„Baustellen im ausgehenden 19. Jahrhundert“, Vortrag von Christoph Rauhut in Stuttgart
Traditionelles Handwerk und moderne Bautechnik
– „Baustellen im ausgehenden 19. Jahrhundert“, Vortrag von Dr. Christoph Rauhut in der Reihe „Ifag um sieben“ in Stuttgart –
von Klaus J. Loderer
Wie modern oder unmodern war eine Baustelle um 1900? Dieser Fragestellung ging der Architekturhistoriker Christoph Rauhut, seit 1. Oktober neuer Landeskonservator von Berlin, in seinem Vortrag „Baustellen im ausgehenden 19. Jahrhundert“ am Beispiel des Stadthauses von Zürich nach. Dieser fasste die Ergebnisse seiner von der ETH Zürich angenommenen Dissertation, für die Rauhut übrigens 2017 den Förderpreis der Gesellschaft für Bautechnikgeschichte erhielt, zusammen. Im zweiten Vortrag der vom Institut für Architekturgeschichte der Universität Stuttgart veranstalteten Reihe „IFAG um sieben“, die in diesem Semester das Thema „Achtung Baustelle“ hat, analysierte Rauhut die technischen Möglichkeiten auf einer Baustelle und das Zusammenspiel von Stadt, Architekt, Bauführer, Handwerkern, Materiallieferanten und Planern und Produzenten der technischen Ausstattung.
Stadthaus beim Fraumünster in Zürich Foto: Klaus J. Loderer |
Einleitend stellte Rauhut unter dem Motto „Heroische Bauten“ technische Bauten des 19. Jahrhunderts vor, die mit ihren bedeutenden Neuerungen zu den Eckpunkten der Technikgeschichte gehören, etwa den Tunnel unter der Themse in London, den Suezkanal und den Schabolowka-Radioturm von WladimirSchuchow. Diese Projekte kontrastierte er mit dem bodenständigen Bauen normaler Bauten. Dabei vertrat er die These, dass, was die technischen Neuerungen wie die Einführung des Stahlbetons angeht, gar nicht, wie üblicherweise behauptet wird, die Ingenieursbauten wie Brücken schließlich die Architektur prägten. Vielmehr sei in der Architektur recht schnell Eisenbeton verwendet worden, allerdings oft an versteckten Stellen. Das konnte er auch am 1900 nach Plänen von Gustav Gull (dessen wohl bekanntestes Werk das Schweizerische Landesmuseum ist) errichteten Stadthaus von Zürich zeigen, bei dem ein mittelalterlich wirkender Kreuzgang zum benachbarten Fraumünster überleitet. Dieser zitiert romanische und gotische Motive, die auch tatsächlich handwerklich gearbeitet sind. Dass darüber allerdings ein Eisenbetonträger eingefügt ist, kann man nicht erkennen. Auch bei den Decken wurde bereits Eisenbeton verwendet.
Als weiteres Beispiel für versteckte moderne Bautechnik nannte Rauhut eine Wand weit oben im Gebäude am Lichthof, unter der sich eine Arkadenreihe befindet und die deshalb nicht als Massivwand ausgeführt wurde. Vielmehr beauftragte der Architekt eine Stahlbaufirma mit der Planung, Berechnung und Ausführung einer Eisenfachwerkwand, die schließlich verputzt wurde. Rauhut analysierte auch die Herkunftsorte der verschiedenen Steinmaterialien. Ein Transport war zu dieser Zeit mit der Eisenbahn leicht möglich. Die Steine aus Steinbrüchen nördlich der Alpen wurden auf Steinhauerplätzen in Zürich baufertig vorbereitet. Die Steine aus Steinbrüchen südlich der Alpen wurden schon dort fertig bearbeitet und in Zürich auf der Baustellung nur korrigiert. Man erkennt dem Gebäude, das außen durch einen Natursteinfassade mit historisierenden Motiven aus Gotik und Renaissance geprägt ist, dass sich dahinter als tragendes Material Backsteinmauerwerk befindet. Rauhut thematisierte auch die Auftragsvergabepraxis, die Konstruktion von Gerüsten, die Arbeit des Bauführers und dessen Ausbildung, die Probleme mit dem Grundwasser und die klassischen und modernen Möglichkeit es abzupumpen. So schälte sich ein Nebeneinander von traditionellen Baumethoden und neuen Techniken heraus.
3. Dezember 2018
Kollegiengebäude K 1, Universität Stuttgart
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