Premierenbesprechung: Richard Wagners „Lohengrin“ – Theater Bonn – 2018

Der Schwanenritter schwebt am Klavier herein 

– Publikum feiert neuen „Lohengrin“ im Opernhaus Bonn – 

von Klaus J. Loderer

Es ist ein Lohengrin der sanften Töne, den Mirko Roschkowski in der Oper Bonn singt. Seine Gralserzählung im dritten Aufzug lebt vom Kontrast zwischen dem leisen Anfang und den mächtig heldischen und doch hellen Tönen, zu denen er sich schließlich aufschwingt. Charaktervolle und sichere Höhe zeichnet seine Interpretation ebenso aus wie eine gewisse sphärische Entrückung, die der Rolle guttut. Er moduliert mit der Stimme, nimmt sie nach lauten Ausbrüchen wieder zurück, spielt geradezu mit den Lautstärken. Man erlebt ein gelungenes Rollendebüt. Entsprechend stürmisch ist der Beifall für Mirko Roschkowskis beim Schlussapplaus. Der ist aber überhaupt für alle beteiligten Künstler geradezu frenetisch. Das Premierenpublikum feiert die neue Lohengrin-Produktion. Künstlern und Publikum hätte man ruhig noch eine große Applausrunde mehr gönnen können.

„Lohengrin“ im Opernhaus Bonn:
Pavel Kudinov (König), Anna Princeva (Elsa), Mirko Roschkowski (Lohengrin), Chor
Foto: Thilo Beu

Am Erfolg hat auch das gut geprobte Beethoven-Orchester seinen gebührenden Anteil. Das flirrende Spiel der Streicher nimmt schon im Vorspiel gefangen. Das Dirigat mag am Anfang etwas langsam wirken. Doch entwickelt sich die Sache schon bald akzentuiert und steigert sich. Dirk Kaftan geht manche Passagen breit an, doch setzt er größtenteils auf durchsichtigen Orchesterklang und arbeitet die Motive fein heraus. Akustisch sehr wirkungsvoll ist die Platzierung der Blechbläsergruppen des Zwischenspiels des dritten Aufzugs in Logen und auf den Rängen um den Zuschauerraum herum. Das bindet die Zuschauer mit der Musik geradezu zusammen. Dirk Kaftan hat keine Angst vor großem Orchesterklang, doch deckt er die Sänger nie zu. Wenn die Trompeter dann auch noch so exakt intonieren wie in Bonn, dann ist der Genuss vollkommen. Auch Chor und Extrachor sind gut aufgestellt (Choreinstudierung Marco Medved). Im zweiten Akt singt der Kinderchor die Einleitung „Macht Platz“ zum Auftritt Elsas (Einstudierung Ekaterina Klewitz).

Ebenfalls ein Rollendebüt hat Anna Princeva als Elsa. Sie betont mit ihrer lyrischen Stimme das Mädchenhafte, Unschuldige Elsas. Sie mimt vielleicht zwei Akte lang zu sehr das Häufchen Elend, so dass man ihr die Fröhlichkeit in der Hochzeitsnacht gar nicht mehr abnimmt. Dshamilja Kaiser gibt als Ortrud stimmlich alles. Sie ist eine eindrucksvolle Intrigantin und Machtfrau. Dabei bleibt sie in ihrer Rollengestaltung bewusst statisch. Ihr dekorativer Einsatz eines großen blauen Tuchs hat etwas von den Frauengestalten Anselm Feuerbachs. Ihr völlig hörig ist Telramund. In ihren Armen unterwürfig, in der Öffentlichkeit selbstbewusst männlich singt Tómas Tómasson diese Rolle als Action-Darsteller. Pavel Kudinov ist als König Heinrich eine eindrucksvolle Erscheinung und singt die Rolle mit kräftiger Stimme. Und auch der Heerrufer ist mit Ivan Krutikov gut besetzt. Sauber und kraftvoll singt er diese eigentlich undankbare kleine und doch schwierige Rolle. Jonghoon You, Christian Specht, Sven Bakin und Gintaras Tamutis erfreuen als brabantische Edle.

In seinem Bühnenbild setzt Regisseur Marco Arturo Marelli eine quadratische weiße Fläche, die mit Bett und Stuhl Elsas Zimmer andeuten soll, schräg auf durcheinander geschichteten Paletten. Unverhüllt bleibt die Technik der Bühne. Das Vorspiel nutzt Marelli, um die Entführung Gottfrieds zu zeigen. Während Elsa betet oder von Lohengrin träumt, schaut ihr kleiner Bruder lieber ein Bilderbuch an. Ortrud lockt den Knaben weg, deutet mit einigen Federn seine Verwandlung in einen Schwan an und verschwindet mit ihm wörtlich in der Versenkung. Dass der Schwan Gottfried ist, gesteht Ortrud ja im dritten Aufzug, insofern ist das eine logische Einleitung. Elsa versteckt sich vor Schreck unter der Bettdecke. Dass Gottfried dann beim Auftauchen Lohengrins diesem mit Zwangsjacke entgegenrennt, bleibt ohne weitere Erläuterung. Hat das eine tiefere Bedeutung oder geht es nur um die Ähnlichkeit mit Flügelchen? Der Auftritt Lohengrins mag eine leichte Assoziation mit Wagner bewirken, wird aber auch nicht weiter verfolgt. Lohengrin fährt hinten auf einer runden Plattform herein, auf der er dekorativ im langen Hausmantel am Flügel sitzt, neben sich eine Puppe mit einem klassischen Lohengrinkostüm. Von diesem holt er dann das Schwert, um Elsas Unschuld zu verteidigen. Für den Zweikampf hat sich Marelli eine überraschende Lösung ausgedacht, um peinliches Schwertergefuchtel zu vermeiden: der König sticht beide Schwerter in den Boden aber Telramund schafft es trotz größter Anstrengungen nicht, dieses herauszuziehen. Lohengrin zieht seines natürlich mühelos heraus. Den Chor teilt Marelli in zwei Gruppen auf: die Chorherren rechts könnte man als Soldaten des Königs interpretieren, sie tragen Uniformmäntel (Kostüme Ingeborg Bernerth) und halten lange Stangen. Mit ihren Lederkluften könnte man die Chorherren links als Arbeiter interpretieren oder gar als Matrosen, womit man eine Assoziation hätte für das Ende des deutschen Kaiserreichs 1918. Dann wäre Lohengrin der Heilsbringer in der neuen Republik.

Noch eine Assoziation für diese Zeit findet sich im zweiten Aufzug, wenn mit ironischem Augenzwinkern die Chorherren (nach durchzechter Nacht) auf die Bühne stürzen und eiligst in Vatermörder-Gehrock-Festgarderobe für die bevorstehende Hochzeit werfen müssen.

Ein Element, das Marelli in seiner feinsinnigen Inszenierung deutlich machen möchte, ist der religiöse Konflikt, der im Stück enthalten ist. Hier ist Elsa besonders betont katholisch. Und Ortrud ist davon besonders angewidert. Im zweiten Akt gibt sich Ortrud zwar scheinheilig mit rotem Gewand und blauem Tuch die optische Erscheinung einer Madonna, sie lässt sich auch widerwillig ein Kettchen mit Kreuz umhängen, doch tut sie dies nur, um sich bei Elsa einzuschleichen. Die unsägliche Verbindung von Religon und Krieg symbolisieren im Hintergrund aufzogene Fahnen mit Kreuzen und Schwerterrauten. Wenig später löscht sie beim Gang zum Münster die vom Chor getragenen brennenden Kerzen aus, als wolle sie mit dem Auslöschen der Kerzen das Christentum ausschalten und den Weg freimachen für ihre Religion: die alten germanischen Götter.

Das Motiv des Verlusts am Ende der Szene im Brautgemach verstärkt der Regisseur. Es ist hier nicht nur die verbotene Frage nach seiner Herkunft, die das Bündnis mit Elsa platzen ließ. Es ist vielmehr, dass er einen Menschen umgebracht hat. Er hat Telramund, der ihn mit Mordabsicht gerade überfallen hat, mit dessen Schwert getötet. Nun starrt Lohengrin wie gelähmt das Blut an seinen Fingern an. Man ist ergriffen.

Das stärkste Bild bietet Marelli aber im zweiten Teil des dritten Aufzugs. Die langen Stangen hängen nun in der Höhe der Bühne und fallen im Takt der Musik herunter. Das Licht blitzt im Theaterrauch und wieder und wieder fallen Stangen herunter und schlagen in die Paletten ein und bleiben stecken. Ein schönes Symbol für den Kriegszug, zu dem der König – dessen mit Wappenmotiven versehener farbiger Umhang der einzige farbige Punkt in diesem grauen Bild ist – mit dem Chor, nun mit Stahlhelmen versehen, erscheint. Mit diesem (dem Zweiten Weltkrieg?) möchte Lohengrin nichts zu tun haben. Er verschwindet samt der Ebene mit dem Flügel. Elsa stirbt an ihrer zerbrochenen Utopie, wie der Regisseur im Programmheft schreibt. Und der Schwan? Den gibt es im dritten Akt sogar zu sehen. Wenn der Schwan erscheinen soll, zeigt Lohengrin Elsa den gestickten Schwan auf dem prachtvollen Schwanenrittermantel.

Besuchte Vorstellung: Premiere am 4. November 2018
Opernhaus Bonn

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