Filmkritik: „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ – Zickenkrieg am Hof von Queen Anne

 Olivia Colman brilliert als Queen Anne 

– Yorgos Lanthimos‘ Historienfilm „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ spielt am englischen Königshof  – 

von Klaus J. Loderer

Das riesige Herrenhaus Hatfield House in der Grafschaft Hertfordshire stellt im Film „The Favourite“ mit seinen weitläufigen Räumen den Rahmen für eine königliche Residenz, genauer gesagt für die Hofhaltung der englischen Königin Anne. Unendlich lang scheint die Long Gallery im Film, zumal Regisseur Yorgos Lanthimos mit dem Einsatz des Fischaugenobjektivs den Raum nicht nur optisch verlängert sondern sogar noch krümmt. Diesen Effekt setzt er im Film mehrmals ein. Die Hofgesellschaft erscheint dadurch noch saturierter als sie ohnehin schon ist. Der Film kostet das aus und zeigt uns, womit man sich am Hof so die Zeit vertreibt, z.B. mit Entenrennen, mit Taubenschießen. Das Ganze garniert mit wunderschönen Kostümen des frühen 18. Jahrhunderts und entsprechend eingestreuter Musik, so entstand einer schöner Historienfilm mit viel englischem Humor, Redegefechten und einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte.

Emma Stone als Abigail und Rachel Weisz als Sarah Churchill
© 2018 Twentieth Century Fox
Der Film greift eine Episode aus der Regierungszeit der Königin Anne auf. Sie besteigt 1702 den Thron und ist nach dem Tod ihrer 17 Kinder die letzte Königin aus dem Hause Stuart. Ihre Jugendfreundin und Hofdame Lady Sarah, Ehefrau des Herzogs von Marlborough, dem berühmten Sieger der Schlacht bei Höchstädt (und übrigens eine von ihm sehr geschätzte Vorfahrin des Politikers Sir Winston Churchill), bringt eine verarmte Verwandte, die sie schon in London in ihren Haushalt aufgenommen hat, mit an den Hof, um sich zu entlasten, da die Königin dauerhaft von vertrauten Personen umgeben sein möchte. Diese Abigail wird zur engen Vertrauten der Königin und heiratet den Höfling Samuel Masham, der sogar zum Peer erhoben wird. Politisch sind noch wichtig der Lord High Treasurer Sidney Godolphin und sein Nachfolger Robert Harley, ein Verwandter Abigails. Lady Sarah, als Whig-Anhängerin, und die Königin, als Förderin der Tories, sind sich politisch häufig uneinig. 1711 muß Lady Sarah ins Exil. Erst nach dem Tod der Königin kehrt sie 1714 wieder zurück und kümmert sich um den Bau von Schloß Blenheim Palace. Dieses war ein Geschenk der englischen Nation zum Dank für die Schlacht bei Höchstädt bzw. Blindheim.

Mit dem Geschenk dieses Schlosses an Sarah setzt der Film, der übrigens bei den 75. Filmfestspielen in Venedig mit einem silbernen Löwen ausgezeichnet wurde, ein. Anne zeigt Sarah das Modell des Schlosses. Schnell lernen wir Sarah als dominierende Person des königlichen Hofstaats kennen, die auch die politischen Entscheidungen der Königin bestimmt. Doch sie bekommt Konkurrenz. Dass Abigail bei der Ankunft aus der Kutsche direkt in den Matsch fällt, macht zuerst nicht gerade den besten Eindruck. Sie wird als Magd in die Küche verbannt. Da nützt auch die Verwandtschaft mit Lady Sarah nichts. Im Film gewinnt sie durch ihre Kenntnis heilsamer Kräuter, um die offenen Beine der von Gicht geplagten Königin zu pflegen, das Vertrauen von Anne und Sarah und beginnt ihren Aufstieg. Sarah bringt ihr nicht nur das Schießen sondern auch bei, wie sie sich am Hof behaupten kann. Wir erleben die Nachstellungen durch einen jungen Adeligen. Ziemlich kurz angebunden ist ihre Frage, ob er sie ficken oder vergewaltigen wolle? Er sei ein Gentleman? Also Vergewaltigung. Doch er kommt in dieser Szene genauso wenig an sie ran, wie in der Hochzeitsnacht, in der sie ihn kühl mit der Hand abfertigt. Der dient ihr nur für den gesellschaftlichen Aufstieg. Schnell kommt Abigail auch hinter ein Geheimnis von Sarah und Königin, das sie sich zunutze macht, um das Vertrauen der Königin völlig zu gewinnen.

Ob Königin Anne tatsächlich Frauen zugetan war, sei einmal dahin gestellt. Der Film macht daraus eine überzeugende Geschichte und würzt die Sache noch durch die Intrige Abigails, um Sarah aus dem Spiel zu drängen. Letztendlich weiß die Königin nicht, wem sie eigentlich trauen kann. Abigail weiß jedenfalls sich einzuschmeicheln. Sie erkennt schnell, worauf die Königin Wert legt. So kümmert sie sich liebevoll um die 17 Kaninchen (in Erinnerung an die 17 verstorbenen oder tot geborenen Kinder Annes) und sie massiert die königlichen Beine – und nicht nur diese.

Queen Anne wird im Film als von äußeren Einflüssen getriebene Frau gezeigt. Als Königin residiert sie prunkvoll, steht als aufgedonnerte Puppe vor dem Parlament, doch ist sie kaum in der Lage ihre Rede zu lesen. Die englische Schauspielerin Olivia Colman spielt sie als Frau mit vielen körperlichen Schwächen, als Frau ohne Selbstbewusstsein, sie ist verkrüppelt, sieht schlecht. Sie beschönigt die Rolle nicht. Colman gelingt es aber auch, der Rolle eine Art kindliche Naivität zu geben. So bleibt sie uns in ihrem Unglück sympathisch. Der Zuschauer bangt um diese Ausgestoßene, die nie dazugehört. Wir sehen drastisch die offenen Beine, wir erleben, dass sie das Essen nicht verträgt und sich dauernd übergeben muss. Wir sehen eine menschliche Queen, die sich nach Liebe sehnt. Dass Olivia Colman für diese großartige und überzeugende Rollengestaltung bei den Filmfestspielen in Venedig als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde, ist nur berechtigt.

Den spannenden Zickenkrieg liefern uns mit Rachel Weisz als Sarah und Emma Stone als Abigail zwei berühme Schauspielerinnen in bester Ausformung. Die historischen politischen Verhältnisse und wer eigentlich für und wer gegen die Beteiligung am Spanischen Erbfolgekrieg war, verändert das Drehbuch ziemlich stark. Da war die prägnante Darstellung wohl wichtiger und die ist in den Konkurrenten Harley (Nicholas Hoult) und Godolphin (James Smith) gut gelungen. Auch der Unterschied zwischen Tories und Whigs ist in witziger Weise gelöst und wird im Film im Parlament schon an der Farbe der Perücken deutlich. Die Pointen der Dialoge sind teilweise deftig aber man amüsiert sich köstlich.

Was geschah später mit den historischen Personen. Queen Anne starb 1714. Nach dem Tod ihres Mannes 1722 führte die Herzogin-Witwe Sarah den Bau von Blenheim Palace voran. Sie starb 1744. Abigail zog sich nach dem Tod der Königin ins Privatleben zurück und starb 1734. Ihr Mann machte politische Karriere und überlebte sie um viele Jahre.


The Favourite – Intrigen und Irrsinn

Originaltitel: The Favourite
Vereinigtes Königreich, Irland 2018
Originalsprache: englisch
Regie: Yorgos Lanthimos
Drehbuch: Deborah Davis, Tony McNamara
Produzenten: Ceci Dempsey, Ed Guiney, Yorgos Lanthimos, Lee Magiday
Kamera: Robbie Ryan
Schnitt: Yorgos Mavropsaridis
Darsteller: Olivia Colman, Emma Stone, Rachel Weisz, Nicholas Hault, Joe Alwyn
Verleih: 20th Century Fox
Dauer: 120 Minuten

Kinostart in Deutschland: 3. Januar 2019



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