Opernkritik: Bellinis „I puritani“ – Gran Teatre del Liceu Barcelona – 2018

Gnadenlos ist der Streit der Religionen 

– María José Moreno erfreut als Elvira in „I puritani“ am Gran Teatre del Liceu Barcelona – 

von Klaus J. Loderer

Den protestantisch-katholischen Konflikt in Bellinis „I puritani“ nimmt die Regisseurin Annilese Miskimmon zum Anlass in ihrer nun im Gran Teatre del Liceu in Barcelona zu sehenden Inszenierung der Welsh National Opera eine zweite Ebene mit einer Parallelhandlung einzubauen. Um dies zu verdeutlichen, stellt sie der Oper zwei kurze stumme Szenen voran, England 1653 und Nordirland 1973. Das wird nicht vom ganzen Publikum goutiert und so schallt schnell ein protestierender Zwischenruf durch den Raum. Die Rahmenhandlung, 1973 in Belfast spielend, holt die Opernhandlung in die Gegenwart. Der Oranierorden, benannt nach König Wilhelm III. von Oranien, der 1690 den katholischen Stuart-König Jakob II. schlug, bereitet sich auf seinen jährlichen Marsch am 12. Juli vor. Das ist mit den orangen Schärpen der Beteiligten deutlich zu erkennen: die Initialien LOL sollen also die Loyal Orange Lodge sein. Wie die originalen Ordensmitglieder tragen sie Melone und weiße Handschuhe. Diese Märsche sorgten in den katholischen Vierteln von Belfast regelmäßig für Unruhen. Als Bühnenbild hat Leslie Travers, von der auch die Kostüme sind, eine biedere Mehrzweckhalle gebaut, detailliert mit Teeküche, Klavier und Stuhlstapeln ausgestattet. Um die Rahmenhandlung mit dem Jahr 1653, in dem die Oper eigentlich spielt, in Verbindung zu bringen, ist in der Produktion immer wieder das Banner mit dem Porträt Oliver Cromwells zu sehen. Dieser eroberte mit seinen protestantischen Truppen nicht nur Irland sondern setzte auch den Stuart-König Karl I. ab und ließ ihn 1649 hinrichten. Und nun sind wir bei der Opernhandlung, denn die Witwe König Karls, Henrietta Maria de Bourbon, ist jene Encrichetta di Francia, die als Gefangene in die Oper kommt.

Auch in Belfast wird eine Gefangene über die Bühne geschleppt. Elvira versucht durch ein Fensterchen in der Tür zu erhaschen, was mit ihr passiert. Dann huscht noch ein katholischer Verehrer Elviras über die Bühne. Aber eigentlich soll sie Richard, den Leiter des Ordens, heiraten. Das Hochzeitskleid wird gebracht, sie wirft es achtlos zu Boden. Vater und Onkel versuchen sie zu beruhigen. Sie greift zu Tabletten. Liegt es an ihrer Fantasie, liegt es an den Pillen, plötzlich wähnt sie eine Frau in Kleidung des 17. Jahrhunderts zu sehen. Die irische Elvira sieht sich in das England Cromwells versetzt. Immer mehr historisch kostümierte Menschen aus der Zeit des englischen Bürgerkriegs tauchen im Raum auf und übernehmen ihn schließlich. Geisterhaft lange Schatten ziehen sich über die Wände. Die England-Handlung nimmt ihren Lauf mit der bevorstehenden Heirat Elviras. Diese Elvira darf ihren Arturo heiraten. Aber auch die irische Elvira, erkennbar an ihrem blauen Kostüm, irrt weiter durch die Handlung. Sie sieht ihren Arturo als eleganten Gentleman. Fassungslos verfolgt sie die Geschichte. Beide verfallen parallel dem Wahnsinn, nachdem Arturo unter Elviras Brautschleier die Königswitwe gerettet hat. Eindrucksvoll droht der Frauenchor mit den Gesangbüchern mit Vergeltung. Wie Elviras Geist sich verwirrt, verdunkelt sich der Raum,  verschieben sich gar die Wände. Das Raumgefüge gerät durcheinander, wild durcheinander hängen die Leuchtstoffröhren an der Decke.

„I puritani“ am Gran Teatre del Liceu in Barcelona: Maria José Moreno (Elvira), Gianfranco Montresor (Gualtiero), Andrei Kymach (Riccardo) und Nicola Ulivieri (Giorgio)
Foto: © A. Bofill
Erst im dritten Akt übernimmt die Rahmenhandlung wieder die Bühne. Die irische Elvira wird in die Gegenwart zurückkatapultiert. Arturo – soll er gar ein IRA-Terrorist sein – schleicht sich auf die Bühne, will mit Elvira fliehen und wird von den Mitgliedern des Oranierordens ertappt. Da hat Elvira wieder eine Vision aus der Geschichte. Sie sieht den Boten Cromwells hereinkommen. In Zeitlupe geht dieser Bote mit der Begnadigung Arturos quer über die Bühne. Doch findet das Happy End nur 1653 statt. Die Gegenwart ist brutaler. Im Belgrad des Jahres 1973 richten die Ordensleute Arturo kurzerhand hin und schneiden ihm die Gurgel durch. Das ist ein drastischer Schluss, der die jubelnde Musik heftig kontrastiert, doch überzeugt die Überlagerung der Parallelhandlungen.

Natürlich ist man bei „I puritani“ vor allem gespannt auf Elvira. Im Liceu ist die Partie doppelt besetzt. Pretty Yende singt die Premiere. In der besuchten Vorstellungen ist María José Moreno zu hören. Die in Andalusien geborene Sopranistin begann ihre Karriere in Madrid 1997 in „La fille du régiment“ und 1998 in „Un ballo in maschera“. Inzwischen hat sie sich auf Belcanto-Partien von Donizetti und Rossini spezialisiert. Das passt zu ihrer leichten Stimme, die sie als Elvira einsetzen kann für einen locker geführten Lauf der Koloraturen. Sie hat die Höhe und die Geschmeidigkeit und die Ausdauer für diese schwierige Partie. Ergreifend gestaltete sie die Wahnsinnsszene. Die zweite Frauenrolle, Königinwitwe Enrichetta, bleibt dagegen eher im Hintergrund. Lidia Vinyes-Curtis gestaltet allerdings den Auftritt im ersten Akt mit großer Dramatik. Die aus Barcelona stammende Mezzosopranistin ist in Deutschland vor allem als Bach-Sängerin bekannt.

„I puritani“: Celso Albelo (Arturo) 
und María José Moreno (Elvira)
Foto: © A. Bofill
Eine noch junge lyrische Tenorstimme hat Celso Albelo. Er stammt aus Tenerifa und debütierte 2006 als Herzog von Mantua in „Rigoletto“ in Busseto. Schon bei mehreren Gelegenheiten sang er den Arturo in „I puritani“. Im Liceu erfreut er mit einer leuchtenden Höhe etwa bei „A te, o cara“. Als sein Gegenspieler Sir Riccardo Forth ist der ukrainische Barition Andrei Kymach mit eindrucksvoller Stimme zu hören. Lyrisch schön gestaltet Emmanuel Faraldo die weitere Tenorpartie des Bruno Roberton. Solide der Bariton Gianfranco Montresor als Lord Gualtiero Valton. Eindrucksvoll der Bass Nicola Ulivieri als Lord Giorgio.

Erfahren mit Belcanto-Opern legte der amerikanische Dirigent Christopher Franklin mit dem gut geprobten Orquestra Simfònica del Gran Teatre del Liceu die musikalische Basis für einen großartigen musikalischen Abend. Sehr exakt der Liceu-Opernchor, gut einstudiert von Conxita Garcia.

Der Maßstab ist hoch angesetzt an diesem Abend. Immerhin ist die Puritaner-Produktion der kürzlich verstorbenen katalanischen Sängerin Montserrat Caballé gewidmet. Sie wurde in Barcelona geboren und starb nun auch dort. Dem Liceu war sie immer eng verbunden. Nach dem Brand des Liceu machte sie sich für den Wiederaufbau des Zuschauerraums in historischer Form stark. Am Kondolenztisch in der Eingangshalle legen viele Besucher Blumen ab. So erklingt vor Beginn der Oper noch einmal ihre Stimme mit „Casta diva“. Und schallt durch „ihr“ Liceu.

Besuchte Vorstellung: 16. Oktober 2018
(Premiere 4. Oktober 2018)
Gran Teatre del Liceu Barcelona
(Koproduktion mit der Welsh National Opera und der Danish National Opera)

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Filmbesprechung: „Frühling in Paris“ (Seize Printemps) von Suzanne Lindon

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt