Opernkritik: Bizets „Carmen“ opulent in der Arena di Verona – 2018

Von der Künstlerkneipe in die Stierkampfarena 

– Hugo de Ana inszeniert Georges Bizets „Carmen“ beim 96. Opera Festival in der Arena di Verona – 

von Klaus J. Loderer

Stierkampf und Oper scheinen auf den ersten Blick nicht zusammenzugehören. In Bizets Oper „Carmen“ spielt der vierte Akt vor der Stierkampfarena. Und nach eben dieser Stierkampfarena ist in Sevilla das benachbarte Opernhaus Teatro Maestranza benannt. Der argentinische Regisseur Hugo de Ana hat für die Neuproduktion von „Carmen“ die Arena von Verona dann gleich in die Plaza de toros de la Real Maestranza de Caballería, wie die Stierkampfarena von Sevilla vollständig heißt, verwandelt. Gleich zu Beginn der Oper ist im Zentrum der Bühne das Rund für die Stierkämpfe angedeutet und oben sehen wir uns umrundet von den Arkaden der Real Maestranza. Diese sind nur auf die steinernen Stufen projeziert. Aber es wird ein wirkungsvoller Effekt erzielt. Die gesamte Aufführung ist begleitet von den von Sergio Metalli gestalteten Projektionen. So ist das Thema des Stierkampfs schon während der Ouvertüre nicht nur musikalisch sondern auch optisch präsent.

„Carmen“ in der Arena in Verona: Géraldine Chauvet als Carmen
© Foto Ennevi/Fondazione Arena di Verona
Ihr Carmen-Debut in der Arena hat an diesem Abend die französische Mezzosopranistin Géraldine Chauvet. Sie gibt ihrer Partie den verführerischen Schmelz, den man von einer Carmen erwartet und gewinnt dadurch das Publikum für sich. Tenor Francesco Meli überzeugt als Don José mit sicherer Höhe. Schwach ist Massimo Cavalletti als Escamillo (statt des urspünglich angekündigten Erwin Schrott). Serena Gamberoni singt mit feiner Mädchenhaftigkeit die Sopranpartie der Micaela. Barbara Massaro und Clarissa Leonardi gestalten mit Witz und Draufgängertum die Rollen von Frasquita und Clarissa Leonardi. Dirigent Francesco Ivan Ciampa breitet dem riesigen Orchester der Arena di Verona einen feinen Klangteppich aus. Genüsslich zelebriert er die melodienreiche Partitur mit ihren unterschiedlichen Stimmungslagen. Schwungvoll geht er die spanischen Tanzrhythmen an. Vito Lombardi hat den Chor gut einstudiert.

In der Arena in Verona liebt es das Publikum opulent. Diesem Wunsch wird die neue Inszenierung von „Carmen“, mit der in diesem Jahr das Festival eröffnet wurde, gerecht. Huge de Ana, der in einer Person als Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner fungierte, hat für großes Operntheater gesorgt. Er verlegt die Handlung in die Zeit der politischen Umbrüche der 1930er-Jahre vor dem Spanischen Bürgerkrieg. Spanien ist hier nicht nur Flamenco-Folklore sondern ein Land mit wechselhafter Geschichte. Die Hinrichtung eines Mannes durch ein Erschießungskommando macht das gleich am Anfang deutlich. Üppig dekoriert ist die Bühne mit Paletten, Bündeln und Kisten. Ein lebhaftes Getriebe tummelt sich hier. Soldaten stehen herum. Zivilisten wuseln dazwischen. Micaela radelt mit dem Fahrrad heran. Wie immer eine nette Szene ist die Imitation des Wachwechsels durch die Kinder. Für ein großes Hallo im Publikum sorgt ein Motorrad mit Seitenwagen – das sorgt wie einige andere Fahrzeuge für die zeitliche Einordnung. Rechts wird effektvoll die spanische Flagge gehisst. Mit all diesen Details füllt Hugo de Ana die riesige Bühne. Da besteht schon manchmal die Gefahr, dass man die Protagonisten aus den Augen verliert. Ein Lastwagen fährt herein. Auf ihm drapiert sich Carmen lässig zu „L’amour es tun oiseau rebelle“, von den lüsternen Soldaten begafft und der Menge belauscht. Einzig Don José werkelt links am Motor seines Jeeps und beachtet sie nicht. Mit den Mengen an Chor, Statisten und Tänzern weiß Hugo de Ana umzugehen, verteilt sie zerstreut über die Bühne oder ballt sie dramatisch zusammen wie im ersten Akt beim Streit zwischen den Tabakarbeiterinnen.

Die Taverne von Lillas Pastia im zweiten Akt ist hier eine Künstlerkneipe. Riesige Gemälde aus dem spanischen Modernisme sind unregelmäßig auf der Bühne verteilt. Das Plakat „Sevilla 1930“ sorgt für die zeitliche Einordnung. Eine Backsteinmauer wie aus einem Hinterhof zeigt Sergio Metalli als Projektion für den Hintergrund. Leda Lojodice hat die wirkungsvolle Choreographie für den Flamenco erdacht. Effektvoll auch der Auftritt des Toreros Escamillos, auf einem Pferd reitend. Fahnenschwingende Demonstranten mit Freiheits-Transparenten stürmen zum effektvollen Aktfinale die Bühne.

„Carmen“ in der Arena in Verona: Géraldine Chauvet als Carmen und Massimo Cavalletti als Escamillo
© Foto Ennevi/Fondazione Arena di Verona

Nach dem farbenfrohen zweiten Akt überrascht der dritte Akt mit der stählernen Härte eines Zauns. Ist es ein Lager, ist es eine Grenze? Oben auf den Stufen der Arena schleichen sich kaum sichtbar die Schmuggler im Dunkeln heran. Dramatisch gelöst der Zweikampf zwischen Don José und Escamillo.

Der vierte Akt ist natürlich genau richtig für die Arena in Verona. Wieder sind die Arkaden der Maestranza auf die Stufen projeziert, ergänzt durch einen zentralen Triumphbogen mit Reiterstandbild. Weiter seitlich liegen symmetrisch zwei Fassadenelemente der Maestranza. Genüsslich inszeniert Hugo de Ana die opulente Massenszene. Durch das mittige Rundbogentor, auf dem die Fanfaren positioniert sind, kommen sie dann im Festzug herein, die Matadores, Picadores, Toreros etc., zu Fuß, auf Pferden. Konfettiböller lassen einen goldenen Regen auf die Bühne rieseln. Rote Holzwände werden wie zum Beginn der Oper im Rund aufgestellt, darin nimmt der Stierkampf seinen Lauf, während davon Don José auf Carmen trifft. Während innen Escamillo den (allerdings nicht vorhandenen) Stier erlegt, tötet im Vordergrund Don Cosé Carmen. Das sieht man hier einmal parallel.

Großer Jubel im Publikum. Die Stufenplätze waren gut gefüllt. Aber im Parkett waren in dieser neunten Vorstellung der Produktion doch einige Plätze frei. Außerdem im Programm der 96. Festspiele waren die beiden Zeffirelli-Inszenierungen „Aida“ und „Turandot“ und Arnaud Bernards in der Mailänder Scala spielender „Nabucco“.

Besuchte Vorstellung: 12. August 2018
(9. Vorstellung, Premiere 22. Juni 2018)
Arena di Verona

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Filmbesprechung: „Frühling in Paris“ (Seize Printemps) von Suzanne Lindon

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt