Opernkritik: Donizettis „L’elisir d’amore“ (Liebestrank) – Musiktheater im Revier Gelsenkirchen – 2018

Gleich neun Belcores umgarnen Adina 

– Witzig mit Hintersinn: Donzettis „Liebestrank“ am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen – 

von Klaus J. Loderer

Warum darf man nicht am Seil ziehen, das von der Decke hängt? Sehr ist man darauf bedacht, dass niemand am Seil zieht. Es scheint eine introvertierte Gesellschaft zu sein. Ein Pianist versucht immer wieder verzweifelt, mit einem Luftballon Botschaften zu verschicken. Doch platzt der Ballon immer irgendwo in der Höhe. Es scheint ein Tanzmarathon stattzufinden. Vier Tanzpaare ziehen das auch durch und lassen sich von der Opernhandlung nicht beirren. Auch wenn man viele Dinge nicht errät in dieser bunten Inszenierung, die mit vielen Pointen bestückt ist, man amüsiert sich köstlich in der Inszenierung von Hauschef Michael Schulz von Donizettis „L’elisir d’amore“ am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen. Die Bühne von Dirk Becker ist gleichsam innen und außen: sie zeigt einen geschlossenen Raum, doch steht auch ein Stromleitungsmast darin als typisches Außenelement. Die Fenster des Raums, der ein Gasthofraum sein könnte, sind im ersten Akt mit Brettern vernagelt. Man scheint den Raum nicht verlassen oder betreten zu können. Belcore kommt deshalb von unten. Eine Säge schneidet ein Loch in den Fußboden. Belcore erscheint allerdings nicht wie sonst mit einem Troß von Soldaten. Er kommt mit einer Vervielfachung seiner selbst. Acht weitere Belcores hat er im Schlepptau, die ihn in köstlichen Slapstick-Aktionen unterstützen. Entsprechend ist der arme Nemorino in seinem verzweifelten Versuch die Aufmerksamkeit der schönen Adina zu erringen gleich den Anfeindungen von neun Belcores ausgesetzt. Sebastian Schiller hat die acht Belcores perfekt einstudiert. So sitzt Adina dann schließlich gleich mit neun Belcores an der langen Tafel. Witzig ist es, wie die Belcores alle in einem winzigen Zelt verschwinden, um sich zur Ruhe betten.

„L’elisir d’amore“ am Musiktheater im RevierFoto: Pedro Malinowski
Auch Dulcamara kommt auf ungewöhnlichem Weg in den Saal. Ein Ozeandampfer stößt von rechts durch die Wand in den Saal ein. Bunte Blinklämpchen markieren den Eingang in sein Reich. Dulcamara verhext hier gleichsam alle, indem er Farbe in den Saal bringt und dafür sorgt, dass die anfänglichen Kleider abgelegt und gegen bunte Kleidung getauscht werden. Renée Listerdal hat hierzu schöne Kostüme erdacht. Und es kommt Licht in den Raum. Wenn Nemorino verbotenerweise am Seil zieht, bricht von oben ein prächtiger Kronleuchter durch die Decke herunter. Das ist der effektvolle Schluss vor der Pause. Und schließlich reist man die Fenster auf und genießt eine neue Freiheit.

Auch musikalisch ist der „Liebestrank“ in Gelsenkirche eine stimmige Produktion. Da ist die junge Sopranistin Dongmin Lee aus Südkorea, die eine wunderbare Höhe hat für die Partie der Adina, schöne Koloraturen singt und eine sichere Höhe besitzt. Da ist aber auch der Tenor Ibrahim Yesilay, der den Nemorino gefühlvoll und ebenfalls mit guter Höhe singt. Dass Neomorino leidet, merkt das Publikum bei „Una furtiva lagrima“ bei jedem Ton, gewissermaßen bei jeder Träne, die er vergießt. Michael Dahmen gibt einen Belcore mit Leidenschaft und viel Gockelgehabe. Und Joachim G. Maaß erfreut als schlitzäugiger Dulcamara. Lina Hoffmann erfreut als kokette Gianetta. Und dann ist noch Askan Geisler zu nennen als melancholischer Pianist.

Yura Yang leitet die gut geprobte Neue Philharmonie Westfalen beschwingt. Die Dirigentin hat die Leitung im Wechsel mit Thomas Rimes, der die Premiere dirigierte. Der Chor erfreut mit gesanglicher Präzision und großer Spielfreude.

Besuchte Vorstellung: 1. Juni 2018
(Premiere 5. Mai 2018, Übernahme einer Produktion der Staatsoper Dresden von 2012)
Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen

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