Opernkritik: Smetanas „Dalibor“ – Staatstheater Augsburg – 2018

Den Sadisten entkommt der Idealist nicht 

– Roland Schwab inszeniert Smetanas Oper „Dalibor“ am Staatstheater Augsburg – 

von Klaus J. Loderer

Brutal ist diese Welt. Mitleidlos und sadistisch sind die Machthaber, die uns Regisseur Roland Schwab in seiner Inszenierung von Smetanas „Dalibor“ am Staatstheater Augsburg vorstellt. Er holt die Handlung aus der Zeit der Bauernkriege im 15. Jahrhundert in Böhmen in eine fiktive Diktatur der Gegenwart und zeigt uns die Oper als endzeitlichen Actionfilm. Die Bevölkerung wird hier brutal unterdrückt. Willkürliche Erschießungen durchziehen die Inszenierung. Das kontrastiert mit der wunderschönen und melodienreichen Musik Smetanas, die in diesem Fall aber nicht wie in „Die verkaufte Braut“ von volkstümlichen Weisen geprägt ist. Eher die große Geste dominiert hier. An einigen Stellen erinnert die streckenweise in mächtigem Orchesterrausch auftrumpfende Musik sogar an Wagners „Lohengrin“.

Sally du Randt als Milada
Foto: Jan-Pieter Fuhr

Spärlich ausgestattet ist das Bühnenbild von Alfred Peter. Zu flachen Stufen sind quadratische Platten unregelmäßig angeordnet. Der schemenhafte Effekt wird zu Beginn der Oper noch durch den Nebel im Hintergrund verstärkt. Nur im zweiten Akt deuten ein Tisch und ein Stuhl das Büro des Kerkermeisters an. Ein Bildschirm zeigt uns die Vorgänge in Dalibors Zelle. Eine wichtige Rolle nimmt das von Marco Vitale gestaltete Licht ein, das hier Räume bildet, vergrößert und verkleinert, Vorhänge bildet und Stimmungen untestützt. So während Dalibors zentraler Arie im zweiten Akt: Wie die Hoffnung Dalibor überkommt, so breitet sich das Licht als schwebender Baldachin von ihm im ganzen Theatersaal aus. Sehr effektvoll die Szenen in Gegenlicht, wenn die Personen zum Scherenschnitt reduziert werden.

Regisseur Roland Schwab baut mit verschiedenen Motiven der christlichen Ikonographie Parallen zwischen Dalibor und Christus auf. Immer wieder taucht die Pietà auf. Im zweiten Akt wird Dalibor wie Christus mit einem Schild „Ecce Homo“ hereingeführt und, aufgespannt an zwei Kabeln, in der Stellung eines Gekreuzigten fixiert.

Mag in der herkömmlichen Betrachtung der Oper am Anfang die Sympathie noch beim böhmischen König sein, der Dalibor als Mörder unter Anklage stellen lässt, und erst mit der Verteidigungsrede Dalibors die Sympathie sich nun diesem zuzuwenden, werden wir in Augsburg von Anfang an in die Machenschaften eines Unrechtsregimes hineingezogen. Auch Milada ist hier weniger leidenschaftliche Anklägerin sondern wird als Zeugin der Anklage vom König in einen Unrechtsprozess gezwungen.

Man windet sich mit dieser Milada, die den Annäherungen des Königs entkommen möchte. Mit schwarzem Kostüm und Schleier (Kostüme Renée Listerdal) verkörpert Sally du Randt eine elegante Trauernde. Das ist wieder eine ideale Rolle für die Charaktersängerin. Sie vermittelt uns eindrücklich die wechselnden Stimmungen der Oper. Mit wilder Leidenschaft beschreibt sie die Ermordung ihres Bruders, wie sie im zweiten Akt in einfühlsamer Interpretation ihrer großen Arie die Hilfe des Himmels zur Errettung Dalibors erfleht. Nicht frisch gefangen genommen sondern schon von Folter gezeichnet ist Dalibor in dieser Produktion. Geschunden, gedemütigt, doch in seiner Freiheits- und Gerechtigkeitsliebe ungebrochen ist Scott MacAllister als Dalibor. Und ungebrochen ist die Stimme des Tenors in dieser großen und fordernden Partie. Mag sein Tonfall im ersten Akt arrogant sein, gibt er sich im zweiten Akt träumerisch und schwärmerisch. Weich sind die Töne in der wunderbaren Romanze. Perfide geben sich seine beiden Gegenspieler auf der Bühne. Alejandro Marco-Buhrmester zeichnet den böhmischen König Vladislav als trockenen machtbewussten Diktator, der elegant über Leichen geht. Den Traum von einer gerechten Herrschaft würde man diesem Machtmenschen eigentlich nicht abnehmen, würde Marco-Buhrmester nicht so schön singen. Dominant ist dieser König schon durch die stimmliche Präsenz. Für die mörderische Drecksarbeit hat er aber einen Mitarbeiter, der sich als purer Sadist austoben darf. Das ist der Kanzler Budivoj, vorzüglich gesungen von Wiard Witholt. Kalt gibt sich der niederländische Bariton, ein Riese von Statur und demensprechend effektvoll in dieser Rolle. Den Kerkermeister Benes erwürgt er kurzerhand mit einem Kabel, als dieser berichtet, dass sich Verrat in das Gefängnis eingeschlichen hat. Dieser berührt, behindert und geknechtet vom Kanzler, schon fast in seiner Kläglichkeit. Statt auf dem Bildschirm die Zelle Dalibors zu überwachen, schaut er kleinen Kindern auf dem Spielplatz zu. Man ahnt schon seine verbotene Leidenschaft und warum er einen Knaben als Hilfe aufgenommen hat. Milada, die sich als Knabe verkleidet in den Kerker eingeschlichen hat, versucht er dann auch schon bald zu befummeln. Stanislav Sergeev singt diesen schmierigen Kerkermeister allerdings mit meisterlichem Bass. Dass sich Milada als Mann ins Gefängnis einschleicht, ist natürlich eine Parallele zu „Fidelio“. Hier rettet sie Dalibor allerdings nicht gleich, sondern bringt ihm eine Geige. Mit dieser soll er später ein Zeichen geben, damit die Aufständigen die Burg stürmen. Den Aufstand zettelt Dalibors Ziehtochter Jitka an. Mit der koreanischischen Sopranistin Jihyun Cecilia Lee ist diese Rolle sehr gut besetzt. Auch Roman Poboinyi erfreut als ihr Verlobter Vitek mit klarem, hellem und durchdringendem Tenor. Im Gegensatz zum Jubelschluss im „Fidelio“ endet „Dalibor“ allerdings tragisch. Gerade als Dalibor aus dem Kerker fliehen will, wird er zur Hinrichtung abgeführt. Die Richter, gesungen von Eckehard Gerboth, Robert Meier, Lázló Papp, Erik Frithjof Völker und Reinhold Zott fordern als wohlklingendes Quintett den Tod Dalibors. Die Hinrichtung verhindert zwar der Aufstand. Doch wird in den Kämpfen Milada getötet.

Jan Plausteiner als Zdenko, Scott MacAllister als Dalibor, Sally du Randt als Milada
Foto: Jan-Pieter Fuhr

Zu einem zentralen Element macht die Augsburger Inszenierung die Freundschaft zwischen Dalibor und Zdenko. Dessen Ermordung durch den Bruder Miladas wird eigentlich nur in Dalibors Verteidigungsrede im ersten Akt erwähnt. Dieser Freund wird als Figur, gespielt von Jan Plausteiner, von Regisseur Schwab zusätzlich eingeführt. Diese bewusst homoerotische Deutung wird von der deutschen Textfassung von Kurt Honolka sogar unterstützt. Immer wieder sehen wir die Ermordung Zdenkos. Effektvoll streckt der Tote im zweiten Akt seine Geige in die Höhe, wenn Dalibor im Kerker von Zdenkos Spiel träumt (sehr schön das Geigensolo von Jung-Eun Shin). Und es ist wieder Zdenko, der am Ende von Budivoj erschossen wird, wenn Dalibor mit der Leiche Miladas im Arm den Tod erwartet. Das ist ein drastischer aber auch sehr ergreifender Schluss. Das Publikum bleibt nach diesem Ende zuerst einmal still, bis dann mit dem Erlöschen des Lichts der verdiente Beifall für die Sänger einsetzt.

Das Staatstheater Augsburg hat sich mit dieser Produktion eines bedeutsames, leider viel zu selten gespielten Werks der böhmischen Musik angenommen. Der neue „Dalibor“ ist eine Bereicherung des Spielplans und ein musikalischer Gewinn. Dass die Oper in deutscher Sprache gespielt wird, ist der Verständlichkeit der Handlung sehr förderlich. Außer dem Gast Scott MacAllister ist die Oper übrigens vorzüglich aus dem Ensemble besetzt. In großer Besetzung erklingen die Augsburger Philharmoniker unter Generalmusikdirektor Domonkos Héja. Der schwelgt in der spätromantischen Partitur. Die Größe des Orchesters und der mächtige Klang lassen leider an einigen Stellen die Sänger fast untergehen, bietet doch das Ausweichquartier des Theaters im Martini-Park nicht das Volumen wie das gerade einer Renovierung unterzogene historische Theater. Exakt wurde der Chor von Chordirektor Carl Philipp Fromherz einstudiert. Insofern verlässt man zwar innerlich von der brutalen Handlung erschauert aber mit musikalischem Glücksgefühl das Theater.

Besuchte Vorstellung: 21. Oktober 2018
(zweite Vorstellung, Premiere 14. Oktober 2018)
Staatstheater Augsburg martini-Park



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