Opernkritik: Benjamin Brittens „Peter Grimes“ – Oper Köln – 2018

Düsteres Geheimnis im Betsaal 

– Frederic Wake-Walker inszeniert Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ an der Oper Köln – 

von Klaus J. Loderer

Dieses Dorf hat ein düsteres Geheimnis. Es ist nicht nur der mysteriöse Tod zweier Lehrbuben des Fischers Peter Grimes. Es ist die Reaktion der Dorfbevölkerung, die Regisseur Frederic-Wake-Walker in seiner Inszenierung der Oper Köln überspitzt in Richtung Lynchmord. Eigentlich fährt Grimes auf Ende der Oper mit seinem Boot auf das Meer hinaus, um dem Lynchmord durch die aufgestachelte Dorfbevölkerung zu entgehen. Doch die Lösung, die dem jungen englischen Regisseur eingefallen ist, hat eine ergreifende Prägnanz. Er lässt die Dorfbevölkerung mit anonymisierenden Masken sich versammeln. Bedrohlich skandieren sie „Peter Grimes“ Sie sitzen im Carée um das Handlungsgeschehen herum. In der Mitte der Bühne sind Klappen im Boden aufgemacht worden, die den Blick auf ein blau gefliestes Schwimmbad freigeben. Zwei Personen, Balstrode und Ellen, führen Peter Grimes die Stufen in diese nasse Gruft hinab. Über ihm schließt man die Klappen und niemand ahnt mehr, was sich unter dem Fliesenfußbodboden verbirgt. Man nimmt die Masken ab und legt sie auf einem Haufen. Das Problem ist aus der Welt geschafft und das Leben geht weiter wie immer. Die Wellen brechen sich wie immer an diesem englischen Strand im malerisch schönen Orchesterklang, mit dem Nicholas Collon die Oper enden lässt.

Robert Bork (Balstrode), Marco Jentzsch (Peter Grimes), Ivana Rusko (Ellen Orford)
Foto: © Bernd Uhlig
Überhaupt hat das Gürzenich-Orchester Köln seinen gehörigen Anteil an dieser verstörend-schönen Aufführung. Von besonderer Ästhetik sind die Orchestervor- und Zwischenspiele, die der junge englische Dirigent Nicholas Collon filigran und atmosphärisch gestaltet. Plastisch werden bei ihm die musikalischen Beschreibungen der Natur, das unendliche Rollen der Wellen des Meeres, das Schreien der Möwen, der aufbrausende Sturm. Man benötigt nicht das optische Bild der Küstenlandschaft, um die Abhängigkeit der Menschen von den Naturgewalten zu sehen. Die Einbindung der Menschen in den Kreislauf der Natur spielt eine wichtige Rolle in der Oper Benjamin Brittens, die auf dem Gedicht „The Borough“ von George Crabbe basiert, und 1945, also unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in London uraufgeführt wurde. Das Städtchen Aldeburgh in der Grafschaft Suffolk (nordöstlich von London) nimmt gerne für sich in Anspruch das Vorbild zu sein. Britten lebte in der Nähe und war sogar Mitbegründer des Aldeburgh Festivals. Man könnte sich auch das Moot House von Aldeburgh als Kulisse der Oper vorstellen. Und so einen ähnlichen Weg geht Bühnenbildnerin Anna Jones sogar, ohne geographisch konkret zu werden. Die Küstenlandschaft, die in Aldeburgh übrigens überhaupt nicht so dramatisch felsig ist, wie man sich das durch die Oper vorstellen könnte, interessiert das Produktionsteam nicht. Vielmehr zeigt man uns eine geschlossene Dorfgemeinschaft und die, die nicht dazugehören. Als räumlichen Rahmen hat sich Anna Jones eine Art Bethaus ausgedacht, einen nüchternen Saal, wie er typisch ist für streng protestantische Richtungen mit betont moralischen Vorstellungen. Dieser Saal mit seinen neugotischen Spitzbogenfenstern könnte auch irgendwo in Neu-England oder bei einer Shaker-Gemeinde sein. Sehr geschickt fügt sich das Bühnenbild in die vorhandenen Stützen des Staatenhauses ein. Er ist aber schon recht ramponiert, dieser Betsaal, eher schon die Ruine eines solchen. Lücken sind in den Brettern, die Empore ist teilweise abgebrochen, der Fliesenboden abgewetzt. Sehen wir etwa Jahre später beim Besuch dieser Ruine, was einstens hier geschehen ist? Spüren wir dem Geheimnis des geisterhaft schon vor Beginn im Bühnenbild sitzenden blassen Jungen nach? Das ist zwar eine Puppe, später geistert dieser blassse Junge durch die Hütte von Peter Grimes, wenn der nächste Junge durch den eiligen Aufbruch der sich bedrohlich nahenden Dorfbewohner von den Klippen stürzt. Solche Details geben der Inszenierung einen mysteriösen Touch, zumal auch die Musik immer wieder einen mystisch flirrenden Ton anschlägt.

Mit einem genialen Kniff schafft es die Bühnenbildnerin die Besucher in diesen Saal einzubinden. Seitlich reichen die abgebrochenen Emporen über den Zuschauerbereich. Und da das Orchester links seitlich der Bühne platziert ist, sitzt das Publikum direkt an der Bühne. Wenn der Chor in der letzten Szene auf zwei Seiten auf Bänken um das Schwimmbad sitzt, bilden die Besucher die dritte Seite und nehmen so am Geschehen teil. Auch wir haben diesem unglücklichen Peter Grimes nicht geholfen. Weniger als brutalen Kerl denn als unglücklichen Menschen zeichnet Marco Jentzsch diesen Fischer, unbeholfen und mit Schwierigkeiten zu persönlicher Bindung aber mit großen Träumen. Auch gesanglich gestaltet der Tenor die Zerrissenheit der Rolle mit mal schwärmerischen mal sehnsüchtigen aber durchaus auch derben Tönen.

Die Bänke dieses Betsaals bilden die einzige Möblierung der Bühne. Sie umrahmen am Anfang die gerichtliche Untersuchung, sie bilden Nischen für den Gasthof. Sie nehmen im zweiten Akt, wie in der Kirche aufgereiht, den von Rusta Samedov präzise einstudierten Chor für den Gottesdienst auf. Diese Kirchenbänke bilden ein ordnendes System, mit dem Regisseur Nicholas Collon auch in gewohnter Ordnung lebenden Dorfbewohner zeichnet. Er macht sie immer wieder zur anonymen Masse, aus der Solisten auf- und wieder abtauchen. Peter Grimes ist aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen. Und Ellen Orford droht dieses Schicksal auch, weil sie Peter zu helfen versucht. Ivana Rusko gestaltet diese Lehrerin mit schönem Sopran.

"Peter Grimes" der Oper Köln
Foto: © Bernd Uhlig
Die Kostüme von Anna Jones undd Linda Tiebel holen die Geschichte aus der Zeit um 1810 in die Mitte des 20. Jahrhundert. Förmlich zieht der Chor zum zweiten Akt durch den Zuschauerraum zur Kirche, die Männer förmlich mit Melonen behütet. Obwohl sich das Bühnenbild nicht ändert über die drei Akte, bieten sich doch immer wieder überraschende Bilder. Mit Fackeln bewehrt ziehen die aufgestachelten Dorfbewohner, bedrohlich singend, zum Haus von Peter Grimes. Der Anfang des dritten Akts ist hier weniger Fest als Orgie. Auf der Orgelempore macht nun eine Band grotesk verzerrte Tanzmusik. Die scheinheiligen Dorfhonoratioren lassen im nun endgültig als Bordell entlarvten Gasthof die Sau raus. Apotheker Ned spielt in Unterwäsche Cowboy, während sich Anwalt Swallow als Transvestit im roten Kleid mit Aunties Nichten mit Umschnalldildos vergnügt. Monica Dewey und Kathrin Zukowski machen daraus zwei betörende Sirenen, burschikos Malgorzata Walewska als Wirtin Auntie. Die zahlreichen Männerrollen sind vorzüglich besetzt. Lucas Singer gibt dem Anwalt Swallow einen harten sachlichen Klang. Wolfgang Stefan Schwaiger erfreut mit schönem Bariton. Darren Jeffery gibt mit sicherem Bassbariton einen brutaler Fuhrmann Hobson. Wärmer in den Farben ist Robert Bork als Balstode. Altjüngferlich überdreht spielt Rebecca de Pont Davies Mrs. Sedley als eine Art herumschnüffelnde Miss Marple, die ihr Fensterchen mit sich herumträgt, durch das sie den Ort beobachten kann.

Besuchte Vorstellung: 6. Dezember 2018
(Premiere am 25. November 2018)
Staatenhaus Köln



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