Opernkritik: Mozarts „Zauberflöte“ – Nationale Opera & Ballet Amsterdam – 2018

Wenn Vöglein die Sänger umflattern 

– Simon McBurney inszeniert „Zauberflöte“ in Amsterdam mit schlichten Mitteln – 

von Klaus J. Loderer 

Wie kann man Vögel über die Bühne flattern lassen? Braucht man dazu etwa ausgestopfte Vögel? Nein, man kann einen Vogel auch mit einem gefalteten weißen Papierblatt andeuten. Und mit einer entsprechenden Anzahl schwarz gekleideter Mitarbeiter wird daraus ein Vogelschwarm. Es sind einfache Mittel, mit denen Regisseur Simon McBurney in Amsterdam an „Die Zauberflöte“ herangeht und große Effekte erzielt.

„Die Zauberflöte“ in Amsterdam: Lilian Farahani (Papagena) und Thomas Oliemans (Papageno)
Foto: Michel Schnater
Die Produktion aus dem Jahr 2012, in Zusammenarbeit mit der English National Opera London und dem Festival d’Aix-en-Provence entstanden, wurde nun für eine Folge von Aufführungen von der Oper Amsterdam wieder auf den Spielplan genommen. Die Produktion überrascht, weil auf ein großes Bühnenbild verzichtet wurde. Es spielt sich alles im Vordergrund ab. Es gibt eine große rechteckige Plattform, die an vier Seilen aufgehängt ist, die man anheben oder kippen kann (Bühnenbild Michael Levine). Und es gibt seitlich der Bühne zwei Stationen, die das Bühnengeschehen unterstützen. Rechterhand ist ein Glaskasten mit allerhand Requisiten drin. Sie dienen etwa zur Produktion von Geräuschen. In dieser Produktion überrascht man uns nicht mit auf mysteriösen Wegen entstehenden Bühnengeräuschen. Wir dürfen zuschauen, wie Geräusche entstehen. Wenn Papageno Wein in die Kehle gluckern lässt, dann sehen wir, wie das gemacht wird. Wenn Papageno dann gar mit den leeren Weinflaschen Glasharmonika spielt, dann entstehen die Töne eben auch in dem wundersamen Glaskasten. Natürlich pinkelt er nicht wirklich in eine Weinflasche, um den Ton zu korrigieren. Ein ganzes Heer von Mitarbeitern ist so seitlich der Bühne tätig, um die Theatereffekte herzustellen.

Die Station links der Bühne ist fast noch wichtiger. Dort steht ein Modell der Bühne. Und da werden die optischen Effekte erzeugt. Während der Ouvertüre schreibt die Ankündigung für die Zauberflöte. Der Zeichner radiert das wieder aus und schreibt die nächsten Worte. Mittels Projektion sehen wird die Schriftzüge groß auf der Bühne. Schnell wird ein Bühnenbild skizziert. Wir sehen die Skizze dann in groß. Es findet während der ganzen Aufführung eine Art Interaktion statt. Natürlich ist das nicht improvisiert. Auch wenn es scheint, als würde man links und rechts der Bühne spontane Einfälle haben, was man jetzt machen könnte, um die Sänger in der Mitte zu unterstützen – oder zu irritieren. Und dann gibt es noch weitere Mitarbeiter, die schwarz gekleidet auf der Bühne aktiv sind. Das gibt interessante Effekte und Bühnenwirkungen.

Die Bühne mag auf den ersten Blick sehr technisch aussehen. Doch entwickelt sich mit den Projektionen eine Bühnenillusion. Ergänzt werden die Projektionen durch Videoeinspielungen,  zum Beispiel die riesige Schlange, die Tamino bedroht. Ganz interessant ist die Szene gestaltet, wenn Tamino vor dem Palast des Sarastro steht. Im Modell stehen Bücher, die vor- und zurückgezogen werden. Wir sehen dann auf der Bühne die riesigen Buchrücken, zwischen denen ein Spalt entsteht und sich wieder schließt. Wie ein Zwerg steht Tamino auf einem Lexikon und vor diesen riesigen Büchern und sucht nach Weisheit. Das ist eine schöne Symbolik. Auch die Wasser- und Feuerprobe von Tamino und Pamina gelingt zur großartigen Bühnenillusion. Die beiden scheinen wirklich von einem Wasserstrom weggespült zu werden. Auch die bewegliche Plattform kommt zum Einsatz. Sie wird gekippt zur unüberwindlichen Mauer. Wenn am Ende unter ihr die Königin der Nacht unter der Plattform versucht in den Tempel der Weisheit einzudringen, versammelt sich darauf Sarastro mit den Weisen. Sackt die Plattform dann ab, flüchten die Wesen der Düsternis. Das ist dramatisches Musiktheater.

Die drei Knaben sind hier seltsam vergreist und wirken eher wie Zwerge aus »Herr der Ringe«. Die Rolle des Monostatos wurde neutralisiert, weshalb auch der Text umgeschrieben wurde. Alle Hinweise auf seine schwarze Hautfarbe wurden gestrichen. Er singt dann etwa auch: »Eine Schöne nahm mich ein« – statt »Eine Weiße nahm mich ein«.

Auch musikalisch ist die Vorstellung gelungen. Die Königin der Nacht, glanzvoll gesungen von Nina Minasyan, ist hier eine alte Frau im Rollstuhl. Gut gelungen ihre Koloraturen. Dmitry Ivaschenko ist ein guter Bass als Sarastro. Mari Eriksmoen singt Pamina mit leichtem Sopron. Mit schönem Tenor singt Stanislas de Barbeyrac den Tamino. Ein wunderbar munterer Papageno ist Thomas Oliemans. Auch das Trio der drei Damen ist harmonisch: Judith van Wanroij, Rosanne van Sandwijk und Helena Rasker. Das Nederlands Kamerorkest spielt unter der Leitung von Antonello Manacorda mit schönem Mozart-Klang.

Besuchte Vorstellung: 26. September 2018
(Premiere 6. Dezember 2012, Wiederaufnahme 4. September 2018)
Amsterdam, Muziektheater
(Koproduktion mit der English National Opera London und dem Festival d’Aix-en-Provence)

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