Filmkritik: „Widows – tödliche Witwen“

Wie man in Chicago Geld verdient 

– „Widows – tödliche Witwen“, ein spannender Thriller von Oscar-Preisträger Steve McQueen – 

von Klaus J. Loderer

Was für ein Chicago erlebt man in diesem Film. Genau das Chicago, das man sich unter diesem Namen vorstellt. Stadtratswahlen stehen an. Die Bevölkerung des 18. Bezirks hat als Kandidaten die Auswahl zwischen einem korrupten Weißen, dessen Familie seit Generationen im Stadtrat sitzt und luxuriös von Bestechungsgeldern lebt, und einem schwarzen Gangster. Dummerweise hat ihm ein anderer Gangster die zwei Millionen Dollar geklaut, mit dem er seinen Wahlkampf finanzieren wollte – also mit denen er wichtige Leute bestechen wollte, wie einen zwielichtigen Prediger mit großer Hörerschaft. Wenn man dazu die heruntergekommenen Straßenzüge im Hintergrund sieht, könnte man meinen, man sieht ein Sozialdrama. Diese Problematik bekommt man im Film so beiläufig auch mit, aber sie wird uns nicht weinerlich aufgetischt. Wenn, dann setzt sie uns Regisseur Steve McQueen knallhart und schonungslos vor. Die Kamera von Sean Bobbitt hält das schonungslos fest. Diese Kamera schaut nicht dezent zur Seite. Diese Kamera ist als Voyeur immer nah dabei. Sie scheint bei einem Kuss fast mitzuknutschen und sie umkreist genüsslich einen Mord. Mit einer fantastischen Schnitttechnik wird der Zuschauer immer wieder überrascht.

„Widows“: Viola Davis und Colin Farrell
© 2018 Twentieth Century Fox

Und Überraschungen gibt es in „Widows“ viele. Immer wieder sind unerwartete Kehrtwendungen der Handlungen eingebaut, die den Spannungsbogen bis zum Schluss halten – und wir sprechen hier von einer zweistündigen Spieldauer. Da ballern die Überraschungen auf die Protagonisten wie auf uns ein. „Widows“ ist ein Thriller und zwar ein guter.

Der Film setzt schon mit viel Action ein. In kurzen, scharf hintereinandergeschnittenen Sequenzen erleben wir vier Paarbeziehungen und daneben einen mit einer wirklich eindrucksvollen Explosion desaströs endenden Diebeszug. Es folgen wiederum scharf ineinandergeschnittene Szenen von vier Beerdigungen und zwei Wahlkampfplanungen. Damit wären uns die beteiligten Personen vorgestellt. Wir wissen auch schon, dass die vier zerrupften Gangster ihren Frauen nichts hinterlassen haben. Einer hat seine Frau geschlagen, einer die Miete des Ladens beim Glückspiel verloren. Nur einer scheint sympathisch, der Chef der Bande, Harry Rawlin (gespielt von Liam Neeson). Zärtlich war das Verhältnis zu seiner Frau. Sie wähnt ihn auch nach seinem Tod immer wieder um sich. Wir sehen ihn im Bett liegen und merken erst nach hartem Bildschnitt, dass sie sich das nur eingebildet hat. Nach dem deutschen Untertitel könnte man ja meinen, dass die Witwen ihre Männer um die Ecke gebracht haben. Aber das ist gar nicht der nicht der Fall. Wir erleben ihre unterschiedliche Art des Trauerns. Wir sehen die verschiedenen Wege an die Zukunft heranzugehen. Und wir sehen die unterschiedlichen Lebensverhältnisse. Diese könnten unterschiedlicher nicht sein. Schon am Anfang kontrastiert die weiße Luxusdesignerwohnung von Harry und Veronica mit den anderen Szenen. Überhaupt scheinen die Szenen um Veronica (Viola Davis) in dieser Wohnung oft wie abgebremst im ansonsten schnellen Handlungslauf. Dass ihr Mann kein harmloser Geschäftsmann war, muss sie erst lernen.

Der schwarze Gangster Jamal (Brian Tyree Henry), den wir gerade noch als sich harmlos gebenden Stadtratskandidaten erlebt haben, setzt Veronica unter Druck, weil Harry ihm zwei Millionen Dollar geraubt habe, die er nun zurückhaben möchte. In einem Schließfach findet sie Harrys Notizbuch und darin Pläne für einen nicht ausgeführten Diebstahl von fünf Millionen Dollar. Sie tut sich mit den Witwen von Harrys „Geschäftspartnern“, Linda (Michelle Rodriguez) und Alice (Elizabeth Debicki) zusammen, um den Plan auszuführen. Veronica ist zwar ziemlich cool, sie merkt aber schnell, wie brutal besonders Jamals Schlägerbruder Jatemme (Daniel Kaluuya) ist. Ihr Chauffeur wird ermordet, um sie daran zu erinnern, dass sie die Zahlung nicht vergisst. Um die Spannung zu verstärken, dürfen wir zuschauen, wie Jatemme die Leute einschüchtert und wie er mit denen umgeht, die nicht gut auf die zwei Millionen aufgepasst haben. So müssen die Frauen nicht nur den Diebstahl planen, sondern auch ein Fluchtfahrzeug kaufen und Waffen besorgen. Außerdem wissen sie erst einmal gar nicht, wo sich der Raum mit den fünf Millionen eigentlich befindet. Das ist dann auch eine der vielen Überraschungen des Films. Als Helferin finden sie dann noch die sportliche Belle (Cynthia Erivo).

Auch der andere Stadtratskandidat spielt eine wichtige Rolle im Film. Wir erleben Jack Mulligan (Colin Farrell), der sich vorgeblich für Frauen aus Minderheitengruppen einsetzt, um ihnen eigene Geschäfte zu ermöglicht, diese aber in Wirklichkeit durch Kredite von sich abhängig gemacht hat, die er sich teuer zurückzahlen lässt.

Steve McQueen gelingt es, die Personen im Film ziemlich lebendig wirken zu lassen. Wir hören, wie sie sich Unflätigkeiten an den Kopf werfen – die Dialoge sind nicht zimperlich. Wir erleben sie mit allen möglichen Kleinigkeiten des täglichen Lebens. Und auch wenn Personen unterschiedlicher Abstammung vorkommen, die ihre Herkunftskulturen nicht verleugnen, gelingt es McQueen, sie nicht als Stereotype sondern als Individuen vorzustellen. Wir dürfen in all diese Abgründe schauen, die da aufgebaut werden. Sympathisch werden uns die meisten Personen nicht. Sie sind brutal, korrupt, selbstgefällig, machtgierig, geldgierig und gehen über Leichen. Sympathisch sind eigentlich nur die vier Frauen. Die müssen lernen ihre eigene Rolle zu spielen. Und wir freuen uns, dass sie lernen.


Widows – tödliche Witwen

Originaltitel: Widows
USA, Vereinigtes Königreich 2018
Regie: Steve McQueen
Drehbuch: Gillian Flynn, Steve McQueen
Produzenten: Steve McQueen, Iain Canning, Emile Sherman
Mit: Elizabeth Debicki, Michelle Rodriguez, Cynthia Erivo, Carrie Coon, Liam Neeson, Colin Farrell, Robert Duvall, Daniel Kaluuya und Brian Tyree Henry
Musik: Hans Zimmer
Kamera: Sean Bobbitt
Schnitt: Joe Walker
Verleih: Twentieth Century Fox
130 Minuten
Kinostart in Deutschland: Donnerstag, 6. Dezember 2018
FSK: 16



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