Interessante Tagung zur Geschichte der Oper in Wien – 150 Jahre Wiener Staatsoper
Das Haus am Ring, vom „Königgrätz der Baukunst“ zur Ikone der Opernkunst
– Breites Spektrum an Vorträgen bei der Tagung Geschichte der Oper in Wien – 150 Jahre Wiener Staatsoper –
von Klaus J. Loderer
1869 wurde das neue Hofopernhaus an der Ringstraße eröffnet, die heutige Wiener Staatsoper. Das 150-jährige Jubiläum steht also bevor. Für eine geplante Veröffentlichung hat sich die Staatsoper wissenschaftlichen Beistand geholt. Diese soll sich aber nicht nur mit den 150 Jahren befassen. Staatsoperndirektor Dominique Meyer wünscht sich eine breiter angelegte Aufarbeitung des Themas Oper in Wien, wie er zu Beginn der vom 17. bis 19. September abgehaltenen Tagung äußerte. Die Schar der Interessenten zu dieser öffentlichen Tagung war nicht gering. Oper ist für Wiener eben ein wichtiges Thema. Den Rahmen der dreitägigen Tagung bildete der Mahlersaal der Staatsoper. Dessen Neuschöpfung als Pausenfoyer unter dem damaligen Namen Gobelinsaal im Zuge des Wiederaufbaus der noch 1945 im Zweiten Weltkrieg zerstörten Staatsoper thematisierte Anna Stuhlpfarrer in ihrem Referat, wobei sie sich vor allem auf die Neugestaltung des Zuschauerraums durch den Architekten Erich Boltenstern konzentrierte. Es ist schon bemerkenswert, dass man sich in Wien unmittelbar nach Kriegsende an die Sicherung der Ruine der Staatsoper machte, übrigens stark unterstützt durch die Rote Armee. Welche ikonenhafte Rolle die Staatsoper für Wien und das Selbstverständnis der Wiener spielt, arbeitete Oliver Rathkolb analytisch heraus. Mit persönlicher Leidenschaft erzählte Peter Dusek von die Magie der Wiener Staatsoper.
Relief in der Feststiege der Wiener Staatsoper Foto: Klaus J. Loderer |
Auch der Name Gustav Mahler fiel häufig in dieser Tagung. Als „Schirmherr“ blickte er gnädig auf die Tagung, strahlte sein Porträt doch farbenfroh an der Stirnseite des Saals hinter den Referenten. Viele der heute noch üblichen Gewohnheiten in der Spielweise und in der Aufführungspraxis setzte er an der Staatsoper durch. Doch war seine Direktion besonders bei konservativen Gruppen nicht unumstritten. In vielen Referaten trat zu Tage, wie stark die Operngeschichte mit Antisemitismus durchzogen ist. Der Musikkritiker Clemens Höslinger lenkte das Augenmerk auch auf die anderen Direktoren vor und nach Mahler.
Insgesamt war die Tagung sehr breit angelegt. Der Neuzeithistoriker und Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien Oliver Rathkolb stellte als wissenschaftlicher Leiter der Tagung zu Beginn die Intention der Tagung vor, nämlich unter möglichst vielen Facetten und mit neuen Forschungsansätzen die Geschichte der Oper in Wien zu beleuchten, die bisherige Forschungslage zu prüfen und auch die zahlreichen Legenden und Mythen zu hinterfragen. Dazu ging man weit zurück zum Anfang der Oper. Das ist nun für Wien eine Enttäuschung. Denn die frühesten Opernaufführungen unter habsburgischer Ägide fanden in den anderen Residenzen wie Prag und Innsbruck statt, wie Herbert Seifert deutlich machte. Oper war in der Barockzeit in Wien zuerst unmittelbar mit dem Kaiserhaus und der höfischen Repräsentation verbunden.
In mehreren Vorträgen wurde das persönliche Interesse von Mitgliedern der kaiserlichen Familie deutlich, das sogar soweit ging, dass einige Kaiser Musikstücke komponierten. Insofern fanden zahlreiche Opernaufführungen in eher privatem Rahmen statt. Die Anlässe für Opernaufführungen arbeitete Claudia Michels detailliert heraus, es waren zumeist Geburts- und Namenstage im Kaiserhaus oder Hochzeiten. Mit dem Kärntnertortheater entstand erstmals ein größeres Theater für die Bürger innerhalb der Stadtmauern. 1708 wurde es zuerst als Schauspielhaus eröffnet. Wie ein kaiserliches Privileg für einen Sänger zuerst Opernaufführungen in diesem neuen Theater verhinderte, zeigte der Vortrag von Andrea Sommer-Mathis. Man bezeichnete die Opern eben kurzerhand als „Intermezzi“, um sie aufführen zu können, bis es endlich möglich war, auch dort Opern aufzuführen. Auch dieses Theater wurde schließlich vom Hof übernommen. 1810 erfolgte die Trennung von Oper und Schauspiel. Im alten Burgtheater an der Hofburg wurde Schauspiel gegeben, im Theater nebst dem Kärntnertor Oper. Dort fanden ab 1816 auch die berühmten Rossini-Aufführungen statt. Clemens Höslinger berichtete pointiert vom Rossinifieber. Der Archivdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde Otto Biba hob hervor, dass auch die Vorstadttheater im 18. Jahrhundert durchaus wichtige Stätten der Opernpflege waren. Die vier Privattheater hatten ein ergänzendes Repertoire und spielten andere Stücke als die beiden Theater innerhalb der Stadtmauern. Sogar Ur- und Erstaufführungen waren darunter. Daneben fanden auch zahlreiche Opernaufführungen in privaten Adelspalästen statt. Und besonders die Piaristen und Benediktiner pflegten Theateraufführungen in ihren Schulen.
Auch mit Detailproblemen befasste sich die Tagung. Die Texte der Opern untersuchten Alfred Noe und Hermann Zeman. Noe interpretierte die italienischen Opernlibretti des 17. und 18. Jahrhunderts als Selbstdarstellung des Hofes. Zeman rehabilitierte den Text der Zauberflöte, die erste Tamino-Arie sei das erste ernsthafte Sonett der deutschen Aufklärung. Ein jüngst aufgetauchtes Konvolut von Bühnenbildentwürfen aus dem frühen 19. Jahrhundert konnte Rudi Risatti vom Österreichischen Theatermuseum vorstellen. In seinem Vortrag über die Bühnenbilder erklärte er auch anschaulich die Technik der Kulissenbühne der Zeit und die Umsetzung der zentralperspektivischen Bühnenbilder. Zu den interessanten Details aus früherem Orchesteralltag gehörte die Anordnung der Musiker im Orchestergraben. Herbert Seifert untersuchte zahlreiche historische Abbildungen in Bezug auf das Orchester. Allerdings sind die Darstellungen teilweise so ungenau, dass sie als Quelle nur bedingt taugen können. Nach Otto Biba saß das Orchester noch im 18. Jahrhundert bei den Aufführungen gemeinsam um einen Tisch. Der Dirigent leitete die Musiker vom Cembalo aus. Ein besonderes Problem war noch im 19. Jahrhundert die unterschiedliche Stimmhöhe. Diese war sogar innerhalb von Wien unterschiedlich. Otto Biba machte das daran deutlich, dass wenn das Opernorchester durch eine externe Bühnenmusik (z.B. eine Militärkapelle) ergänzt werden musste, die Musiker zuerst einmal über die naturgemäß auftretenden Dissonanzen der Stimmhöhe hinwegfinden mussten.
Nach dem doch recht beengten Kärntnertortheater, das übrigens ungefähr an der Stelle des heutigen Hotels Sacher stand, änderte sich die Situation mit dem 1869 eröffneten Neubau des k.u.k. Hofopernhauses an der neu geplanten Ringstraße beträchtlich. Schon während der Bauzeit kursierten allerhand Legenden. Richard Kurdiovsky vom Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften untersuchte den Planungs- und Bauprozess. Bei diesem ersten Großbau der Ringstraße fehlte noch die Erfahrung der Baubehörden. So kam es teilweise zu Engpässen bei der Materialbeschaffung. Auch der Tod der beiden Architekten August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll vor der Fertigstellung sorgte für Probleme. Beim Selbstmord des Architekten van der Nüll munkelte man schnell, dass die bösartigen Kommentare ihn in den Tod getrieben haben. Tatsächlich beschimpften Teile der Presse das Opernhaus als „versunkene Kiste“ und als „Königgrätz der Baukunst“.
Clemens Höslinger stellte die Direktoren in der Zeit der Monarchie vor. Christian Glanz konzentrierte sich auf die Direktionen von Gustav Mahler und Richard Strauss. Von Strauss entstand in dieser Zeit das vergessene Ballett „Schlagobers“, in dem es um die Bedrohung der feinen Konditoreiwaren durch Backwerk aus der Vorstadt geht, eine eigentümliche Parabel auf den politischen Wechsel nach dem Ersten Weltkrieg. Mit dem sog. Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich geriet die Staatsoper in die Machtspiele zwischen Goebbels und Göhring, wie Oliver Rathkolb herausarbeitete. Auch Baldur von Schirach mischte mit. Jüdische Mitarbeiter wurden entlassen, ehemalige verloren ihren Pensionsanspruch. Das Haus wurde von den Nazis für staatliche Propaganda und Repräsentation vereinnahmt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte die Oper zunächst in der Volksoper und im Theater an der Wien. Schnell machte man sich an den Wiederaufbau der Staatsoper. Fritz Trümpi zeigte auf, wie man etwa mit Bettelbriefen an inzwischen in den USA lebende Künstler versuchte an Geld zu kommen. Dabei tat man so, als seien diese Künstler freiwillig ausgewandert. Die Bedeutung der Staatsoper im sensitiven Gedächtnis Wiens in dieser Zeit untersuchte Susana Zapke. Mit zahlreichen Statistiken und einer detaillierten Analyse der Spielpläne gingen die Dramaturgen Andreas Láng und Oliver Láng an die Direktionen der Nachkriegszeit heran. Berühmteste Direktoren waren Karl Böhm und Herbert von Karajan. Eine Einrichtung, die Ioan Holender einführte, war die Kinderoper. Deren Bedeutung hob Isolde Schmid-Reiter hervor. Dass die Staatsoper Schauplatz einer Szene in „Rogue Nation“ dem fünften Teil der amerikanischen Actionfilmreihe „Mission Impossible“ war, nahm Stefan Schmidl, Professor für Musikgeschichte an der Privatuniversität Musik und Kunst in Wien zum Anlass die mediale Wirksamkeit des Baus zu untersuchen.
Tatjana Markovic ging auf die Vernetzung der Staatsoper mit Südosteuropa ein und stellte von dort stammende Sänger vor. Querbeziehungen zu Prag und Budapest stellte Markian Prokopovych von der Universität Durham her.
Feststiege der Wiener Staatsoper Foto: Klaus J. Loderer |
Insgesamt ergaben die Vorträge ein breites Spektrum zur Geschichte der Oper in Wien von der Barockzeit bis heute. Dass die Wiener Staatsoper zu den berühmtesten Opernhäusern der Welt zählt, ist allgemein bekannt, die Vorträge zeigten aber auch auf, welche wichtige Rolle sie für die Identität der Wiener spielt. Dabei war Oper von Anfang an ein wichtiges Mittel staatlicher Repräsentation. Die Habsburger setzten die Musikpflege in der Barockzeit zur Inszenierung des Kaiserhauses ein. Auch das Hofopernhaus an der Ringstraße steht in engem Zusammenhang mit kaiserlicher Repräsentation. Auch beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg wurde darauf geachtet, dass die Räume für staatliche Repräsentation geeignet sind. Insgesamt hätte man sich manchmal noch eine internationale Einbindung gewünscht. Die meisten Vorträge waren doch sehr Wien-konzentriert. So wurde zumeist nicht so deutlich, was eine eigenständig Wiener Sache und was zeittypisch ist. Besonders bei den Vorträgen zur jüngsten Geschichte der Oper beteiligte sich das Publikum besonders rege an den Diskussionen. Man hätte sich in diesem Bereich noch einen Vortrag zu den anderen Opernhäusern von Wien gewünscht. Schließlich ist die Wiener Opernszene mit Volksoper, Kammeroper, Theater an der Wien und weiterer Opernengagements ja breiter als das Angebot der Staatsoper. Aber vielleicht geht man darauf im geplanten Tagungsband ein, der im nächsten Jahr erscheinen soll.
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