Buchbesprechung: „Die Wiener Hofburg und der Residenzbau in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert“

Kaiserliche Architekturrepräsentation 

– Interessanter Tagungsband zur Residenzenforschung: „Die Wiener Hofburg und der Residenzbau in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert“ – 

von Klaus J. Loderer

Bei Schlossbau mag man zuerst an die Barockzeit denken. Doch im 19. Jahrhundert wurden in den sich zu Metropolen entwickelnden Residenzstädten nicht nur bürgerliche Bauten errichtet. Die Monarchien präsentierten sich in Erweiterung der alten Residenzen in einem Glanz, der nicht unbedingt der tatsächlichen Macht entspricht. Ausgehend von der Wiener Hofburg hat die Österreichische Akademie der Wissenschaft ein komparatistisches Projekt ins Leben gerufen, mit dem unter verschiedenen Aspekten und im überregionalen Vergleich das Thema der Residenz untersucht werden soll.

Die Beiträge des von Werner Telesko, Richard Kurdiovsky und Andreas Nierhaus herausgegebenen Bands basieren auf der dem Buchtitel entsprechenden Tagung des Jahres 2007. Fünf der 14 Beiträge befassen sich mit der Wiener Hofburg. Wir lernen die kaiserliche Residenz und ihre Nutzung unter unterschiedlichen Aspekten kennen. Es seien einige Beiträge herausgegriffen. Die Planungen von Hasenauer und Semper für die neue Hofburg interpretiert Richard Kurdivosky als ideale Planungen. Mit der konkreten Umsetzung der Hofburgerweiterung und des „Kaiserforums“ befasst sich Andreas Nierhaus. Die Beteiligung von Historikern kann Werner Telesko in den Bildprogrammen der künstlerischen Ausstattung nachweisen. Der Hof selbst habe wohl eher geringes Interesse an den Details gehabt.

Weitere Beiträge stellen andere wichtige Residenzen der Donaumonarchie vor. Jindrich Vybíral befasst sich mit der Prager Burg im 19. Jahrhundert. Ein Ausblick ins 20. Jahrhundert zeigt uns den Umbau des Hradschins zum Sitz des Staatspräsidenten der neuen tschechoslowakischen Republik. Als Vergleichsobjekt darf Budapest natürlich nicht fehlen, nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 immerhin die zweite Hauptstadt der österreichisch-ungarischen Monarchie. Péter Farbaky befasst sich mit der Erweiterung des Königspalasts auf der Ofner Burg im ausgehenden 19. Jahrhundert. Für die Planungen waren die Architekten Miklós Ybl und Alajos Hauszmann verantwortlich. Gerade die Planungen des Letzteren entstanden gleichzeitig mit dem Michaelertrakt der Wiener Hofburg. Überhaupt zieht Farbaky in  seinem Beitrag »Analogie und Antithese zur Hofburg« den Vergleich mit der Wiener Hofburg. Allerdings übertrifft der Kuppelbau in Budapest die städtebauliche Wirksamkeit. Ein bedeutender Unterschied ist auch, dass in Budapest praktisch alle früheren Baustufen überformt wurden, während man in Wien die historische Schichtung bis heute gut wahrnehmen kann. Auch der Ausblick über den Ersten Weltkrieg hinaus erfolgt im Band. Péter Rostás untersucht in seinem Aufsatz »Der Kult um Matthias Hunyadi und der Budaer Königspalast in der Zwischenkriegszeit« die Weiternutzung des königlichen Palasts, als die offizielle Residenz des Reichsverwesers Nikolaus von Horthy dort untergebracht wurde. Im Gegensatz zur Wiener Hofburg wurde der Königspalast am Ende des Zweiten Weltkriegs stark beschädigt. Gingen erste Wiederaufbauplanungen noch von einer Zentrale der Staatsmacht aus, entschied man sich schließlich für die Unterbringung von Nationalbibliothek, Nationalgalerie und anderer Museen. So hat man es hier mit einer interessanten Neuinterpretation des Gebäudes zu tun.

Auch Vergleiche mit Dresden und Berlin werden vorgenommen. Heidrun Laudel stellt das sog. Zwingerforum in Dresden vor. Helmut Engel zeigt die Entwicklung des Berliner Stadtschlosses, das erst von Kaiser Wilhelm II. wieder als Residenz benutzt wurde, und den weiteren Ausbau der Schlossumgebung. Den Lustgarten zwischen Schloss und Altem Museum analysiert Markus Jager in Vergleich zu St. Petersburg und Wien.


Werner Telesko, Richard Kudriovsky, Andreas Nierhaus (Hg.)

Die Wiener Hofburg und der Residenzbau in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert
Monarchische Repräsentation zwischen Ideal und Wirklichkeit

Böhlau-Verlag Wien, Köln, Weimar 2010
ISBN 978-3-205-78393
394 S., Ill.

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