Buchbesprechung: „I am Dandy“ von Nathaniel Adams

Die Nachfahren von Beau Brummell 

– 56 Dandys stellt Nathaniel Adams im Buch „I am Dandy, the Return of the Elegant Gentleman“ vor – 

von Klaus J. Loderer

Ist Dandyismus eine Lebensform oder eine Philosophie? Nathaniel (Natty) Adams meint schelmisch (?), nein, denn Dandyismus sei eine ernsthafte psychische Störung zwischen Koprophilie, also der Liebe zu den Ausscheidungen, und Erotomanie, also Liebeswahn. Eine innere Macht dränge sie, sich so zu kleiden, wie sie es tun. Sie würden sich sogar auf einer einsamen Insel so anziehen. Nathaniel Adams rechnet sich übrigens selbst auch zu dieser Spezies. Und er untersucht das Thema Dandy seit seiner Studienzeit. Das Preisgeld, das er nach einem Buch zur Geschichte des Dandyismus durch das Lynton Fellowship erhielt, nutzte er dazu gleich ein noch größeres Werk zum Thema Dandy anzugehen. Nun interessierte ihn die Gegenwart mit den aktuell interessantesten angezogenen Männern. Im Band „I am Dandy“ stellt er 56 Dandys vor. Die Fotografin Rose Callahan porträtierte die Herren dazu. Auch sie war schon thematisch vorbelastet durch das umfangreiche Fotoprojekt „The Dandy Portraits“.

Herausgekommen ist ein gewichtiger Prachtband mit einer breit gefächerten Auswahl ziemlich extravaganter Herren mit sehr verschiedenen Bekleidungsstilen und sehr unterschiedlichen Vorstellungen davon, was elegant ist. Das kann von sehr klassisch bis zum Paradiesvogel reichen. Allen gemein ist die Liebe zum Detail, zum ungewöhnlichen Detail, zum außergewöhnlichen Detail oder gar zum exquisiten Detail. Da ist man natürlich schnell bei echt-historischen Anzügen oder zumindest bei Schnitten mit Anklängen an die Mode vergangener Zeiten. Da gibt es die Gruppe, die Gehrock und Zylinder favorisiert. Die schlichte Eleganz der Anzüge der 1920er-Jahre erfreut sich großer Beliebtheit. Man findet den Humphrey-Bogart-Typ, den Chap etc.

Nathaniel Adams stellt die Herren kurz vor. Von allen hat er markante Zitate gesammelt, wie sie sich sehen oder wie sie ihren Bekleidungsstil fanden. Da werden durchaus auch Mythen aufgebaut. Es geht ja irgendwie auch um Selbstdarstellung. Und da sind wir bei den wunderbaren Fotos, mit denen Rose Callahan die Herren in Szene gesetzt hat. Natürlich haben sich alle Herren fein gemacht. Einige gewähren uns auch Einblick in ihre Wohnung. Da setzt sich dann der entsprechend schlichte oder flamboyante Stil in der Regel fort. Welch fantastische Konsequenz in einer Atmosphäre des Art Deco zu leben und sich entsprechend zu kleiden.

Was machen nun solche Leute beruflich? Sie sind z.B. Professional Bohemien, Flaneur, Dandy of New York oder Boulevardier. Da scheint dann die Exklusivität in der Lebensführung, die laut Duden typisch für den Dandyismus ist, durch. Andere sind Bandleader, Modedesigner, Illustrator oder haben Läden für Dandy-Ausstattung. Wir finden den Anführer der Chap-Bewegung und Herausgeber des Magazins The Chap Gustav Temple. Es finden sich Blogger zum Thema Dandy. Sven Rafael Schneider betreibt das Online-Magazin „The Gentleman’s Gazette“ – er scheint der einzige (allerdings in den USA lebende) Deutsche im Buch zu sein, ansonsten lebt man in New York, London und Paris. Alle Vorurteile über das Kleidungsdesinteresse von IT-Menschen straft Michael Salerno Lügen.

Der Herr, der auf der Titelseite des Buchs auf einem Sofa in seiner Pariser Wohnung sitzt, ist der Massimiliano Mocchia di Coggiola, seines Zeichens Autor und Künstler. Er lebt in einer Atmosphäre der Zeit um 1900. Und das passt auch sehr gut zu seinem Bekleidungsstil. Die weiteren Fotos zeigen ihn weit weniger lässig und eher sehr klassisch. Das ist die Basis seiner Eleganz. Er ist auch der einzige im Buch, der sich auch in Abendgarderobe vorstellt. Elegant ist er zweifelsohne. In einem Punkt bin ich mit Massimiliano uneinig, der in einem Gespräch mit dem Autor meint, dass Adolf Loos kein Dandy gewesen sei (S. 264). Das war er vielleicht tatsächlich nicht. Aber er erlaubte sich doch einige ungewöhnliche modische Extravaganzen z.B. den Verzicht auf die Bügelfalte an der Frackhose. Und mag man sich heute unter der Wohnung eines Dandys auch eher verspielte Interieurs vorstellen, so war die Wohnung von Adolf Loos in der Zeit überbordernder Dekorationswut von Historismus und Jugendstil in ihrer klaren Linie und Konzentration auf die Wirkung der Materialien schon eine heftige Extravaganz. Im Eklektizismus war das Schlichte Besonderheit, im Design-Diktat ist es das Rokoko.

Ob man nun alle porträtierten Herren als Dandy bezeichnen würde, sei einmal dahingestellt.   Sie werden sich selbst als solchen bezeichnen, also sind sie es. Eleganz fällt in einer Zeit, in der die sportliche Lässigkeit (damit meine ich nicht den Dandy in einer sportlich lässigen Knickerbocker) sich immer mehr ausbreitet, einfach sehr auf. Und auffallen wird jeder dieser Herren. Im positiven Sinn. In Ländern mit positiver Lebenseinstellung werden sich auch die anderen Menschen daran freuen. Man hört der Dandyismus soll sich inzwischen ausbreiten.  Inzwischen gibt es übrigens auch schon den Fortsetzungsband: „We are Dandy“.


Nathaniel Adams,
Rose Callahan

I am Dandy
The Return of the Elegant Gentleman

[Photography by Rose Callahan,
text and introduction by Nathaniel Adams,
preface by Glenn O’Brien]

Die Gestalten Verl. Berlin 2013
ISBN 978-3-89955-484-7
288 S., überw. Ill.
Text: englisch

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