Opernkritik: Emmerich Kálmáns Operette „Csárdásfürstin“ – Volksoper Wien – 2018

Szabolcs Brickner (Edwin), Ursula Pfitzner (Sylva Varescu), 
Axel Herrig (Feri Bácsi), Wiener Staatsballett, Komparserie
© Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Wenn der Stammbaum nicht erfreut ist

– Die neue „Csárdásfürstin“ an der Volksoper Wien versetzt die Operette ins Dadaistenmilieu – 

von Klaus J. Loderer

Ein rahmendes Motiv der neuen „Csárdásfürstin“ an der Wiener Volksoper sind die historischen Fotos und Filme aus Wien aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg (Videos Andreas Ivancsics). Schon während der Ouvertüre sind sie zu sehen. Dass der Focus dann nicht auf einem Varietétheater sondern auf einem Palais landet, mag zuerst irritieren, erschließt sich dann aber sofort. Wir werden gewissermaßen hineingezogen in eine altertümliche Bibliothek mit hohen Regalen voller alter Schinken, in der Fürstenstammhalter Edwin, der zu lesen vorgibt, von seiner Sylva träumt. Dass die links am Harmonium spielende und penetrant ihre Liebe beteuernde Komtesse Stasi nicht die Frau seiner Träume ist, merkt man auch deutlich. Regisseur Peter Lund hat diese Szene dazuerfunden. Wie wir die Budapest-Erinnerungen Edwins dann zu sehen bekommen, das ist sehr theatralisch effektvoll gelöst. Krachend birst die muffige Bibliothek auseinander und das Orpheum in Budapest dringt in den Vordergrund. Bühnenbildnerin Ulrike Reinhard präsentiert uns hier ein geradezu surrealistisch verfremdetes dadaistisches Cabaret, einen ziemlich verruchten Club, das Sündenbabel von Budapest, in dem Sylva Varescu mehr als Stripteasedarstellerin denn als Sängerin den Gästen mit viel Haut und etwas Gesang einheizt. Beiläufig erkennt man das berühmte Kostüm von Hugo Ball im Cabaret Voltaire. Überhaupt setzt Daria Kornysheva mit ihren Kostümen im Cabaret sehr auf Erotik. Mit etwas Travestie und flotten Tanznummern (Choreographie Andrea Heil) ist das sehr effektvoll. Das ist große Show. Gekonnt geht man mit der großen Bühne um. Das Bühnenbild lässt sich sogar drehen und kann den Blick in Sylvas Schlafgemach mit Lotterbett freigeben. Im Jugendstilnegligé scheint sie einem Klimt-Gemälde entstiegen. An der Wand hängt eine Seite des „Adelscourirs“. Es ist jene Seite vom 19. November 1915, in dem das Blatt über ein in höchster Weise lächerliches Produkt schreibt, zu dem Herr Kálmán einige Takte Musik zu entwerfen sich nicht entblödet habe. Der Schreibstil war Herablassung pur. Tja. Die paar Takte Musik sind dann doch weltbekannt geworden. Eines der vielen netten Details der Produktion.

Im zweiten Akt wiederholt sich die Bibliotheksszene, wird aber jetzt fortgeführt. Peter Lund ist für die Gäste der Gesellschaft im fürstlichen Palais eine pfiffige Idee eingefallen. Die Ahnengalerie hängt nicht etwa an der Wand, der ganze Stammbaum kommt zu Besuch. Der Diener stellt die ganzen von und zu Lippert-Weylersheims vor, deren Kleidung immer weiter in die Geschichte zurückgeht, sogar die Titel nehmen umgekehrt zu den Rangerhöhungen ab. Dann arrangieren sich die Ahnen um die aktuellen Fürsten wie zum Familiengruppenbild. Auch die Slapstickepisode um Boni und Stasi vor und hinter dem Sofa überzeugt. Man kann sich Gedanken machen, wie weit Sylva wohl geht nach dem Erpressungsversuch durch Baron Rohnsdorff. Tanzt sie nur mit ihm? Eine nette Zweideutigkeit, die der Regisseur sich dazugedacht hat. Dann bricht die Bibliothek wieder auf. Sylva outet sich vor ihrem riesenhaft vergrößerten Porträt als „Csárdásfürstin“ und Edwins Ahnen schauen zu beim Skandal.

Peter Lund hat die Dialoge leicht verändert, teilweise gestrafft, teilweise ergänzt, um die Handlung zu akzentuieren und klarer zu machen. Auch die Musik wurde teilweise verändert. Dies betrifft vor allem die Nummern im Orpheum und um Boni. Hier hat Kai Tietje Arrangements erarbeitet, die mehr in Richtung Charleston gehen. Das klingt durchaus schmissig – nicht zuletzt hat Kálmán in späteren Werken ja auch Jazz-Elemente eingebaut. Aber zu welchem Nutzen geschieht dies hier? Für eine Jazz-Operette wäre Paul Abraham passender gewesen. Und es muss dann schon die Frage gestellt werden, wie das zum Jahr 1914 passen soll. Einerseits versucht Peter Lund das Stück ganz exakt zeitlich einzuordnen, nämlich den zweiten Akt unmittelbar vor der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarajewo, andererseits wird das konterkariert durch Zutaten, die ihrerseits genau zeitlich einzuordnen sind, aber eben nicht zum Jahr 1914 passen. Das ist leider mit den Neuarrangements der Musik so und das betrifft auch das Element des Dadaismus im Bühnenbild, der eben erst 1916 in Zürich entstanden ist und auch zu dieser Donaumonarchiegeschichte so gar nicht passt. Dass die 1915 uraufgeführte Csárdásfürstin im Ersten Weltkrieg spielen muss, ist ja inzwischen die Standardinterpretation.

Für den dritten Akt, der nun im Ersten Weltkrieg wieder im Cabaret spielt, weswegen sich darin Soldaten lümmeln, wurde dann noch eine Fahnenflucht Edwins dazuerfunden. Wenn sich dann noch die gefürstete Extingeltangeleuse des Orpheums Miskolcz geoutet hat, kann es dann zum Happy End kommen. Sigrid Hauser gibt ja eine herrlich herrische, unterkühlte, geradezu eisige Fürstin Anthilte, die erst auftaut, als sie ihren Feri wiedertrifft. Als solcher hat Boris Eder dann auch noch seinen großen Auftritt.

Sigrid Hauser (Anhilte von und zu Lippert-Weylersheim), Boris Eder (Feri Bácsi) 

© Alfred Eschwé

Überhaupt ist die musikalische Seite gut gelungen. Alle Beteiligte gestalten nicht nur ihre Rollen sehr markant sondern sind auch gut eingestimmt. Dieser Abend ist die erste Vorstellung für die zweite Besetzung. Ursula Pfitzner glänzt gesanglich als Csárdásfürstin Sylva, wirkt aber im ersten Akt an einigen Stellen etwas gehemmt in der allerdings nicht wenig anspruchsvollen Rollengestaltung als Revuetänzerin. Im zweiten Akt hat sie sich freigespielt und mimt nun wunderbar die Charade als angebliche Gräfin Káncsiánu. Der ungarische Tenor Szabolcs Brickner singt Edwin mit schöner Höhe und eleganter Erscheinung. Der Bariton Michael Havlicek ist ein munterer Boni, der seine Bufforolle gut ausfüllt. Sein Pendant ist die Sopranistin Johanna Arrouas als schon bald nicht mehr so schüchterne Stasi. Sehr schön das Duett im zweiten Akt. Einen knochentrockenen sehr aristokratischen Fürsten spielt Wolfgang Gratschmaier. Auch bewusst steif und offiziersbeehrt überzeugt Christian Graf als Rohnsdorff. Ein köstliches Kabinettstück bietet Nicolaus Hagg als Notar Kiss.

Gut aufgestellt ist das Orchester der Volksoper Wien, von Alred Eschwé lebhaft, manchmal geradezu schmissig und mit Drang zum großen Operettenschmelz dirigiert. Gut einstudiert hat Holger Kristen den Volksopernchor, der auch schauspielerisch gefordert ist und spielfreudig die Szenerien unterstützt. Gut geprobt ist das Wiener Staatsballett, das vor allem in den Cabaretszenen glänzen kann. Ob anrüchiges Travestieballett oder große Show kommen effektvolle Szenen heraus. Geradezu kurios die von Ballettherren gebildete aberwitzige und völlig überdrehte Zigeunerkapelle. Am Ende verdient großer Beifall des Publikums für alle Beteiligten.

Besuchte Vorstellung: 18. September 2018
(2. Vorstellung, Premiere 16. September 2018)
Volksoper Wien

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