziemlich versagt und ziemlich kurz angebunden ist beim Austausch des Erben. Immerhin singt Francisco Fernández-Rueda diese Tenorpartie sehr ausdrucksstark und schön.

Shahar Lavi (Rustena), Statisterie
Foto: Sebastian Bühler

Eigentlich haben nur die beiden Söhne Gefühle in dieser Oper. Und die brechen in den Arien auch aus ihnen heraus. Da ist der Anfangsrerbe Melindo, eindrucksvoll gesungen vom aus Südkorea stammenden Counertenor David DQ Lee, der mit effektvollen und virtuosen Koloraturen aufwarten kann. Wirkungsvoll muss er sein weißes Dinnerjacket dem nunmehrigen Erben Zelim übergeben. In dieser Rolle steigt der Sopranist Philipp Mathmann mit fein gesponnenen Spitzentönen und perfekten Koloraturen zu weiteren Höhen auf. Volumen in der Stimme und leidenschaftlicher Gesang überzeugen bei ihm. Mit atemberaubenden Crescendi sorgt er für Staunen. Zelim macht sich schon am Anfang unverfroren an Rosane heran, die da noch Melindo heiraten soll. Als Rosane glänzt die Sopranistin Francesca Lombardi-Mazzulli mit großer Stimmkraft aber manchmal auch scharfer Höhe. Mit kühler Eleganz und charaktervoller Stimme erlebt man Mezzosopranistin Shahar Lavi als Hausherrin Rustena. Sie ist ganz Joan Collins und sehr geschmeidig im Gesang.

Ihr steht Mezzosopranistin Franziska Gottwald als intrigante Haushälterin Damira in nichts nach. Sei es, dass sie den Hausherrn umschmeichelt, sei es, dass sich streitet, herb und und prägnant gestaltet sie diese Rolle. Als Haushälterin befehligt sie vier Dienstmädchen; diesen Statistinnen ist das Gehen in eleganten Schuhen sichtbar ungewohnt.

Das leidenschaftliche Dirigat von Davide Perniceni trägt zum spannungsreichen und kurzweiligen Operngenuss bei. Auf ein paar Arien hat man gnädigerweise verzichtet. Klangmalerisch zeichnet Perniceni einfühlsam die Stimmungslagen. Und die sind hier vielfältig und kontrastreich. Das um einige Barockspezialisten ergänzte und für die Streicher mit Barockbögen ausgestattete Philharmonische Orchester Heidelberg musiziert exakt und mit Elan. Den großen Beifall des Premierenpublikums belohnt das Ensemble mit einer Wiederholung des Schlusschors.

Und wie übersetzt man nun „La verità in cimento“. Das Theater Heidelberg entschied sich für die freie Übersetzung „Die Wahrheit auf dem Prüfstand“. Etwas weniger lyrisch klingen Übersetzungen wie „Die Wahrheit als Wagnis“ oder „Der Streit um die Wahrheit“. Man bleibt vielleicht doch besser beim italienischen Originaltitel.

Besuchte Vorstellung: Premiere am 30. November 2018
Schloßtheater Schwetzingen


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