Opernrarität: Händels „Berenice, regina d’Egitto“ – Oper Halle – 2018

Welch schöne Selfies hätte die Barockdame gemacht 

– Jochen Biganzoli treibt in seiner Inszenierung von Händels „Berenice, regina d’Egitto“ in Halle Selfies und moderne Medien auf die Spitze und Soprano Samuel Mariño überrascht – 

von Klaus J. Loderer

Nun haben meine liebe Händelopernfreundin Sabine und ich völlig vergessen, beim Besuch von Händels Berenice in Halle an der Saale ein Selfie zu machen. Man wäre beim Schlussapplaus auf die Bühne gestürzt und hätte das Selfie dann gleich zusammen mit den Sängern gemacht. Das Publikum hätte das als Teil der Inszenierung gewertet, denn auch die Sänger fotografierten sich einzeln oder zusammen am Schluss schnell noch mit ihren Telefonen. Und ganz zum Schluss machte dann sogar noch Dirigent Jörg Halubek ein Erinnerungsfoto.

Filippo Mineccia (Demetrio), Samuel Mariño (Alessandro), Robert Sellier (Fabio), Franziska Gottwald (Arsace), KS. Romelia Lichtenstein (Berenice),  Ki-Hyun Park (Aristobolo),  Svitlana Slyvia (Selene)
© Theater-, Oper und Orchester GmbH Halle, Foto: Anna Kolata

Regisseur Jochen Biganzoli treibt in seiner Inszenierung von Händels 1737 uraufgeführter Oper „Berenice, regina d’Egitto“ – mit der nun übrigens alle 42 Opern Händels mindestens einmal bei den Händelfestspielen in Halle aufgeführt wurden – das Selfietum auf die Spitze. Das Libretto um die ägyptische Königin Kleopatra Berenike III. und Ptolemaios XI. Alexander II. wird oft als verworren angesehen, doch schafft es Biganzoli daraus eine durchaus spannende Geschichte zu machen. Gnadenlos entlarvt er eine Selbstdarstellungsgesellschaft, der das Mobiltelefon an der Hand angewachsen zu sein scheint. Wie es eben gerade so zugeht auf der Welt. Ununterbrochen wird da getippt, gechattet, geselfiet, man stellt sich vor die Webcam und gleich ist man mit seiner Botschaft im weltweiten Weben. Im Hintergrund flirren Facebook, Instagram, Datingplatformen, Whatsapp und welche sozialen Medien auch immer – kunstvoll und sehr passend zusammengestellt von Konrad Kästner. Diese Sänger strahlen nicht das Publikum an, sie lächeln oder grinsen nur in ihre Telfonkameras. Und so wie die Daten vorbeirasen, so rasen auch Berenice und ihre Gefolgschaft endlos durch die Kabinen eines sich drehenen Bühnenbilds (Wolf Gutjahr). Da dudelt dann auch mal ein Telefon, hier natürlich kunstvoll vom Cembalo imitiert.

Hätte es im Barock schon Telefone mit Kameras gegeben, so müsste es aussehen, wenn sich mit Allongeperücken gelockte Gentlemen schnell in Szene setzen. Das sollte den Damen und Herren im 18. Jahrhundert ganz gut gefallen haben, zumindest kann man zu diesem Schluss kommen, wenn man sich in ihren Schlössern die Porträts der Herrschaften anschaut, die damals zwischen Tee und Wachteln noch schnell in der aktuellen Händel-Oper den neuesten Hut präsentierten. Damals war ja der Hut schon wieder unmodern, bis das Gemälde endlich fertig war. Was wäre es für eine Möglichkeit gewesen, schnell ein Selfie zu machen und im Internet zu veröffentlichen. Ganz London wäre vor Neid erblasst.

Aber zurück ins Opernhaus zu Halle. Dort hört man Gesang auf erfreulichem Niveau und dazu tummeln sich allerhand barock kostümierte Gestalten (Kostüme Katharina Weißenborn) auf einer modernen Bühne. Modern sind auch ihre Mobiltelefone, die sie ununterbrochen benutzen. Die Produktion changiert da allerliebst zwischen den Zeiten. Der römische Diplomat Fabio (ganz der Fiesling: Robert Sellier) fordert von der ägyptischen Königin Berenice, dass sie Alesandro heiratet. Als Berenice erlebt man die ausdrucksstarke Romelia Lichtenstein. Man mag über den Altersunterschied zu Samuel Mariño anfänglich stutzen, doch ist Alessandro historisch tatsächlich Berenices Stiefsohn. Dieser in Caracas geborene männliche Sopran ist ein junges Stimmwunder. Jungenhaft und ziemlich androgyn wuselt er mit seinem Colabecher über die Bühne und trällert uns diese heftigen Koloraturarien einfach so daher.

Dass Alessandro Berenice liebt, könnte die Sache einfach machen. Aber sie will nicht. Sie will sich nicht von Rom ihren Bräutigam vorschreiben lassen, außerdem liebt sie Demetrio. Das ist ungeschickt, denn der ist ein Feind Roms – mit dem Countertenor Filippo Mineccia eine sehr gute Besetzung. Und er liebt ihre Schwester Selene (Svitlana Slyvia). Diese wird auch noch von Arsace verehrt. Arsace ist die Putzfrau. Also eigentlich natürlich nicht. Aber in Halle ist er eine sie und zwar Franziska Gottwald und putzt am Anfang um den silberglänzenden Showvorhang herum (heute gibt es viel Lametta meinte meine Händelfreundin Sabine schon vor der Vorstellung kenntnisreich, da sie die Produktion schon bei den Händel-Festpielen gesehen hat) und träumt später davon, auch so einen dieser schönen Fummel tragen zu dürfen, die auf Kleiderständern auf der Bühne hängen. Sie wird aber erst in die Handlung integriert, als Berenice, um die Römer zu ärgern, Arsace mit ihrer Schwester Selene verheiraten möchtek. Aus der Hosenrolle wird ganz passend eine kleine Lesbengeschichte. Aber Selene liebt eigentlich Demetrio. Aber einer Königin widerspricht man nicht. Und die möchte nun Demetrio haben. Es entspinnt sich in der Folge eine der köstlichsten Szenen der Inszenierung, wenn Berenice Demetrio ins Bett locken möchte und Selene ihm per Whatsapp schreibt. Er knutscht natürlich trotzdem mit Berenice herum, während Selene schmollt. Wie können wir den Chat-Dialog sehen? Ganz einfach. Er wird für uns an der Rückwand eingeblendet. So können wir auch später sehen, wie Demetrio Mitridate um Hilfe bei einem Staatsstreich gegen Berenice bittet. Mitridate? Ja, den kennt der Opernfreund natürlich durch Mozart. Aber er taucht hier nicht persönlich auf. Demetrio ist es auch, der zwischendrin geradezu Amok läuft und Datenverbindung und Strom kappt. Dann ist es einige Zeit dunkel, man sitzt trostlos herum, nur im Kühlschrank brennt interessanterweise noch Licht.

Recht schnell haben sich die Beteiligten der Barockkostüme entledigt. Die zweite Hälfte einer Barockoper kann ja durchaus etwas zäh werden. Das ist hier allerdings gar nicht der Fall. Das liegt einerseits an Händels Musik. Und es liegt an der spannenden und wirklich gelungenen Umsetzung der Oper in die Gegenwart. Machtkämpfe und Liebe sind eben ewige Themen. Demetio wird verhaftet und in die Kerker des Theaters geführt (die Kamera verfolgt ihn in die Unterbühne). Aber Selene bezirzt Arsace, ihn freizulassen. Dummerweise überrascht Berenice Selene und Demetrio zusammen im Bett.

Für den zweiten Teil lässt sich Berenice-Darstellerin Romelia Lichtenstein als indisponiert ankündigen. Man hört, wie ihre Stimme rau ist. Trotzdem bietet sie uns ihre große Arie kurz vor dem Finale mit einer unglaublichen Leidenschaft und drückt ergreifend den Schmerz der Figur aus. Das Wechselspiel mit der Oboe verstärkt sie noch dazu, dass sie aus der Bühne heraustritt und sich nah an den Spieler kauert. So entsteht eine Intimität zwischen ihrer Stimme und dem Instrument. Was allerdings stört, ist der parallel laufende Regie-Einfall, mit der Kamera durch den Zuschauerraum zu schwenken. Denn die sich selbst auf der Leinwand erkennenden Zuschauer fangen an zu kichern und lenkt ab.

Schließlich beugt sich Berenice den Wünschen Roms und übergibt Fabio einen Ring, den ihr Bräutigam zurückbringen soll. Den gibt Fabio dann Alessandro, der sich mit einem Blowjob revanchiert. Und fast würde die Sache dann noch einmal in die Verwicklungskatastrophe führen, weil Alessandro Arsace mit dem Ring zu Berenice schicken möchte. Aber man einigt sich dann doch. Man zieht sich wieder die Barockkostüme an für ein schönes Schlussbild. Nur Arsace wird wieder Putzfrau. Und schon will man wieder zur Sinfonia durch das sich drehende Bühnenbild rasen, da drängt der Showmaster (im Glitzeranzug: Michael Zehe als Aristobolo) auf eine Finale. Also bekommt Berenice Alessandro und Selene Demetrio und Happy End mit Champagner und vielen Selfies. Historisch ging die Sach übrigens gar nicht gut aus. Alessandro ließ Berenike wenige Tage nach der Hochzeit umbringen und wurde daraufhin gelyncht.

Ein solch kompliziertes Beziehungsgeflecht kann man natürlich nur dann feingliedrig aufbauen, wenn man ein Sängerensemble zur Verfügung hat, das detailiert sich in Mimik und Gestik auf diese Geschichte einlassen kann. Das ist gelungen – ebenso wie die hohe musikalische Qualität. Dazu liefert natürlich das feinsinnig musizierende Händelfestspielorchester der Staatskapelle Halle die Basis, abwechslungsreich dirigiert von Jörg Halubek, der sensibel auf die Stimmungsbilder der Musik Händels eingeht.

Besuchte Vorstellung: 18. November 2018
(Premiere am 25. Mai 2018 bei den Händel-Festspielen)
Oper Halle an der Saale

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