Musical: „Wonderful Town“ von Leonard Bernstein – Volksoper Wien – 2018
Abenteuer in der Christopher Street
– Leonard Bernsteins Musical „Wonderful Town“ an der Wiener Volksoper –
von Klaus J. Loderer
Es ist fast schon eine eigene Gattung des Musicals, jene Stücke, die in New York spielen. Häufig geht es um Provinzler, die in die Großstadt kommen. Das ist ja sowieso ein besonderes Thema der Boulevardkomödie, das schon im 19. Jahrhundert bezogen auf Paris beliebt war. Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts ist es dann New York, das eine ganze Reihe musikalischer Liebeserklärungen erhalten hat, man denke nur an „Hello Dolly“ oder „Westside Story“. Die Volksoper Wien hat nach sechzig Jahren ein anderes Musical von Leonard Bernstein aus Anlass dessen hundertsten Geburtstags wieder in den Spielplan genommen, nämlich „Wonderful Town“. 1956, drei Jahre nach der Uraufführung in New York, kam „Wonderfull Town“ erstmals an der Volksoper. Nun kehrt es als Übernahme von der Staatsoperette Dresden wieder.
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„Wonderful Town“ an der Volksoper Wien: Wiener Staatsballett, Chor der Volksoper Wien
Foto: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien
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Die wundervolle Stadt ist natürlich New York. Die Handlung spielt in Greenwich Village, genauer gesagt in der später berühmt gewordenen Christopher Street. Natürlich denkt man bei diesem Straßennamen heutzutage sofort an den CSD, also an den Christopher Street Day. Und es wäre auch irgendwie naheliegend gewesen, die Schwulenemanzipation in die Inszenierung einzubauen. Die ist aber in der Inszenierung von Matthias Davids kein Thema. Man hat sich in Kostümen und Situierung an die Dreißigerjahre gehalten. Judith Peter hat schöne Kostüme für diese Zeit entworfen. Mathias Fischer-Dieskau hat ein flexibles Bühnensystem entwickelt mit einem Metallsteg und zwei schwenkbaren Treppen und beweglichen Kulissenstreifen, die mal die Skyline von New York, mal die grellbunten Leuchtreklamen der Straßen andeuten ohne irgendwie konkret zu werden. Das ermöglicht schnelle Szenenwechsel, bleibt aber sehr beliebig. Eine ganz andere Ästhetik hat die Kellerwohnung. Die ist plötzlich realistisch bieder. Diese Kellerwohnung von Ruth und Eileen, die alle paar Minuten von einer Sprengung für den Bau der U-Bahn erschüttert wird, ist der Hauptort der Handlung.
Dass wir in der Christopher Street sind, erfahren wir einleitend von einem Fremdenführer (Oliver Liebl), der mit einer Touristengruppe kommt. Er stellt auch die markanten Personen und Typen vor, die für die eigentliche Geschichte den Rahmen bilden: den griechischen Maler Appopolous (Christian Dolezal), den gescheiterten Fußballspieler Loomis genannt The Wreck (Marcus Günzel), die Prostituierte Violet (Ines Hengl-Pirker) und Wachtmeister Lonigan (Alexander Pinderak). Mit diesen zeichnet das Musical ein Genrebild von New York mit Leuten aus unterschiedlichen Herkunftsregionen, was Bernstein die Gelegenheit bot, ethnisch angehauchte Musiknummern einzubauen. Nach der Ouvertüre erleben wir eine große Shownummer mit Chor und Ballett, eine gute Gelegenheit für die Volksoper, gleich einen effektvollen Kostümreigen vorzuführen.
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„Wonderful Town“ an der Volksoper Wien:
Drew Sarich (Robert Baker)
Foto: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien
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Die eigentlichen Hauptfiguren sind die Schwestern Ruth und Eileen aus Ohio, die gerade in New York ankommen, um als Schriftstellerin und Schauspielerin ihr Glück zu versuchen. Ruth grast alle Zeitungsredaktionen ab, doch man mag ihre Texte noch nicht einmal lesen. Redakteur Robert Baker (Drew Sarich mit wunderbarer Stimme als Zeitungs-Beau) zählt ihr eine ganze Liste auf von in New York gescheiterten Provinzlern. Er liest ihre Geschichten dann doch, während wir in drei kurzen Spielsequenzen erfahren, wovon sie handeln. Eileen (Olivia Delauré als liebliche Blondine) verdreht sofort allen Männern den Kopf, darum heißt das Theaterstück, auf dem das Musical basiert, auch „My Sister Eileen“. Ruth kommt bei den Männern nicht so gut an. Sie erklärt in einem von Sarah Schütz herrlich trocken vorgetragenen Song „hundert goldene Tipps, einen Mann zu verlieren“. Keine Angst, sie teilt uns nicht alle hundert mit. Bei einer Essenseinladung scharwenzeln dann schließlich drei Verehrer um Eileen, während Ruth irgendwie unbeteiligt bleibt. Das Publikum darf sich über den grotesken Small Talk freuen, in dessen Zentrum der Drugstore-Verkäufer Frank Lippencott (Oliver Liebl) mit seiner Ungeschicklichkeit steht. Es geht grotesk weiter. Um mit Eileen allein sein zu können, schickt einer der Verehrer, der Journalist Chick Clark (Christian Graf), Ruth mit einem angeblichen Interviewauftrag einer Zeitung weg. Aber das Interview mit brasilianischen Kadetten, die nur portugiesisch verstehen und nur Conga tanzen wollen, gestaltet sich dann doch schwierig. Mit den tanzenden Kadetten im Schlepptau kehrt sie zurück. Die Versuche der adretten Schwester, die Kadetten irgendwie loszuwerden, enden schließlich mit Eileens Verhaftung. Doch sie wickelt auf der Polizeiwache alle Polizisten um den Finger. Eileen fädelt dann schließlich auch ein, dass Robert und Ruth sich ihre Liebe gestehen. Eileen selbst wird, durch einen Skandalbericht auf den Titelseiten der Zeitungen bekannt geworden, von Speedy Valenti (Cedric Lee Bradley) im Nachtclub Village Vortex als Sängerin engagiert. Und Loomis bekommt seine Helen (Juliette Khalil). Großes Finale im Nachtclub.
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„Wonderful Town“ an der Volksoper Wien: Sarah Schütz (Ruth Sherwood), Wiener Staatsballett
Foto: © Barbara Pálffy / Volksoper Wien
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Die Inszenierung ist unterhaltsam, wenngleich etwas bieder. Jede große Shownummer endet mit einem dekorativen Bild. Zur munteren Kurzweiligkeit des Abends trägt natürlich auch James Holmes mit einem flotten Dirigat bei. Das Orchester der Volksoper ist dazu in satter Big-Band-Stimmung gut aufgestellt. Der Chor der Volksoper ist nicht nur von Holger Kristen gut einstudiert, sondern gibt sich spielfreudig in den verschiedensten Rollen und Kostümen als Touristen, Polizisten, Flaneure, Nachtclubbesucher usw. Melissa King hat für das Wiener Staatsballet effektvolle Choreographien erarbeitet.
Besuchte Vorstellung: 18. Dezember 2018
(Premiere 9. Dezember 2018)
Volksoper Wien
(Koproduktion mit der Staatsoperette Dresden, Premiere 22.12.2016)



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