Premierenkritik: „Antikrist“ – Oper von Rued Langgaard – Staatstheater Mainz – 2018
Wenn das Böse in die Welt kommt
– Deutsche Erstaufführung der Oper „Antikrist“ von Rued Langgaard am Staatstheater Mainz –
von Klaus J. Loderer
Es ist eine absolute Rarität, die das Staatstheater Mainz zum Ende der Saison ins Programm genommen hat. Dabei ist, wie sich in Mainz zeigte, die Oper „Antikrist“ des dänischen Komponisten Rued Langgaard ein wunderbares musikalisches Werk. Und es ist schade, dass dieses Werk nie richtig bekannt wurde. Insofern ist es sehr erfreulich und löblich, dass sich das Staatstheater Mainz für diese Komposition einsetzt. Musikalisch gelang dem Staatstheater Mainz mit „Antikrist“ ein großer Wurf. Transparent klingt das sphärische Vorspiel unter der Leitung von Hermann Bäumer. Das Philharmonische Staatsorchester Mainz spielt wirkungsmächtig und beeindruckend. Überhaupt hat das Orchester in dieser Oper eine wichtige Rolle, sind weite Teile doch rein instrumental. Bäumer kostet die großen romantischen Stellen aus und kontrastiert sie mit einer der Partitur durchaus innewohnenden Sprödigkeit. Wie sich schon der Komponist nicht so einfach auf romantisch oder modern kategorisieren ließ, lässt auch Bäumer das bewusst in der Schwebe. Das macht den Reiz des Stücks aus, das zwischen den Richtungen changiert. Mit einem von Sebastian Hernandez-Laverny gut einstudierten Chor und herausragenden Solisten wie Nadja Stefanoff, Vida Mikneviciute, Lars-Oliver Rühl, Michael Mrosek und Alexander Spemann entstand so eine große Aufführung. Trotz der dänischen Titelfassung singt man übrigens in deutscher Sprache.
„Antikrist“ im Staatstheater Mainz: Vida Mikneviciute und Lars-Oliver Rühl Foto: Andreas Etter |
Ein vergessener dänischer Komponist: Rued Langgaard
Es seien einige Worte zum in Deutschland eher unbekannten Komponisten erlaubt. Es ist wohl übertrieben, den 1893 in Kopenhagen als Sohn des Komponisten und Pianisten Siegfried Victor Langgaard und der Klavierlehrerin Emma Langgaard geborenen Rued Langgaard als Wunderkind zu bezeichnen. Aber er erstaunte die Öffentlichkeit zumindest als Jugendlicher als Organist und Komponist. Mit elf Jahren debutierte er an der Orgel der Marmorkirche in Kopenhagen. Er war gerade vierzehn Jahre alt, als 1908 seine erste Orchesterkomposition aufgeführt wurde. Bei Reisen nach Berlin lernte er das dortige Konzertleben kennen. 1913 führten sogar die Berliner Philharmoniker seine Werke auf, darunter die Sinfonie „Klippepastoraler“. 1923 wurde seine sechste Sinfonie in Karlsruhe uraufgeführt. Diese Anfangserfolge setzten sich aber nicht weiter fort. Er blieb eher unbeachtet. Das mag auch daran gelegen haben, dass er sich nicht so einfach in eine bestimmte stilistische Schublade stecken ließ. Er experimentierte mit den Musikrichtungen ohne sich so genau festzulegen. 1940 erhielt er eine Stelle als Domorganist in Ribe. Dort starb er auch 1952. Mit mehr als 400 Kompositionen hinterließ Langgaard ein umfangreiches Werk. Darunter sind 16 Sinfonien, 7 Streichquartette und zahlreiche Orgelwerke. Die Lenau-Stimmungen von 1917 sind ein Werk für Sopran und Streichquartett.
Langgaards Oper „Antikrist“ war kein Erfolg beschieden. Eine erste Fassung entstand 1921. Das Königliche Theater in Kopenhagen lehnte eine Aufführung aber ab. Man hielt das eher einem Oratorium denn einer Oper ähnliche Werk ohne eigentliche Handlung wohl für schlchtweg unaufführbar. Zwischen 1926 und 1930 überarbeitete er das Stück komplett. Dabei schrieb er sowohl einen neuen Text und komponiete die Musik größtenteils neu. Auch diese Neufassung „Fortabelsen“ (Verdammnis) wurde erst einmal nicht aufgeführt. 1940 sendete der Dänische Rundfunk immerhin einige Teile. Erst lange nach Langgaards Tod ließ der Dänische Rundfunk das komplette Stück 1980 einspielen. Die szenische Uraufführung ließ weiter auf sich warten. 1999 zeigte das Tiroler Landestheater Innsbruck die Oper. Es folgten Auführungen 2002 in Kopenhagen, 2015 in Ribe und nun erstmals eine Produktion in Deutschland.
Streit zwischen Gott und Luzifer
Das Thema der Oper „Antikrist“ ist durchaus ungewöhnlich. Es handelt sich um ein geistliches Stück, das auf der Offenbarung des Johannes und anderen biblischen Stellen basiert – eine Art apokalytptisches Mysterienspiel. Der Antichrist, der auch als Widerchrist oder Endchrist bezeichnet wird, wird in den Johannesbriefen erwähnt und bezeichnet eine negative Figur, die falsche Lehren gegen Gott und Christus verbreitet. Oft wurde der Begriff verwendet, um Menschen oder Gruppen negativ einzustufen. Nietzsche nutzte sein 1888 verfasstes Buch „Der Antichrist“ zu einer Kritik am Christentum. Selma Lagerlöf behandelt in ihrem 1897 erschienenen Roman „Die Wunder des Antichrist“ (Antikrists mirakler) das Verhältnis von Christentum und Sozialismus. Sie beschreibt auch ein Fresko von Luca Signorelli im Dom von Orvieto, das vielleicht auch für Langgaard eine Inspirationsquelle war.
In Langgaards Oper bringen Gott und Luzifer den Antichrist in verschiedenen Gestalten in die vom Glauben abgefallene und verkommene Menschheit. Irrlicht, Hoffart, Hoffnungslosigkeit, Begierde und Streit aller gegen alle sind die Spielarten des Bösen, die so in die Welt kommen. Wenn am Ende im Streit der Hass um sich greift, die Sterne fallen und die Welt unterzugehen scheint, greift Luzifer nach der Macht. Doch Gott überwindet Luzifer und vernichtet den Antichrist, wofür ihn die Menschen preisen.
Das ist ein Schluss, dem das heutige Theater und Regisseur Anselm Dalferth natürlich nicht trauen mögen. In der Mainzer Inszenierung bindet Gott am Ende Luzifer ans Kreuz. Und die Menschen beten diesen „Erlöser“ vor blauem Wolkenhimmelprospekt an. Diese Umdrehung mag eine ironische Anpielung sein, entspricht aber sicher nicht der christlich-romantischen Vorstellung Langgaards. So konterkariert das Bild eher unpassend die apotheotisch-bombastische Finalmusik Langgaards. Man durchschaut zu leicht, dass es nur darum geht, eine antichristliche Botschaft einzubauen. Überhaupt sind an vielen Stellen die Bilder der Inszenierung zu plakativ und derb als dass sie die feine Mehrdeutigkeit des Textes und der Musik treffen können. Dabei ist der Anfang, in dem Gott und Luzifer Rücken an Rücken aneinander gebunden miteinander ringen eine eindrückliche Symbolik. Der Tänzer Ivica Novakovic als Personifizierung Gottes ist weiß gehalten, mit weißer Hose und weiß bemaltem nacktem Oberkörper (der manchmal unbeabsichtigterweise auf den schwarzen Teufel abfärbt). Auf seinem Kopf deutet ein Dreieck die christliche Dreifaltigkeit an. Ganz schwarz ist der Bariton Peter Felix Bauer als Luzifer. Im die Silhouette eines Hauses andeutenden Bühnenrahmen wird hinter dem Gazevorhang ein langgestreckter Tisch sichtbar. Doch in diesem Zitat des letzten Abendmahls sitzt nicht Christus im Zentrum, sondern von oben schwebt Luzifer als Antichrist herab und bringt das Böse in die Gesellschaft. Regisseur Anselm Dalferth hat dafür zusammen mit Kostümbildnerin Mareile Krettek eine surrealistische Bildsprache entwickelt.
Bühnenbildner Ralph Zeger erbaute aus Metallgerüsten beweglich Türme, die den Raum vergrößern und verengen können. Mit einer Rosentapete darauf ergeben sie sogar einmal ein konkretes Bild, ansonsten bleiben sie unbestimmt. Es sind eher die Kostüme, die eine eindrückliche Bildsprache sprechen. Eine eigentliche Handlung besitzt das Stück ja nicht. Es folgen Szenen aufeinander, in denen sich eine Art Büchse der Pandora ergießt. Eigentümlich sind die Symbolfiguren, die uns vorgeführt werden. „Der Mund, der große Wort spricht“ ist eine dieser ungewöhnlichen Figuren, der die Menschenmenge verführen möchte. Statt eines Kopfes trägt sie einen großen Ballon mit der Projektion eines ununterbrochen plappernden Mundes aber ohne Gesicht. In dieser Figur im schwarzen Anzug verbirgt sich Nadja Stefanoff, wie immer stimmlich sicher und hier mit einschmeichelndem Ton. Ein wahrhaft skurriles Kostüm erhielt „Die große Hure“. Mit ihrer Goldkettenfrisur, tiefem Dekolleté und weit ausladender Krinoline stellt Vida Mikneviciute sie als hochdramatische Kurtisane dar. Doch schaut man genau hin, identifiziert man die roten Rosenblätter als Fleischbrocken, Schweinsfüßchen zieren ihre Schultern wie elegante Damen früher Füchse um den Hals trugen, aus denen die zarten Beinchen heraushingen. Ob ein solches Wesen verführen kann? Zumindest ist es ein deutliches Symbol für Fleischeslust und Fleischesgier, entsprechend der auch das „Tier in Scharlach“ kostümiert ist. „Tier“ Lars-Oliver Rühl trumpft ausdrucksstark als Heldentenor auf. Auch „Die Lüge“ nähert sich als feister Glatzkopf mit Spazierstock, der einem Gemälde von Otto Dix entsprungen sein könnte, dem Schweinchen an. Gesungen wird diese Rolle von Alexander Spemann allerdings mit höhensicherem Tenor. Dessen tiefer Widerpart ist der Bariton Michael Mrosek als „Hass“.
Zwischen dem 6. Oktober und dem 11. November 2018 ist „Antikrist“ wieder auf dem Spielplan des Staatstheaters Mainz.
Besuchte Vorstellung: Premiere am 3. Juni 2018
Staatstheater Mainz, Großes Haus
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