Opernrarität: Carl Maria von Webers „Euryanthe“ – Theater an der Wien – 2018
Intrige im weißen Salon
– Christof Loy inszeniert Carl Maria von Webers selten gespielte Oper „Euryanthe“ im Theater an der Wien –
von Klaus J. Loderer
Worüber unterhält sich das Publikum in der Pause von „Euryanthe“, dieser löblichen Ausgrabung am Theater an der Wien? Man gibt sich schockiert über den Nackten. Splitterfasernackt und ganz im Vordergrund der Bühne, das kann das Publikum immer noch schockieren. Gerade weil die Produktion ansonsten gar nicht auf Provokation aus ist, sondern eher ganz ästhetisch mit einem realistischen Bühnenbild und schönen Kostümen daherkommt, ist es eben so unerwartet, dass sich Lysiart komplett auszieht. Doch auch das hat seinen Grund. Er möchte nächtlicherweise Euryanthe verführen, hat er doch auf ihre Untreue gewettet. Naja, und falls sie ihrem Bräutigam Adolar nicht untreu werden will, fragt man sie eben nicht. Und da setzt die Inszenierung mit der Unbekleidetheit ein deutliches Symbol, dass dieser Lysiart gerade drauf und dran ist, Euryanthe zu vergewaltigen, die nichts ahnend im Bett schlummert.
Dieser Lysiart muss dann auch noch nach vorn an den Bühnenrand krabbeln, eifrig bemüht sein Schwänzchen nicht am Bretterfußboden zu wetzen. Ein abgebrühter und bitterböser Intrigant ist dieser Lysiart von Andrew Foster-Williams, allerdings sehr schön und ausdrucksstark gesungen. Zur Seite steht ihm mit markantem Mezzosopran die entrückt wirkende Therese Kronthaler als Intrigantin Eglantine. Das sind die Bösen. Nun zu den Guten. Fast statuenhaft und distanziert über allen Unbilden schwebend Jacquelin Wagner in der Titelpartie und mit strahlend hellem Sopran. Als Adolar hört man Norman Reinhardt mit schöner Brillanz in der Stimme. Also eine erfreuliche Sängerbesetzung.
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„Euryanthe“ im Theater an der Wien: Andrew Foster-Williams (Lysiart), Theresa Kronthaler (Eglantine), Jacquelyn Wagner (Euryanthe), Norman Reinhardt (Adolar)
Foto: Monika Rittershaus
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Die Ouvertüre zur Oper „Euryanthe“ ist als Konzertstück berühmt. Der Erfolg ist einem Orchester mit diesem effektvollen Stück gewiss. Wie mit allen Ouvertüren Carl Maria von Webers. Auch im Theater an der Wien kann Constantin Trinks mit dem ORF-Radiosymphonieorchester gleich einen Erfolg verbuchen. Doch was hängt bei „Euryanthe“ eigentlich für eine Oper dran? Interessanterweise wird „Euryanthe“ üblicherweise in Opernführern abgehandelt, obwohl sie nicht gerade zum üblichen Repertoire gehört. Die Oper Frankfurt am Main hat die Oper vor einiger Zeit ausgegraben. Letzten Februar erfolgte eine konzertante Aufführung in der Dresdner Philharmonie. Jetzt führte das Theater an der Wien die Oper mit einer eigenen szenischen Produktion auf. Das ist natürlich besonders löblich, schließlich fand die Uraufführung von „Euryanthe“ in Wien statt. Allerdings war die Uraufführung am 23. Oktober 1823 im nicht mehr existierenden Kärntnertortheater, damals Spielstätte der k.u.k. Hofoper. Auf zwanzig Aufführungen brachte es „Euryanthe“ damals. 1825 wurde sie ergänzt durch eine Balletteinlage erstmals in Berlin aufgeführt.
Eine mittelalterliche Intrige am Königshof
Um eine Rittergeschichte handelt es sich. Das ist nicht ungewöhnlich für die Romantik. Ort und Zeit wurden von der Textdichterin Hermina von Chézy genau festgelegt. Denn die Handlung basiert auf der französischen Erzählung „Histoire de Gérard de Nevers et de la belle Euryanthe, s’amie“ aus dem 13. Jahrhundert, die Chézy 1804 ins Deutsche übersetzte. So kam die Erzählung „Die Geschichte von der tugendsamen Euryanthe“ in Friedrich Schlegels „Sammlung romantischer Dichtungen des Mittelalters“. Übrigens verarbeiteten auch Shakespeare und Boccaccio den Stoff.
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„Euryanthe“ im Theater an der Wien:
Theresa Kronthaler (Eglantine),
Andrew Foster-Williams (Lysiart)
Foto: Monika Rittershaus
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Auf Webers Wunsch passte Chézy die Geschichte leicht an. Handlungsorte sind das Schloss in Préméry und die Burg von Nevers, Bischofssitz und Residenz der Grafen und späteren Herzöge von Nevers am Oberlauf der Loire, im Jahr 1110. Auch Ludwig VI., genannt der Dicke, ist historisch fassbar als 1108 gekrönter König von Frankreich. Er kämpfte gegen Barone, Normannen, den Kaiser und Aufständische. So erstaunt es nicht, dass der Opernhandlung ein Krieg vorausgeht. Der Krieg ging für den König siegreich aus, so freut man sich zu Beginn über den Frieden. Adolar könnte zu seiner Braut Euryanthe zurückkehren, tut es aber nicht und wird von Lysiart zu einer Wette verleitet, wonach Lysiart Euryanthe zur Untreue verführen könnte. Lysiart schafft es zwar nicht Euryanthe zu verführen, er kommt allerdings mit Hilfe von Eglantine, die Adolar liebt und deshalb Euryanthe schaden möchte, hinter das Geheimnis, dass Adolars Schwester Emma Selbstmord begangen hat. Dem König und Adolar präsentiert Lysiart so den Ring Emmas als Beweis der Untreue Euryanthes. Da Euryanthe tatsächlich Eglantine das Geheimnis verraten hat, schweigt sie betreten. Adolar verliert seine Güter als Wettschuld und bringt Euryanthe in die Wildnis, um sie zu töten. Er bringt es nicht fertig. Doch stirbt Euryanthe nachdem sie dem König das Geheimnis offenbart hat. Aus den wirren Reden Eglantines bei ihrer Hochzeit mit Lysiart erkennt Adolar den Sachverhalt. Als der König hinzukommt gesteht Eglantine die Intrige. Lysiart ersticht sie und wird festgenommen. Die Jäger kommen hinzu und bringen die wieder auferweckte Euranythe. Der König vereint Euryanthe und Adolar.
Und woher wussten Adolar und Euryanthe, dass sich Emma umgebracht hat? Sie erschien ihnen als Geist, weil ihre Seele noch keine Ruhe fand. Erst am Ende der Oper spürt Adolar, dass Emmas Seele ihren Frieden gefunden hat und nun mit jener Udos vereint ist, als er Emmas Ring zurück erhält. Das ist die besondere Ebene, die man in romantischen Opern oft findet. Man fragt sich da schon etwas, wo eigentlich das Problem ist. Schließlich weiß ja niemand davon. Aber in katholischen Gefilden war Selbstmord eben sehr sündig. Die Produktion in Wien übersetzt die Handlung in das Zwanzigste Jahrhundert und findet dafür eine tatsächlich tragfähige Entsprechung.
Eine Familienintrige in den Fünfzigerjahren
Regisseur Christof Loy setzt diese Handlung in Wien nicht als große heroisch-romantische Oper um. Er fasst die Personen als Mitglieder einer Familie zusammen. Adolar und Lysiart scheinen hier Brüder, der König ihr Vater. So richtig im Griff hat Ludwig diese Familie aber nicht, auch wenn Bass Stefan Cerny diesen mit kräftig einsetzenden Tönen singt. Loy hat ihm auch eine Frau dazuerfunden. Als Herzogin von Burgund (das wäre dann aber die Schwiegermutter) darf die Schauspielerin Eva-Maria Neubauer dekorativ und sehr elegant über die Bühne schreiten.
Auch die verschiedenen Spielorte sind zu einem Einheitsbühnenbild zusammengefasst. Den Saal in einem herrschaftlichen Haus sehen wir. Mit dem Oberlicht ist er eher Neue Reichskanzlei als klassizistische Villa. Bühnenbildner Johannes Leiacker hat den Raum perspektivisch stark verkürzt gebaut. Links ist eine Reihe mit fünf hohen Fenstern, die den Raum mit Tageslicht durchfluten. Lichtgestalter Reinhard Traub lässt eine sehr tief stehende Wintersonne an der rechten Wand einen regelrechten Tanz der Fenstersprossen aufführen. Diese rechte Wand besitzt nur eine kleine Tür. In einen geheimnisvollen Raum scheint diese Tür zu führen, in das „verbotene“ Zimmer Emmas, das ein Familiengeheimnis birgt. Hinten öffnet sich eine zweiflügelige Tür in einen Vorraum. Die Möblierung ist karg: ein Flügel links, ein Korbsessel, vertrocknete Blumentöpfe, ein Bett rechts vorn. Die schönen Kostüme von Judith Weihrauch verweisen auf die 1950er-Jahre. In Andeutung des Krieges sind die Herren im ersten Akt in eine Art Galauniform gekleidet, später im Smoking. Grace Kelly ist unverkennbar das Vorbild für diese Euryanthe. Doch ist auch der Farbcode der Kostüme bezeichnend. Euryanthe trägt zu Anfang einen weißen Rock – engelsgleich, ihr blauer Morgenmantel im zweiten Teil erinnert nicht von ungefähr an das blaue Gewand der Madonna. Eglantine, die Intrigantin, sehen wir zu Beginn im langen roten Kleid, das wie sie wie eine Tragödin des 19. Jahrhunderts erscheinen lässt.
Psychologisch geht Christof Loy an „Euryanthe“ heran. Dass Adolar in der Oper am Anfang den Umgang mit den Menschen scheut, ist für Loy eine Steilvorlage, aus ihm einen traumatisierten Offizier zu machen. So sitzt er teilnahmslos auf einem Stuhl. Im Gegensatz zur Oper, in der die Frauen erst in der zweiten Szene zu auftauchen, sehen wir während der Ouvertüre die vier Hauptpersonen zusammen auf der Bühne. Teilnahmslos sind sie verteilt. Eglantine versucht eine Annäherung, die Adolar brüsk abwehrt. Und man zeigt uns auch gleich, dass Lysiart scharf auf Euryanthe ist. Immer wieder sind in der Inszenierung Personen anwesend, die eigentlich nicht da sein sollen. Das zieht aber die Handlung enger zusammen. So taucht Eglantine etwa auch zu Beginn des dritten Akts auf. In der Wildnis will Adolar Euryanthe umbringen, die ihn aber vor einer Schlange warnt. Diese Schlange bringen wir in dieser Konstellation sofort mit Eglantine in Verbindung.
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„Euryanthe“ im Theater an der Wien: Norman Reinhardt (Adolar), Jacquelyn Wagner (Euryanthe),
Stefan Cerny (König Ludwig VI.), Arnold Schoenberg Chor
Foto: Monika Rittershaus
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Mit dem kühlen Raum kontrastiert immer wieder bewegungsreich der Chor, sei es dass er durch die hintere Flügeltür regelrecht hereinflutet, sei es, dass er drängelt, um zu sehen, was sich im Saal tut. Brutal bedrängen die Chorherren Euryanthe im zweiten Akt und greifen nach ihr, wenn Lysiart sie vermeintlich der Untreue überführt. Aus der vom Chor vorher bejubelten heiligen Euryanthe wird plötzlich Freiwild. Wie immer ist der Arnold-Schönberg-Chor ein wichtiger Aktionist der Oper. Aber auch gesanglich darf man sich an der Exaktheit dieses von Erwin Ortner geleiteten Chors erfreuen. Und auch das Orchester erfreut. Constantin Trinks’ Dirigat ist facettenreich und akzentuiert. Gut geprobt und einstudiert ist das ORF-Radiosymphonieorchester.
Für Wagner-Fans ist „Euryanthe“ natürlich erhellend. Lysiart und Eglantine sind die würdigen Vorgänger von Telramund und Ortrud. Man findet so einige Stellen, die Wagner wohl als Inspiration für „Lohengrin“ dienten. Und selbst für „Tristan und Isolde“ scheint „Euryanthe“ noch Pate gestanden zu haben. Wie auch immer. Jedenfalls würde man sich für „Euryanthe“ mehr Aufführungen wünschen. Ein „Freischütz“ weniger und dafür eine „Euryanthe“.
Besuchte Vorstellung: 19. Dezember 2018
(4. Vorstellung, Premiere 12. Dezember 2018)
Theater an der Wien, Wien
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