Opernkritik: Georg Friedrich Händels „Alcina“ – Theater an der Wien – 2018

Alcina lässt Blumen erblühen in der Wüste 

– Tajana Gürbaca inszeniert Händels „Alcina“ am Theater an der Wien – 

von Klaus J. Loderer

Eine Insel ist das Reich Alcinas hier nicht, eher eine Wüste. Wüst sind die Hügelchen auf der Bühne und ebenso ist es die auf den Rundhorizont gemalte Landschaft. Man ist gespannt, was sich in diesem von Katrin Lea Tag im Theater an der Wien gestaltetem Arrangement für Händels „Alcina“ tun wird. Es schwebt schon bald eine Art Flower-Power-Gesellschaft mit einer Alcina im rosa-hellblau quergezickzackten Ballon-Rock herein. Eine interessante Alternative zur Krinoline hat sich Katrin Lea Tag, von der auch die Kostüme sind, ausgedacht. Das erinnert an die Kleidung des 19. Jahrhunderts. Auf diese Zeit verweist auch das Detail mit einem älteren Herren, einem Fabrikbesitzer, wohl der Vater Ruggieros, der auf die Rückkehr des Sohns wartet. Die sich drehende Bühne mit den kleinen Hügelchen bietet geschickte Möglichkeiten für Auftritte und Abgänge. Da muss man nicht von seitlich reinstapfen sondern fährt wie zufällig heran. Das ist abwechslungsreich. Die wüste Landschaft bietet auch einige Überraschungen. Zum Beispiel sprießen Blumen aus der Erde. Viele bezaubernde Momente bekommt man da zu sehen. Reinhard Traub gestaltet mit wechselndem Licht interessante Stimmungen wechselnder Tageszeiten.

Marlis Petersen (Alcina), David Hansen (Ruggiero) und Katarina Bradič (Bradamante)
Foto: Herwig Prammer

Die unterschiedlichen Charakter von Alcina und ihrer Schwester Morgana zeichnet Regisseurin Tatjana Gürbaca schon am Anfang markant. Der Schiffbruch, durch den Bradamante auf die Insel kommt, ist hier nicht zufällig. Alcina, von Marlies Petersen mit schönen Koloraturen und inbrünstiger Leidenschaft gesungen, entfacht hier den Sturm der Ouverture und steuert mit einem Schiffsmodell dessen Untergang als lustiges Spiel. Sie hätte den Tod der Schiffbrüchigen in Kauf genommen. Morgana (von Mirella Hagen schön gesungen) ist es, die traurig das kleine Schiffsmodell bettet und so vielleicht die Schiffbrüchigen rettet. Die tauchen auch bald auf. Als Forscher, Geographen, Botaniker, was auch immer, wollen Bradamante (so eine Art Lara Croft, aber prägnant gesungen von der serbischen Mezzosopranistin Katarina Bradič) und der Melisso (professoral Florian Köfler) die neu entdeckte Welt vermessen und beschreiben – wieder so ein Verweis zu den Forschungsreisenden des 19. Jahrhundert. Oder sind sie nur getarnt, denn Bradamante ist auf der Suche nach ihrem Verlobten Ruggiero, der sich lieber mit Alcina im Liebeszauber tummelt, als sein Spießerleben daheim zu führen – äh, denn als Held das Abendland zu retten. Später wird man Melisso sehen, der im Strategiespiel mit Schiffchen und Reiterchen die Eroberung der Insel plant. Doch keine so friedlichen Besucher. Sie erforschen nun eine Welt, in der man etwa erleben erleben kann, wie Männer in Tiere verwandelt werden. Es macht ihnen eindeutig Spaß, diesen Männern, unter Alcinas Rock zu kriechen und mit einem Vogelkopf wieder herauszukommen. Es läuft erst einmal alles spielerisch in dieser Inszenierung. Man schaukelt, man flirtet. Ruggiero (schön aber ohne viel Ausdruck gesungen vom australischen Countertenor David Hansen) zieht gleich halb aus. Morgana umschwärmt die als ihr eigener Bruder verkleidete Bradamante, ihr Oronte (Rainer Trost legt diesem Oronte glaubhaften Liebesschmerz und leidenschaftliche Wut ins Herzen) ist eiferüchtig, ebenso Ruggiero. Und sogar ein Feuerwerk rieselt herunter. Symbol für den Zauberpalast Alcinas? Irgendwie barocke Welt.

Den ersten Teil würde ich durchaus als sehr stimmiges Inszenierungskonzept werten. Aber scheinbar hat das Regieteam noch einige Ideen übrig, die man unbedingt unterbringen will. Dazu gehört der Regen zu Beginn des zweiten Akts. Das hätte man sicherlich auch so hinbekommen können, dass es eben nach Regen aussieht, dass dazu aber nicht wirklich Fluten vom Himmel stürzen müssen, wenn Oronte den Schirm aufspannt. Denn diese Beregnung hat den Nachteil, dass man im zweiten Teil die Drehbühne nicht mehr einsetzen kann und somit ein völlig anderer Inszenierungsstil notwendig ist. Dazu gehören dann so unelegante Sitlmittel wie, Statisten kommen herein und legen sich hin, damit sie wie tot aussehen und stehen dann wieder auf, weil sie ja irgendwie von der Bühne müssen. Oder Statisten tragen Bettzeug herein, damit Ruggiero und Bradamante Ehebett spielen können, und tragen es irgendwann wieder raus. Die spielerische Eleganz des ersten Teils mit der immer neue Überraschungen bergenden Drehbühne ist damit völlig dahin. Und man merkt, dass auch die Regisseurin Probleme hat, damit zurechtzukommen. So wirkt im zweiten Teil vieles aufgesetzt und holperig und leider unendlich langweilig. Das kann auch ein Schocker nicht retten, wie dass sich Oronte das Herz herausreist (eine sehr bildliche Geste, um seine Liebe zu Morgane zu beenden) und es verbuddelt. Das mit dem Ehebett ist ja noch eine lustige Idee: Ruggiero singt von verödenden Auen und Bradamante liest Zeitung – ein schönes Symbol für die Aussicht auf eine langweilige Ehe. Dass sich dann Alcina und Morgana dazulegen, passt auch, denn von wem wird das Paar wohl in Zukunft träumen. Das Ende überzeugt dann nicht so richtig. Die Stimmung kippt, wenn Alcina den kleinen Oberto (der St. Florianer Sängerknabe Moritz Strutzenberger) überreden will, einen Löwen, also seinen verschwundenen Vater, zu töten. Ruggiero bekämpft das Zauberreich Alcinas. Warum die Vogelmänner nicht entzaubert sondern als Feinde gesehen werden, erschließt sich nicht. Schwarze Langeweile kehrt mit dem Verschwinden des Landschaftsbilds mit dem leeren Bühnenraum ein. Ist eben gerade so eine Modeerscheinung, dass am Ende immer das Bühnenbild verschwindet.

Musikalisch ist die Produktion erfreulich. Alle Solisten sind gut bei Stimme. Stefan Gottfried schlägt mit dem Concentus Musicus einen feinen Ton an. Alles perfekt intoniert. Die Musik fließt bei ihm kontinuierlich, fast zu gleichmäßig. Da gibt es keine Schroffheiten. Das wundert, denn mit der Ouverture stürmte er geradzu in das Werk hinein. Das auf historischen Instrumenten spielende Concentus Musicus hat sich seit seiner Gründung 1953 durch  Nikolaus Harnoncourt einen guten Namen erarbeitet im Bereich der barocken Musik. Kurz vor seinem Tod übergab Harnoncourt die Leitung des Ensembles an seinen langjährigen Assistenten und Continuo-Spieler Stefan Gottfried, der das musikalische Erbe fortführt aber seinen eigenen Stil gefunden hat. Die gesanglichen Auftritte des Arnold-Schönberg-Chors (gut einstudiert von Erwin Ortner) sind zwar nur kurz in „Alcina“. Doch ist der Chor darstellerisch intensiv eingebunden in die Inszeneriung. Wie immer spielt man intensiv.

Besuchte Vorstellung: 19. September 2018
(3. Vorstellung, Premiere am 15. September 2018)
Theater an der Wien, Wien

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