Ausstellung: Mina Gampel stellt in der Synagoge Esslingen aus

Theatralische Menschengruppen vor mystischem Licht 

 – Die Malerin Mina Gampel stellt in der Synagoge Esslingen aus – 

von Klaus J. Loderer

„Ich male aus der Seele“ sagt Mina Gampel selbst über ihre Bilder. „Ich brauche das Malen wie Luft zum Atmen“ fügt sie hinzu und verdeutlicht damit ihre besondere Leidenschaft. Die Malerei ist für sie ein innerer Ausdruck. Mit ihrer Malerei verarbeitet sie Themen, die sie bewegt. Das kann ein ästhetischer Blick auf schöne Blumen sein, das kann die Geschichte ihrer jüdischen Herkunft sein. Diese Tradition wird schnell deutlich in ihren Bildern.

Mina Gampel vor ihren Gemälden „Menschen Gruppe“ und „Menschen Impressionen“
Foto: Klaus J. Loderer

In der Ausstellung, die am 4. September in der historischen Synagoge, einem historischen Fachwerkhaus in der Altstadt von Esslingen am Neckar eröffnet wurde, empfangen großformatige Gemälde auf Staffeleien die Besucher und stimmen gleich auf die wichtigen Themen der Bilder von Mina Gampel ein. Es geht mit kleinformatigen Bildern im Treppenhaus weiter – Bilder mit fröhlicher Stimmung und fröhlichen Menschen. Musizierende Menschen und Balletttänzerinnen sieht man hier. Der obere Vorraum ist ganz der jüdischen Geschichte gewidmet. Das Bild „Chuppa“ ist ein solches Bild, das eine jüdische Trauung zeigt. Versunken sind die Menschen in den Ritus. Drei sehen wir nur von hinten. Wir schauen zwar frontal auf das Brautpaar. Doch ist das Gesicht der Braut verschleiert und der Blick des Bräutigams gesenkt. Nicht beachten sie den Betrachter. Ein anderes zeigt einen betenden Mann mit Tefillin. Viele dieser Bilder sind im Farbton verhalten. Es dominieren Grau- und Brauntöne. Es sind Bilder, die an eine Zeit mit unsicherer Zukunft erinnern, an eine Zeit der Fluchten und Migrationen. Ein Kind sucht bei seiner Mutter Geborgenheit. Wir ahnen aus der Kleidung die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Keck schaut ein Kind mit Schleuder um die Ecke. „Ich?“ ist das Bild bezeichnet. Seine dunklen Augen leuchten. Man wähnt das Kind auf dem nächsten Bild, ein paar Jahre älter geworden, wieder zu sehen. Wieder dieses Leuchten der Augen. Eine Frau im Hintergrund schaut in ein Schaufenster, eine andere geht achtlos weg. Doch uns schauen diese leuchtenden Augen im Bild „Einwanderer“ an. Nicht von ungefähr fühlt man sich an den berühmten Film „Yentl“ erinnert.

Ein ganz anderes Farbspektrum verwendet Mina Gampel für ihre Blumenbilder. Hier leuchten die Farben der üppigen Blumengebinde, ob bei Rosen oder Flieder. Hier verwirklicht sie ihr Motto „Malen, um Menschen Freude zu bereiten“. Und besonders das leuchtende Rot der Mohnblumen scheint sie zu faszinieren.

Dreiteilig ist das Bild „Umwelt Vision“. Es ist das einzige abstrakte Bild in der Ausstellung. Einfach ein Abendhimmel mit rot gefärbten Wolken, eine Feuersbrunst oder gar die Apokalypse? Es lässt sich viel assoziieren mit diesem Bild mit seinem dramatischen rot-gelb-grauen Farbenspiel und dem effektvollen Kalt-Warm-Kontrast.

Während Mina Gampel in ihren Bildern zur jüdischen Tradition auf markante Gesichter achtet, finden wir im Hauptraum der Ausstellung eine ganze Reihe von Bildern mit Personengruppen, bei denen ihr dieses Detail völlig egal ist. Zur anonymen Masse verschmelzen hier die Menschen. Von abstrakten Menschen spricht Mina Gampel gar in den Titeln einiger Bilder. Auf dem Bild „Tanzende“ erkennt man Balletttänzerinnen. In wildem Tanz wogen sie über die Bühne. Bei „Menschen Gruppe“ erahnt man ein tanzendes Paar. Theatralisch sind diese Menschengruppen in Szene gesetzt. Man wähnt wallende Gewänder zu sehen, der Hintergrund bleibt schematisch. Aber all das interessiert wenig. Der Blick wird in den Hintergrund gezogen in ein diffus leuchtendes Licht, das fast an die unwirklichen Szenerien eines Johann Heinrich Füssli erinnert. Mina Gampel experimentiert mit diesem Lichteffekt hinter den schemenhaften Menschengruppen, sei es im Hell-Dunkel-Kontrast oder im noch effektvolleren Kalt-Warm-Kontrast. Fast zu glühen scheinen die Rot-Töne im Bild „Menschen Gruppe“.

Mina Gampel: „Abstrake Menschen“ und „Tanzende“
Foto: Klaus J. Loderer

Geboren wurde Mina Gampel in Pinsk, eine Stadt, die heute durch ihren barocken Stadtkern berühmt ist. Damals gehörte die Stadt zu Polen, heute liegt sie in Weißrussland. Ihren Geburtsort lernte sie nicht kennen, denn die Familie floh 1941 hinter den Ural und überlebte dadurch. Pinsk wurde im 1939 zunächst von sowjetischen Truppen besetzt, 1941 dann von deutschen. Die SS ermordete direkt nach der Besetzung fast 9000 jüdische Männer, später die gesamt jüdische Bevölkerung der Stadt. 1946 zog die Familie zurück nach Polen, nach Stettin. 1957 siedelte die Familie nach Israel über.  Nach Deutschland kam Mina Gampel 1967. Seit 1969 lebt sie in Stuttgart. Ihre künstlerische Ausbildung absolvierte sie an der freien Kunstakademie Esslingen, die aus der 1960 gegründeten Esslinger Schule hervorgegangen ist. Und sie war an der Europäischen Kunstakademie der bildenden Künste in Trier. Seit 1993 unterrichtete sie selbst als Dozentin an der Kunstakademie Esslingen. Außerdem vertieft sie seit 2008 ihr künstlerisches Wissen durch das Studium der Kunstgeschichte und Philosophie an der Universität Stuttgart. Inzwischen hat sie auch ihre persönlichen Erlebnisse auch in einem autobiographischen Buch niedergeschrieben.

Bis Ende Oktober 2018
Synagoge, Im Heppächer 3, Esslingen am Neckar

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