Opernkritik: Wiederaufnahme „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck – Staatstheater Nürnberg – 2018
Verhexte Weihnachten in Wahnfried
– Wiederaufnahme von Andreas Baeslers Inszenierung von Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ am Staatstheater Nürnberg –
von Klaus J. Loderer
Arm ist diese Familie nicht. Finanzielle Probleme hat man allerdings schon, wie man unschwer, sehen kann. Während der Ouverture lässt der Gerichtsvollzieher die Wohnung ausräumen. Die Bilder sind schon abgehängt. Die Standuhr wird hinausgetragen. Sogar ihre Brosche muss die Dame des Hauses abgeben. Und das zu Weihnachten. Denn der Christbaum prangt im Zentrum des Salons. Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ ist in Andreas Baeslers Inszenierung von 2016, die jetzt wieder in Nürnberg zu sehen ist, ein Weihnachtsmärchen. Ein Besenbinder ist dieser Peter nicht, seine Frau Gertrud eine feine Dame. Sogar eine Kinderfrau gibt es, eine strenge, die mit dem Stock erzieht. Man ahnt natürlich schon, dass aus ihr schließlich die Knusperhexe werden wird, sie heizt ja auch schon den Ofen an. Der Ort, den Bühnenbildner Harald B. Thor nach einem Konzept von Andreas Wilkens, gebaut hat, ist hier auch keine ärmliche Besenbinderhütte. Wir sehen einen Salon und zwar einen ganz bestimmten. Wir sehen Wagners Villa Wahnfried in Bayreuth. Also Besenbinder Peter als Richard Wagner und seine Frau Gertrud als Cosima Wagner. Entsprechend hat Gabriele Heimann die beiden auch kostümiert. Humperdinck ist in Wahnfried immerhin ein- und ausgegangen. Andreas Baeslers Konzept trägt durchaus und sieht auch schön aus. Mit den Textdetails darf es natürlich nicht so wörtlich nehmen. Aber Baesler erzählt uns eine schöne bürgerliche Geschichte des 19. Jahrhunderts. Vordergründig ein bürgerliches Idyll. Allerdings sehen wir auch die Gefühlskälte bei der Erziehung von Kindern.
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„Hänsel und Gretel“ – Staatstheater Nürnberg:
Jochen Kupfer als Peter und Emily Newton als Gertrud
Foto: Jutta Missbach
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Effektvoll ist die erste Erwähnung der Hexe gestaltet. Peter liest aus dem Märchenbuch vor, die Familie sitzt gespannt um ihn herum. Papa spielt Hexe und packt das Knusperhäuschen aus. Zur Unterstützung der Dramatik hat er eine sich drehende Laterne aufgestellt. An der Wand fliegen sodann die Hexen herum. Dass mit dieser Gutenachtgeschichte die Kinder nicht schlafen können, ist nicht erstaunlich. So verlassen sie ihr Stockbett schon bald wieder. Ihre Fantasie tut ein Übriges. Es tut sich Erstaunliches im Salon. Gretels Puppe und Hänsels Bär werden lebendig. Sie lassen das Sandmännchen wie einen Drachen steigen. Und schließlich lösen sich sogar die Wände auf. Eine schöne Idee ist die Kuckucksuhr, die zum entsprechenden musikalischen Motiv ihren Einsatz hat. Statt vierzehn Engeln kommen zum Abendsegen weiße Damen und Herren in historischen Kostümen herein – die Ahnen vielleicht? Sie halten schützend die Hände über Hänsel und Gretel, die sich im umgekippten Lehnstuhl zusammenkauern. Nach den liebevoll detailgenau gestalteten Szenen davor ist dieses Finale dann aber enttäuschend. Die Musik schraubt sich zum Höhepunkt empor, nur auf der Bühne tut sich nicht viel.
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„Hänsel und Gretel“ – Staatstheater Nürnberg:
Almerija Delic als Knusperhexe, Julia Grüter als Gretel und Irina Maltseva als Hänsel
Foto: Jutta Missbach
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Nach der Pause ist der Raum immer noch aufgelöst. Ein ganzer Wald von Christbäumen steht da und hohe Tannen bilden den Hintergrund – eine schöne Waldmetapher. Hänsel und Gretel entdecken das Knusperhäuschen, eben das kleine Lebkuchenhaus, das der Vater mitgebracht hat. Als sie daran naschen taucht im Hintergrund die Kinderfrau auf, nun mit langer Hexennase, und droht mit dem Stock. Hänsel wird im Stockbett gefangen und bedrohlich macht die „Hexe“ den Kachelofen auf. Kinderängste macht der Regisseur hier deutlich. Mit großem Knall und viel Rauch explodiert schließlich der Ofen – das kommt an bei den Kindern im Publikum. Am Ende fliegen die Christbäume nach oben und die Wände fügen sich wieder zum richtigen Raum zusammen. Die Eltern kommen wieder heim und alle sind glücklich. Und die Kinderfrau macht ordentlich den Ofen zu.
Auch musikalisch ist es eine erfreuliche Aufführung. Guido Johannes Rumstadt leitet die Staatsphilharmonie Nürnberg schwungvoll, im Marsch am Ende geradezu schmissig. Sehr schön und ergreifend gestaltet er den Abendsegen. Die romantischen Stimmungen mit ihren Beschreibungen malen geradezu ein Naturbild. Da passt die feine Sopranstimme von Julia Grüter gut dazu, die glockenhell hervortritt. Als Gretel singt sie mit mädchenhafter Leichtigkeit die von Humperdinck eingebauten Kinderlieder. Auch am Gesang der russischen Mezzosopranistin Irina als Hänsel kann man sich erfreuen. Maltseva Emily Newton singt eine Gertrud mit viel dramatischem Nachdruck und spielt sie als distanzierte Dame. Jochen Kupfer kontrastiert als deftiger Peter. Wie gewohnt singt er mit warmem Bariton. Almerija Delic spielt zuerst die strenge Kinderfrau als stumme Rolle, bis sie als Knusperhexe mit geradezu dämonisch-grausamem Mezzosopran ängstigt. Etwas unsicher ist Nayun Lea Kim als Sandmännchen und Taumännchen, zu schrill und leider ohne jegliche Verständlichkeit in der Sprache. Als Kinderchor fungiert der Nürnberger Jugendchor des Lehrergesangsvereins (Leitung Klaus Bimüller).
Besuchte Vorstellung: 2. Dezember 2018
(Wiederaufnahme, Premiere am 2. November 2014,
Koproduktion mit dem Théâtre du Capitole in Toulouse)
Opernhaus Nürnberg
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